Analyse WRC-Sprintformat | 08.06.2024
Analyse: Hat das WRC-Sprintformat bei der Rallye Italien funktioniert?
Meinungen von Fahrern und Teamverantwortlichen aus der Rallye-WM zum erstmals ausprobierten Kompaktformat, das auf Sardinien so kompakt gar nicht war ...
Bei der Rallye Italien auf Sardinien wurde am vergangenen Wochenende erstmals in der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) ein kompakteres Wochenendformat getestet. Hintergrund: Die vom Automobil-Weltverband (FIA) ausgerichtete Rallye-WM strebt ab der Saison 2025 mehr Abwechslung hinsichtlich der Längen der Rallyes an.
Nun, da sich der Staub von einer Veranstaltung gelegt hat, welche den knappsten Zieleinlauf in der Geschichte der WRC egalisiert hat, werden WRC und FIA gemeinsam auswerten, wie das Sprintformat mit lediglich 266,12 Kilometern in einem Zeitraum von 48 Stunden im Detail funktioniert hat.
Die Erprobung eines kürzeren Wochenendformats war der jüngste Schritt, die Attraktivität der Rallye-WM als Ganzes zu steigern. Nebeneffekt einer kürzeren Veranstaltung ist eine leichte Kostenersparnis für die Teams, da das Personal später als üblich vor Ort sein muss.
Im Vergleich zum Vorjahr war die diesjährige Rallye Sardinien 54 Kilometer kürzer. Sie umfasste 16 Wertungsprüfungen (WP). wohingegen es im Jahr 2023 noch deren 19 waren. Die größten Änderungen betrafen den Freitag, an dem ein Shakedown und vier WPs stattfanden, bevor die Teams am Samstag acht Prüfungen in Angriff nahmen. Am Sonntag ging die Rallye mit vier WPs und einem Zieleinlauf am Mittag zu Ende. In Wahrheit ging es bei der Veranstaltung eher darum, eine fast normale Rallye in einen Zeitraum von 48 Stunden zu packen.
Alle Befürchtungen, dass das Konzept weniger Action oder Dramatik bieten würde, wurden schnell zerstreut. Die Rallye war brutal wie eh und je und bot eine Fülle von Geschichten, bevor sie einen der dramatischsten Zieleinläufe der WRC-Geschichte lieferte, indem Ott Tänak mit 0,2 Sekunden Vorsprung auf Sebastien Ogier triumphierte. Es wäre unfair zu behaupten, dass dieses unglaubliche Finale eine direkte Konsequenz des Sprintformats war. Der überwältigende Eindruck im Servicepark aber ist, dass die Show nach wie vor den Standards einer traditionellen Rallye entsprach.
"Ich glaube, das Format funktioniert. Und ich glaube nicht, dass sich jemand benachteiligt fühlen wird, obwohl es einen halben Tag weniger gab", sagt Toyota-Pilot Elfyn Evans und fügt hinzu: "Ich bin mir nicht sicher, ob das die beste Rallye war, um es auszuprobieren, aber die Idee war trotzdem gut."
Insgesamt findet das Konzept, eine Rallye am Freitagnachmittag zu starten und am Sonntagmittag zu beenden, bei den Beteiligten große Unterstützung. Die FIA hat dem Format bereits ein positives Zeugnis ausgestellt und erklärt, dass es Potenzial für die Zukunft habe.
"Ich finde, dass das Konzept gut war und ich glaube, dass so ziemlich jeder einen Tag später gekommen ist, als man es normalerweise tun würde. Trotzdem fühlt sich die Rallye immer noch als eine echte Herausforderung an", sagt Andrew Wheatley, FIA-Direktor für Straßensport, gegenüber der englischsprachigen Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network.
"Ich glaube aber nicht, dass wir das überall machen können. Vielleicht sollten wir es auch nicht überall machen, aber es ist ein Prozess, der bisher ziemlich erfolgreich war", so Wheatley, der herausstellt: "Ziel ist es, den Veranstaltern die Möglichkeit zu geben, etwas anders zu machen. Dieses Konzept hat gezeigt, dass es Potenzial hat."
In der Tat hat die Rallye Sardinien Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt, sollten andere Veranstaltungen dieses Format in Zukunft übernehmen. Einige der Kritikpunkte beziehen sich allerdings auf die besonderen Umstände der Rallye, die eine ungewöhnliche Route aufwies. Anstelle der traditionellen Vormittags- und Nachmittagsschleifen mit drei oder vier Wertungsprüfungen, die durch einen Service unterbrochen werden, wurden am Freitag und Samstag jeweils zwei Prüfungen zweimal befahren.
Diese Schleifen wurden nicht durch einen Service unterbrochen, sondern durch einen einfachen Sammelplatz beziehungsweise (samstags) eine Reifenwechselzone. Das hatte man erzwungen, sodass das gesamte Feld (81 Autos) die Wertungsprüfungen absolvieren konnte, bevor die Schleife erneut in Angriff wurde. Während es für die Fans von Vorteil war, da sie mehr Blicke auf die Autos in Aktion erhaschen konnten, wurden diese beiden Tage für Fahrer und Teams dadurch länger.
