MOTORSPORT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

"Reversed Grid" verspräche Spektakel

Der Grand Prix von Ungarn war wegen des Chaos spannend, doch ist eine umgekehrte Startaufstellung der einzige Weg, dies öfter zu sehen?

Der Ausgang der Formel-1-WM 2014 wird sich in acht Rennen binnen 14 Wochenenden entscheiden, beginnend am Sonntag mit dem Grand Prix von Belgien. Sollten einige der Events so dramatisch wie Ungarn sein und der WM-Kampf so packend bleiben wie bisher, wird die Saison 2014 als Klassiker in Erinnerung bleiben.

Doch der Grat zwischen dramatischen, denkwürdigen Rennen und dem alltäglichen Im-Kreis-Fahren ist so dünn wie eine Rasierklinge. Man muss nur auf den Grand Prix von Ungarn zurückblicken, der die Formel 1 auf einem Hoch in die Sommerpause entließ. Hätte Marcus Ericsson seinen Caterham nicht in Kurve 4 der achten Runde in die Barriere geworfen, wäre das Safety Car nicht herausgekommen, was Nico Rosberg, Valtteri Bottas, Sebastian Vettel und Fernando Alonso in Probleme gebracht hat.

Es hätte keinen spektakulären Sieg für Daniel Ricciardo gegeben, nachdem er Lewis Hamilton und Alonso überholt hatte, es hätte keine Teamorder-Kontroverse bei Mercedes gegeben, und vermutlich hätte es auch kein zweites Safety Car wegen Sergio Pérez gegeben, der sich in die Boxenmauer gedreht hatte. Man hätte also auch keinen Alonso gesehen, der auf gebrauchten Pneus eine unglaubliche Fahrt hingelegt hat, um seine Chance auf den Sieg zu bewahren, und man hätte auch nicht die amüsant schwachen Wettervorhersagen von McLaren mitbekommen.

Stattdessen hätte man gesehen, wie Rosberg mühelos gewinnt, da er bereits neun Sekunden Vorsprung hatte. Es wäre um die ersten Boxenstopps herum ein wenig interessant geworden, da die Fahrer, die zu früh oder zu spät auf Trockenreifen gegangen wären, an Boden verloren hätten – doch das ist nichts im Vergleich zu jenem Spektakel, das man geboten bekommen hat. Abgesehen davon und der Spannung, wie weit nach vorne sich Hamilton noch hätte kämpfen können, hätte es wenig Interessantes gegeben. Es wäre ein weiteres normales Rennen geworden.

Kurz gesagt war es Glück, dass das Rennen so spektakulär war. Und das war es auch nur, weil sich alles verschoben hat. Autos waren abseits ihrer normalen Position, und man hat einige extreme Unterschiede bei den Boxenstoppstrategien gesehen. Langsamere Autos haben versucht, vor den schnelleren zu bleiben, und nicht vergessen darf man die große Namen auf frischen Reifen gegen Ende des Rennens – alles in allem eine Formel für einen aufregenden Grand Prix.

Und während die Formel 1 damit beschäftigt ist, sich selbst in einem Anfall von zerstörerischer Selbstanschauung zu zerfleischen, wird die Frage aufgeworfen, wie man sicherstellen kann, dass Rennen wie auf dem Hungaroring zur Norm werden – und natürlich, was der richtige Weg ist, die Formel 1 dahin zu steuern.

Bislang war der Saisonverlauf 2014 packend, aber die hohe Anzahl an Beschwerden des lauteren Teils der Formel-1-Fangemeinde zeigt, dass er nicht gut genug war. Sollte dies eine repräsentative Ansicht sein – und fachgemäße Untersuchungen sind vonnöten um sicherzustellen, dass nicht bloß die lautesten Stimmen gehört werden –, wie kann die Formel 1 dann sicherstellen, dass ihr Produkt diese Erwartungen erfüllt?

