Formel 1: Kommentar | 31.03.2008
Subtilität ist wieder einmal Mangelware...
Ein Video, das uns eigentlich gar nichts angeht. Ein Max Mosley, der zum "perversen Nazi" abgestempelt wird. Gedanken über Medien, Menschen und Würde...
Michael Noir Trawniczek, noir@motorline.cc
Gleich einmal vorweg: Ich weiß, wie schlimm die Nationalsozialisten waren - mein Stiefvater verteilte im Untergrund sozialistische Zeitungen, wurde erwischt und ins KZ verschleppt, konnte jedoch flüchten. Er hat mir viel erzählt aus dieser schrecklichen Zeit. Ich habe eine tiefe Angewidertheit dieser selbsternannten "Herrenrasse" gegenüber...
Aber als Freidenker stört es mich, wenn im Zuge des Mosley-Skandals immer wieder Begriffe wie "KZ-Sex" oder "Nazi-Orgie" fallen. Denn dies lässt darauf schließen, dass sich Mosley wiederbetätigt habe respektive er die Nationalsozialisten verherrlichen würde. Und das ist nirgendwo bewiesen.
Nur ein Beispiel: Die gestreifte Gefängniskleidung, welche einige der Prostituierten in dem Video tragen - die gibt es auf jedem Kinderfasching zu sehen und selbst die "Panzerknacker" von Walt Disney landen manchmal in solchen Anzügen. Die "Nazi-Uniformen" sind Lederklamotten, die es in jedem Sexshop gibt, auf dem Video sind keinerlei Naziabzeichen zu erkennen. Und Mosley wurde als Teenager nach Deutschland geschickt, spricht also ein bisschen Deutsch - nur weil er auf Deutsch zählt oder einer der Prostituierten sagt, sie soll sich umdrehen, sind das noch lange keine "Nazi-Befehle", wie es manche nennen.
Natürlich erinnert das alles an die Konzentrationslager - doch nur weil Mosley ein solches Szenario andeutungsweise nachspielt, ist er noch lange kein Nazi.
Wenn man nämlich den Hintergrund seiner Kindheit betrachtet, ist nicht auszuschließen, dass Mosley als Kind ein schweres Trauma erlitten hat. Schließlich war sein Vater Oswald Mosley der Anführer einer Faschistenpartei, der seine Kinder ziemlich brutal erzogen haben soll. Mosley könnte also genauso gut ein Opfer sein - und kein Täter.
Was heißt überhaupt Täter? Was hat Mosley denn getan? Er hat - zugegebenermaßen unübliche - Sexpraktiken mit erwachsenen Menschen durchgeführt, mit deren Einverständnis respektive gegen Bezahlung. Mosley hat jedoch keine irgendwie strafbare Handlung getätigt.
Man kann also sagen: Es ist nicht unmöglich, dass Max Mosley ein Opfer der Nazis, ein Opfer seines eigenen Vaters ist, der sein Leben lang daran zu kauen hatte. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kinder, die von ihren Eltern Gewalt erfahren haben, diese Gewalt als einzige Form der Zuwendung empfinden und sie diese Gewalt dann auch als Erwachsener suchen. Einen solchen Mann dann als Nazi zu bezeichnen, wäre eine große Ungerechtigkeit.
Mich persönlich widert es an, dass es heutzutage möglich ist, jemanden derart vorzuführen. Dieses Video geht uns eigentlich gar nichts an - es durchschneidet die Privatsphäre des Max Mosley in einer unappetitlichen Art und Weise.
Solche Praktiken, wie sie Mosley auf diesem Video ausübt, haben mit Sicherheit einen Hintergrund. Mosley war fünf Jahre alt, als es immer noch Deportationen gab - und sein Vater war einer der abscheulichsten Nazis, wurde in England sogar zum "schlimmsten Briten" gewählt. Wir wissen nicht, was Max Mosley als Kind erlebt und wie er das verdaut hat - es steht uns daher nicht zu, ihn einfach als perverse Nazi-Drecksau zu diffamieren. Es wundert mich (andererseits wiederum nicht), wie eindimensional in diesem Fall gedacht und agiert wird. Und natürlich kräftig hinhauen auf einen, der schon am Boden liegt...
Und mit diesem Video liegt Max Mosley definitiv am Boden. Schwer vorstellbar, wie er nun seine Autorität als FIA-Präsident bewahren soll. Der Mann ist im Grunde ruiniert. Jener Mensch, der dieses Video veröffentlicht hat, muss auch bedacht haben, dass er Mosley damit in die Enge, vielleicht sogar in den Selbstmord treiben wird.
Was für mich persönlich so absurd an diesem Fall ist: Ich habe Max Mosley schon so oft für rücktrittsreif erachtet und dies auch in Form von Kommentaren geäußert. Der Mann hat als FIA-Präsident zum Teil haarsträubende Entscheidungen getroffen und er war sich zudem nicht zu blöd, Leute wie Jackie Stewart als Trottel zu bezeichnen. Diese vielen Regeländerungen, dieses Machtgehabe, als es um die Spionageaffäre ging - wo man den Eindruck erhielt, er wolle McLaren-Boss Ron Dennis persönlich vernichten.
All das wären Gründe für einen Rücktritt gewesen. Aber dieses Video - ich wäre fast geneigt zu sagen, er solle jetzt erst recht im Amt bleiben, wie es auch ein Bill Clinton getan hat. Nur: Max Mosley wurde der Lächerlichkeit preisgegeben und ist als FIA-Präsident nicht mehr wirklich vorstellbar.
Mosley wird ganz sicher nicht der einzige sein, dessen Sexualpraktiken ungewöhnlich sind - zumal der Sadomasochismus eine Form der Sexualität darstellt und die Grenzen zwischen "normalem Sex" und S/M fließend sind. Prinzipiell gilt: Solange alle Beteiligten freiwillig agieren, soll getan werden, wonach einem ist. Punkt.
Max Mosley wurde reingelegt und vorgeführt. Weil das heute eben so einfach geht. Weil die menschliche Würde keinen Platz mehr hat in unserer schnelllebigen Medienwelt. Manche sagen, Mosley habe diese Vorführung verdient. Ich aber sage: So etwas verdient niemand.
Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß - vieles im Leben ist grau. Es ist gefährlich und unklug, alles über einen Kamm zu scheren. Gerade jetzt, wo derart auf Mosley eingeschlagen wird, es ist mir ein Anliegen, daran zu erinnern, dass Max Mosley ein Mensch ist, und keine Bestie,
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Michael Noir Trawniczek