Am Samstag wurde das Problem besonders deutlich, denn die Crews hatten zuvor nur etwa vier Stunden Schlaf, bevor sie vom Servicepark in Alghero zur ersten Wertungsprüfung aufbrechen mussten. Die begann um 7:41 Uhr morgens. Die letzte Prüfung des Tages startete um 18:05 Uhr. Wenn man die Verbindungsstücke vom Servicepark zu den Wertungsprüfungen und die Rückfahrt mit einbezieht, war es mehr oder weniger ein 14-Stunden-Tag im Auto. Dieses Pensum wird von den Crews als besorgniserregend bezeichnet.
So sagt M-Sport-Teamchef Richard Millener gegenüber der englischsprachigen Ausgabe von Motorsport.com: "Wir wollen nicht, dass jede Rallye kurz ist. Wir müssen nicht 300 Kilometer nur der 300 Kilometer wegen fahren. Es war eine weitere fantastische Rallye mit einem anderen Format, das gut funktioniert hat. Die einzige Änderung, die ich vornehmen würde, wäre: Dieses Format bei Rallyes anzuwenden, die eine traditionellere Drei- oder Vier-Prüfungs-Schleife anbieten können."
"Ich glaube", so der M-Sport-Teamchef, "der Grund hier war die Anzahl der Sportwarte auf der Insel. Es ist ein sportliches Problem, das wir recht einfach lösen können. Das würde den Tag verkürzen und das wäre großartig". Toyota-Teamchef Jari-Matti Latvala lobt das Konzept, schließt sich aber der Forderung Milleners an, "nächstes Jahr einen Service anstelle einer 15-minütigen Reifenwechselzone" einzuführen.
Ein Service nämlich hätte verhindert, dass Takamoto Katsuta infolge eines Öllecks, das während in der Reifenwechselzone nicht behoben werden konnte, aus der Rallye ausscheidet. Katsuta selbst betont, dass die Route sowohl für die Crews als auch für die Autos anspruchsvoll war. Aber auch diese Kritik bezieht sich nicht auf das kürzere Rallye-Konzept selbst.
"Bei dieser Art von Rallye verstehe ich nicht, warum wir keinen Mittagsservice haben, denn der ist sehr wichtig. Gleichzeitig haben wir Fahrer und Beifahrer keine Zeit zum Essen und keine Zeit zum Ausruhen", so Katsuta und weiter: "Ein ganzer Tag im Auto ist nicht angenehm. Es waren sehr schwierige Bedingungen." Diese Meinung vertritt auch Hyundai-Pilot Dani Sordo, der sagt: "Ich finde, das Format ist gut. Ich finde es aber wichtig, die Zeiten besser zu managen."
Derjenige, der sich vielleicht am kritischsten über das Sprintformat äußert, ist M-Sport-Pilot Adrien Fourmaux. Er fordert längere Wertungsprüfungen, die der WRC angemessen sind, anstatt mehrere kurze WPs zu absolvieren. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Streckenführung, die zu überdurchschnittlich langen Tagen geführt hat.
"Ich mag es nicht, weil wir ja nicht mehr Zeit für die Zuschauer haben. Es ist zweieinhalb Tage lang sehr hektisch und wir haben noch weniger Schlaf als vorher", sagt Fourmaux gegenüber der englischsprachigen Ausgabe von Motorsport.com.
"Alex (Beifahrer Alex Coria; Anm. d. Red.) hatte in der Nacht von Freitag auf Samstag nur vier Stunden Schlaf und der Samstag war ein sehr langer Tag. Ich würde lieber eine Rallye haben, bei der wir die ganze Nacht hindurch fahren. Wenn man stattdessen die letzte Prüfung des Tages um 19 Uhr hat und die nächste um 7 Uhr morgens, dann sehen die Leute nicht die Herausforderung dahinter", so der M-Sport-Pilot.
"Wir haben all die Verbindungsstücke zurück zum Servicepark, müssen dann eine Nachbesprechung mit dem Team abhalten, dann schlafen gehen und dann wieder sehr früh aufstehen, weil wir ein langes Verbindungsstück zur ersten Etappe haben. Die Leute sehen das nicht. Wenn wir aber eine Etappe die Nacht hindurch hätten, dann würden die Fans sagen: 'Boah, wie cool!'", sagt Fourmaux.
"Wenn sie die Rallyes verkürzen wollen", so der M-Sport-Pilot weiter, "dann wäre es schön, wenn wir längere Prüfungen hätten. Das ist schließlich die Rallye-Weltmeisterschaft und keine regionale Rallye-Meisterschaft. In der WRC sollten die Prüfungen 50 Kilometer, 40 Kilometer oder 30 Kilometer lang sein. Wir haben zu viele Prüfungen, die zum Beispiel zwölf Kilometer lang sind. Ich finde, wir sollten längere WPs haben, dann müssten wir nicht so viele fahren. Dann bräuchten wir weniger Zeit, würden aber immer noch die gleiche Anzahl von Kilometern fahren".
Die Vorschläge von Fourmaux sind sicherlich ein Denkanstoß für die Organisatoren. Das ist nicht zuletzt ein Grund, weshalb Formate getestet werden. Die Formel 1 ist ein gutes Beispiel dafür. Als sie 2016 beim Grand Prix von Australien erstmals ein Qualifying mit Knockout-Format einführte, wurde es rasch überarbeitet. Aus den Erfahrungen wurde gelernt und das Konzept zu dem spannenden Format verfeinert.
Die Lektion, die wir bei der Rallye Sardinien gelernt haben: Das 48-Stunden-Format besitzt echtes Potenzial, aber es braucht die passende Route dafür.