Das Beispiel Hungaroring zeigt, wie schwierig es ist, die Show zu "würzen". Es ist einfach eine Frage der Kontrolle – beziehungsweise des Fehlens ebendieser. Technische Regularien – wie leistungsstärkere Motoren, die das Kontrollieren der Autos bei rutschigen Bedingungen erschweren, oder DRS – spielen dabei nur eine kleine Rolle. Der Großteil der Faktoren ist nicht kontrollierbar, sondern scheinbar zufällig.

Wetter? Das kann nicht zuverlässig kontrolliert werden – Sprinkler sind und waren nie eine gute Idee. Fahrer können auch nicht in "günstigen" Momenten zum Crash gezwungen werden – außer in ungewöhnlichen und berühmt-berüchtigten Umständen. Und man kann auch nicht dramatische Unterschiede bei der Strategie garantieren – und wenn, gibt es Kritik an den zu schnell abbauenden Reifen.

Welche Faktoren kann man also kontrollieren? Fragt man einen durchschnittlichen, ranghohen Ingenieur, die ja häufig für fehlende Ideen in den technischen Regularien kritisiert werden, werden viele sagen, dass es die sportlichen Regeln sind, die den größeren Einfluss auf das Produkt haben.

Doch während es laut gängiger Meinung einfach nur breite Reifen und drastisch beschnittene Aerodynamik bräuchte, um jedes Rennen in einen Grand Prix von Italien 1971 zu verwandeln, ist klar, dass das technische Reglement nicht so einflussreich ist, wie man vielleicht glauben möchte. Formel-1-Teams – selbst die Hinterbänkler – sind ziemlich clever und würden schon bald den besten Weg herausfinden, wodurch es wieder einmal auf Kleinigkeiten ankäme, die den Unterschied ausmachten.

Beim sportlichen Reglement gibt es nur eine Sache, die man steuern kann: eine durchmischte Reihenfolge. Die Tradition, Autos nach ihrem Trainingsspeed aufzureihen, ist keine natürliche Charaktereigenschaft des Rennsports. Das erste Vierteljahrhundert des Grand-Prix-Rennsports kam ziemlich gut ohne damit aus. Natürlich garantiert ein vermischtes Feld kein dramatisches Rennen – es wird nicht jedes Rennen zu einem Suzuka 2005 machen –, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit eines guten Rennens. Allein das ist es wert, die Idee in Betracht zu ziehen.

Dabei gibt es verschiedene Formen einer umgedrehten Startaufstellung. Überholen ist in seiner einfachsten Form eine Funktion des schnelleren Autos hinter einem langsameren. Erhöht man nun also die Wahrscheinlichkeit dafür, steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines dramatischen Rennens.

Es gibt verschiedene Formen, die eine vermischte Startaufstellung annehmen kann. Einige werden argumentieren, dass es ein "Gimmick", ein Trick, ein Gag ist. Das sind diese ärgerlichen, abwertenden Begriffe, über die Leute ein bisschen mehr nachdenken sollten, bevor sie damit herumwerfen. DRS wird als Gimmick beschimpft, und das durchaus zu Recht, da dem hinteren Auto dadurch ein völlig künstlicher Vorteil entsteht, aber man kann nicht bestreiten, dass es eine zweckmäßige Lösung des Problems der Dirty Air, der Luftverwirbelungen ist, über das sich bis vor fünf Jahren alle unaufhörlich beschwert haben.

Doch eine durchmischte Startaufstellung, die auf faire und gerechte Weise hergestellt wird, ist kein Gimmick. Wenn man eine Lotterie abhalten würde, um die Reihenfolge zu bestimmten, wäre das ungerecht. Darum ist auch das Saisonfinale mit seinen doppelten Punkten falsch, da es den Ausgang der Meisterschaft unfairerweise von einem von 19 Rennen stärker abhängig macht – in der Hoffnung, so einen Titelshowdown kreieren zu können (und um die doppelte Promotergebühr zu kassieren).

