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Fünf weitere Gründe für einen Formel 1-Ausstieg

Laut Ferrari oder Ari Vatanen liegt der Ausstiegswelle der Werke mehr zugrunde als „nur“ die Wirtschaftskrise. Welche Gründe könnte es sonst noch geben?

Michael Noir Trawniczek

Innerhalb von einem Jahr sind Honda, BMW und Toyota aus der Formel 1 ausgestiegen. Bridgestone beendet per Ende 2010 die alleinige Reifenversorgung und im Hause Renault überlegt man offenbar ernsthaft, dem Formel 1-Rennstall den Stecker zu ziehen. Der scheidende FIA-Präsident May Mosley fühlt sich bestätigt in seinem Beharren auf restriktiven Sparmaßnahmen.

Zugleich gibt es Stimmen wie jene von Ferrari oder dem gescheiterten FIA-Präsidentschaftskandidaten Ari Vatanen, welche behaupten: Nicht die Wirtschaftskrise sei der wahre Auslöser der Ausstiegswelle gewesen, vielmehr hätten der Führungsstil der FIA und jener des FOM respektive die jüngsten Skandale wie die leidige „Crashgate“-Affäre von Renault dazu beigetragen, dass die großen Werke endgültig das Vertrauen in die Formel 1 verloren hätten. Weil das Image der „Königsklasse“ beschädigt wurde, sie nur noch Negativschlagzeilen produzieren würde…

Was ist dran an solchen Aussagen? Wie attraktiv ist die Formel 1 der Gegenwart? Gibt es abseits der Wirtschaftskrise tatsächlich weitere Gründe, welche einen Automobilkonzern zum Ausstieg ermuntern könnten?

Die Antwort lautet: Ja, es gibt einige Aspekte, die tatsächlich zum Ausstieg ermuntern, hier nur ein paar davon:

- Keine Motorenkompetenz: Von der ersten Stunde an haben Automobilhersteller die Formel 1 genützt, um auf dieser weltweiten Bühne ihre Kompetenz in punkto Motorenbau darzustellen. Mit dem engmaschigen Motorenreglement und dem gleichzeitigen „Einfrieren“ des Entwicklungsstands wurde die Motorenkompetenz quasi auf Null reduziert. Der frühere F1-Motorenbauer Mario Illien hat in einem Ennstal Classic- und motorline.cc-Interview bestätigt: „Die aktuellen F1-Motoren sind aufgrund des engmaschigen Reglements de facto Einheitsmotoren, die sich nur noch marginal voneinander unterscheiden.“ Bis ins kleinste Detail wurden die Vorgaben angelegt, es gibt nur wenig Spielraum. Hinzu kommen wenig transparente Genehmigungen von Nachbesserungen, welche die Glaubwürdigkeit eines echten Wettkampfs der Konstrukteure unterwandern. Wenn ein Hersteller eine Sondergenehmigung zum Nachbessern des hauseigenen Aggregats erhält, ist eine solche Maßnahme zwar im Sinne der Ausgewogenheit der Kräfteverhältnisse – für den betreffenden Hersteller ist es jedoch eine technische Bankrotterklärung. Die Haltbarkeit alleine reicht nicht aus, um in einer Rennserie Kompetenz im Motorenbau zu signalisieren.

- Die KERS-Pleite: Mit dem Energieerhaltungssystem KERS wollte man anstelle des Wettkampfs im Motorenbau auf diesem innovativen Gebiet einen Freiraum schaffen, um zeitgemäß Fachkompetenz darstellen zu können. Zugleich sollten die 80 Zusatz-PS für mehr Überholmanöver sorgen. Nachdem einige Werke bereits Millionen in die Innovation investiert haben, stellte man offenbar fest, dass KERS- zu kompliziert und vor allem zu teuer sei. So wurde das „grüne Mäntelchen“ abgelegt, noch ehe es wirklich passte.


- Die Überhol-Pleite: Der neue Look der Formel 1-Boliden wurde von der „Arbeitsgruppe Überholen“ erarbeitet – mit dem Ziel, die „Dirty Aitr“ im Heck des Vordermanns zu reduzieren, sodass Überholen erleichtert wird. Die Flügel wurden massiv gestutzt, auch der Diffusor. Am Saisonbeginn fanden drei Teams eine Grauzone im Reglement – der Doppel- und in der Folge der Dreifachdiffusor war geboren. Nachdem der Bauteil von der FIA für legal befunden wurde, mussten alle anderen Teams nachrüsten, denn die neue Diffusorengeneration lieferte erheblich mehr Abtrieb. Das wiederum widersprach dem Grundsatz der „Arbeitsgruppe Überholen“ – man hätte annehmen können, dass diese Arbeitsgruppe sofort nach der Legalisierung des Doppeldiffusors vehement dafür eintreten würde, diese Diffusoren für 2010 zu verbieten. Schließlich soll ja das Überholen erleichtert werden. Doch nichts dergleichen geschah. Grundsätzlich hat die „Arbeitsgruppe Überholen“ ohnehin nur wenig Erfolg verzeichnet – ohne Wetter- oder Safety Car-Turbulenzen wurde auch mit den wegen ihrer breiten Frontwings „Mähdreschern“ genannten Boliden der Generation 2009 wie eh und je im Gänsemarsch gefahren.

- Das Nachwuchs-Problem: Im Zuge der massiven Einsparungsmaßnahmen wurden sämtliche Testfahrten gestrichen – jetzt können junge Piloten nur noch schwer in die Formel 1 gelangen. Wenn, dann nur über den „Sprung ins kalte Wasser“. Die Rookies taten sich bis auf wenige Ausnahmen schwer – doch nicht, weil die F1-Boliden so schwer zu fahren sind, sondern weil ein Üben an sich im Verlauf eines Grand Prix-Wochenendes nicht möglich ist. Ein Jungtalent wie Romain Grosjean, der in der GP2 noch als Zukunftshoffnung galt, könnte schon nach einem halben Jahr F1 wieder aussortiert werden, nachdem er sein Leben lang auf dieses Ziel hingearbeitet hat.

- Der Führungsstil: Der von Ferrari und Vatanen kritisierte Führungsstil der FIA droht mit der Wahl von Jean Todt als FIA-Präsident unverändert zu bleiben. Ein jahrelanger Zickzackkurs mit ständigen Regeländerungen, darunter einige Fehlentscheidungen und die bereits berüchtigten „sündteuren Sparmaßnahmen“ sowie eine Politik der Strafen und der Willkür haben zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Dazu kamen Skandale wie „Crashgate“ oder die völlig unnötigen Aussagen eines Bernie Ecclestone in Zusammenhang mit Adolf Hitler. Bezeichnend für die Selbstgefälligkeit des selbst ernannten „Diktators“. Bezeichnend aber auch die immer öfter halbleeren Tribünen bei einem Formel 1-Grand Prix…

Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Formel 1 unter diesen Bedingungen doch immer wieder auch sportlich wertvolle oder zumindest nicht völlig uninteressante Rennen produzieren konnte. Bleibt zu hoffen, dass die Prognose von motorline.cc-Stargastautor Helmut Zwickl stimmen möge, wonach mit dem Abgang der „Dinosaurier Ron Dennis, Flavio Briatore und auch Bernie Ecclestone“ die Formel 1 „zwar nicht liebenswerter, aber wieder anschauenswert“ werden könnte.

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