Formel 1: Interview | 16.02.2013
Tarquini in der Formel 1: "Es war verrückt"
Er hält den Rekord für die meisten Nicht-Qualifikationen in der Formel 1, doch Gabriele Tarquini blickt nicht im Groll zurück.
Im Tourenwagen zählt er zu den Besten seiner Zunft – und hat sich mit dem WM-Titelgewinn 2009 in die Geschichtsbücher des Motorsports eingetragen: Gabriele Tarquini ist der bis dato älteste Weltmeister in einer vom Automobil-Weltverband FIA sanktionierten Rennserie. Zuvor hatte er in der Formel 1 den großen Durchbruch verpasst und zumeist Negativ-Schlagzeilen produziert.
Denn Tarquini, bald 51 Jahre alt, ist der Fahrer, der zwei der unrühmlichsten Formel-1-Rekorde hält: Insgesamt 78 Mal reiste er zu einem Grand-Prix-Wochenende an, doch 40 Mal stand er nicht in der Startaufstellung. Bei 24 Gelegenheiten war für den italienischen Rennfahrer sogar bereits nach der damaligen Vorqualifikation Schluss. Nur 13 Mal sah Tarquini im Rennen die Zielflagge.
Wenig überraschend, dass vor allem die schwache Leistung im Qualifying an ihm genagt hat – auch wenn Tarquini, Kart-Weltmeister von 1984, zwischen 1987 und 1995 ausschließlich für klassische Hinterbänkler-Teams unterwegs war und damit nur eingeschränkte Möglichkeiten hatte. Gegenüber Autosport spricht Tarquini jedenfalls von einer ziemlich regelmäßigen Demütigung.
Das große Abenteuer Formel 1
"Wenn man das Vorqualifying nicht überstanden hat, wurden deinem Team die Akkreditierungen für das Fahrerlager weggenommen. Du konntest nicht mal mehr an die Strecke", erklärt der Italiener und merkt an: "Das war ein großes Problem für die Sponsoren, die so kaum ein Rennen verfolgen konnten. Wir haben uns stets gefragt, woher das nächste Budget stammen würde. Es war ein täglicher Überlebenskampf."
Sowohl bei Osella (1987) und Coloni (1988) als auch bei AGS (1989-1991), Fondmetal (1991-1992) und Tyrrell (1995), wo Tarquini ein letztes Formel-1-Gastspiel als Ersatzmann gab, waren positive Momente eine Seltenheit. "Ich ließ mich davon aber nicht nach unten ziehen", sagt Tarquini heute. Damals sei er schließlich noch ein junger Bursche gewesen. "Und es war alles ein großes Abenteuer."
"Ich hätte mir ja nicht träumen lassen, es einmal in die Formel 1 zu schaffen. Und ich dachte stets, dass es bald besser werden würde", meint der Rennfahrer aus Giulianova, der im Alter von 25 Jahren seinen ersten Grand Prix bestritt. Als 33jähriger sagte er der Formel 1 dann endgültig Lebewohl. Ihm sei klar geworden, dass seine Grand-Prix-Chance vorbei war. Und er sieht es realistisch.
Tarquini hinterließ eine kleine Spur
"In der Formel 1 machst du entweder einen großen Sprung oder du verschwindest von der Bildfläche. Doch auch wenn ich nie ganz vorn gestanden habe, bedauere ich das nicht", sagt Tarquini. "Ich habe einige sehr schöne Erinnerungen und freue mich darüber, gepunktet zu haben. Denn auf ganz kleine Weise habe ich damit eine kleine Spur in der Geschichte der Formel 1 hinterlassen." Das war in Mexiko 1989.
Dort fuhr Tarquini im AGS-Boliden als Sechster über die Linie und holte seinen einzigen WM-Punkt. "Ansonsten würden die Leute vielleicht nicht mal wissen, dass ich überhaupt dabei war", meint der Italiener, der in der Formel 1 durchaus turbulente Jahre erlebt hat. Zum Beispiel bei AGS, wo nicht immer klar gewesen sei, wer denn gerade der Teameigner war oder wer für das Projekt bezahlt.
"Es war verrückt", sagt Tarquini rückblickend. "Wir kamen zu einem Grand Prix und erfuhren vor Ort, dass das Team während unserer Reise verkauft worden war." Manchmal habe man auch schlicht und ergreifend nicht das nötige Kleingeld gehabt, um überhaupt anzutreten. "Das Schlimmste war mal in Phoenix, wo wir eine Spendensammlung durchführen mussten, um den Sprit zu bezahlen ..."
Im Tourenwagen eine Klasse für sich
Mit seinem Wechsel in den Tourenwagen-Sport ließ Tarquini dergleichen jedoch hinter sich. Beim Fahren mit Dach mauserte er sich rasch zu einer festen Größe. 1994 siegte er in der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft, wurde 2003 Tourenwagen-Europameister, ehe er, 25 Jahre nach seinem WM-Triumph im Kartsport, endlich sein Ziel erreichte und mit Seat auch die Tourenwagen-Weltmeisterschaft gewinnen konnte.
Über 25 Jahre nach seinem ersten Formel-1-Rennen scheint ihn der Rennsport noch immer so zu faszinieren, dass er nicht ans Aufhören denkt. Erst im vergangenen Jahr hat er nochmals einen neuen Werksvertrag unterschrieben, bei Honda in der WTCC, wo er ab 2013 erneut nach dem WM-Titel greift. Dabei ist er bereits seit langem ältester WTCC-Rennsieger und, wie erwähnt, ältester Weltmeister.
Sein Einjahres-Vertrag, so sagt Tarquini, halte ihn dabei perfekt auf Trab. "So habe ich die Chance, aufzuhören, wenn mich das Gefühl beschleichen sollte, nicht mehr schnell genug zu sein. Diese Frage stelle ich mir fortwährend. Bisher hat sich mein Alter aber nie nachteilig ausgewirkt. Es ist vielmehr ein Vorteil. Ich bin so schnell wie eh und je, habe jedoch mehr Erfahrung." Und eine einmalige Geschichte.