Die Aufstellung ordentlich umzukehren, wäre also ein enormer kultureller Wandel in der Formel 1, auch wenn ähnliche Formate in anderen Motorsportformen (z.B. der GP2 Series oder der Tourenwagen-WM) bereits seit Längerem genutzt werden. Es wäre ein großer Schritt, aber faszinierend zu sehen, wie die Formel 1 ernsthaft analysiert, ob diese Idee tragbar wäre. Es gäbe vielleicht ein paar Nachteile: Viele würden möglicherweise sagen, dass die mutmaßlichen Vorteile eines solchen Systems den potenziellen Verlust des Qualifyings nicht ausgleichen würden. Darum sollte man eine solche Entscheidung genau evaluieren.

Leider würde dies Nachforschung, Verständnis und die Anwendung von Härte erfordern, die zu produzieren die Formel 1 allerdings nicht in der Lage zu sein scheint. Stattdessen würde es weitere endlose Diskussionen geben, in denen Leute mit Ideen um sich werfen, unbegründete Behauptungen aufstellen und letztendlich Entscheidungen ohne notwendige Sorgfalt treffen.

Das alles ist Teil einer größeren Debatte darüber, was die Formel 1 sein sollte. Es ist eine, die eher auf Verstehen aufgebaut sein sollte anstatt auf vagen Ideen und nostalgiegetriebenen Versuchen, die Vergangenheit zu reproduzieren. Die Formel 1 war schon immer vorrausschauend. Allerdings wird dafür klares Denken benötigt, welches im Moment offenbar nicht vorrätig ist.

Für die Formel 1 ist es an der Zeit zu verstehen, welche Dinge richtig und welche falsch laufen. Wenn – und das ist ein großes Wenn – das Racing an sich das Hauptproblem ist, wie einige unermüdlich behaupten, wäre eine umgedrehte Startaufstellung eine Idee, über die man nachdenken sollte. Es geht nicht einfach darum, Leute zu fragen, was sie wollen. Man muss zu funktionellen Grundsätzen gelangen.

Die Schlüsse sollten tiefer gehen, als ständig mit Worten wie "Gimmick" oder "künstlich" um sich zu werfen, die nur Platzhalter für Argumente sind, die eingehender artikuliert und untersucht werden müssten. Selbst wenn die Einführung der umgedrehten Startaufstellung eine gültige Idee wäre – was sie ist, weil sie viel mehr Rad-an-Rad-Kämpfe bieten würde – und als richtiger Weg beschlossen werden würde, wäre sie kein Allheilmittel.

Stattdessen müsste sie Teil einer weiteren Strategie des Sportes werden, denn dieser läuft Gefahr, den kompletten Sinn dessen zu verlieren, was er eigentlich zu sein versucht – ein Sport, bei dem es buchstäblich ums Im-Kreis-Fahren geht, darf nicht auch bildlich gesehen so werden, wenn er dauerhaft Erfolg haben will.

News aus anderen Motorline-Channels:

Formel 1: Kommentar

Weitere Artikel:

Zwischen Fortschritt und Nostalgie

Die V10-Debatte aus Fahrersicht

Die Gespräche über eine Rückkehr der Formel 1 zu V10-Motoren ebben nicht ab - Für einige Fahrer geht es dabei vor allem um leichtere und agilere Rennwagen

Fluch-Konflikt beigelegt?

Kompromissangebot von bin Sulayem!

FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem zeigt sich bezüglich des kontroversen "Fluchverbots" kompromissbereit - Erfolg jetzt die Einigung mit den Fahrern?

Lewis Hamiltons Zorn auf Ferrari ist in Miami 2025 das Thema des Grand Prix, das den Sieg von Oscar Piastri nach packendem Fight gegen Max Verstappen überlagert

Beim Saisonauftakt im Oulton Park ereignet sich nach dem Start ein Unfall mit elf Fahrern - Zwei Fahrer verlieren ihr Leben, ein weiterer erleidet schwere Verletzungen