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Hanide Adam 1946-2014

Über die Kunst des Loslassens

Ein persönlicher Kommentar zum Ableben von Hanide Adam: Über die hohe Kunst des Loslassens. Als Akt der Güte. Und im Zeichen der vollkommenen Liebe…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Stiplovsek, Photo4

Es war an einem frühen Nachmittag auf unserer England-Tournee. Ein Teil der Band schlief noch, mit dem anderen machten wir einen Spaziergang. Die Tour führte von London in den Süden, nach Folkstone. Dort gab es, direkt am Meer, einen alten Rummelplatz. In der Nacht gab es hier die Abschlussparty unserer kleinen, aber feinen Tournee, Wehmut kam auf. Jetzt, im Lichte des Tages, konnte man erst so richtig wahrnehmen, wie schön es an diesem Platz doch war. Wenn man dort den Blick in die Ferne lenkt, erkennt man die Umrisse von Frankreich. Dort stand ich also und blickte auf das Meer, die Zeit schien still zu stehen, die Wehmut verschwand - und auf einmal war sie da, diese Zeile: „Let loose and dance the Sea“.

Diese Zeile hat sich bis heute im Repertoire gehalten, sie steht für die Kunst des Loslassens – für die Kunst, für einen Moment oder auch für länger, alle Sorgen über Bord zu werfen und einfach nur zu sein. Aber auch dafür, das ewige Streben zu unterbrechen und das Erreichte zu genießen. Das Meer zu tanzen – dieses Meer, das es schon so lange gibt und an dem all unsere Alltagssorgen abprallen, weil es einfach zu groß, zu weit dafür ist…

Der Kunst des Loslassens begegnet man nur selten. Im letzten Sommer jedoch war sie auf einmal wieder da – ich begegnete ihr in einem Telefonat mit Hanide Adam. Zufällig, weil Kurt gerade nicht da war. Wir haben uns nicht allzu oft gesehen. Ab und zu im Servicepark. Und bei einem – wunderschönen – Doppel-Interview mit Kurt, als Kurt und Hanide noch gemeinsam Rallyes fuhren.

Es war ein langes Telefonat. Hanide sprach dermaßen offen über ihre Krankheit, ihre Situation, sodass ich, der Unversehrte, mit den Tränen zu kämpfen hatte – während sie locker drauflos plauderte. Details werden hier natürlich keine genannt, nur so viel: Hanide wusste, dass sie unheilbar krank ist. Ihr geliebtes Copiloten-Dasein, in dem sie erblühte, in dem sie Menschen mit kleinen Gesten große Freude bereiten konnte, musste sie aufgeben. Sie konnte nicht einmal mehr zu den Rallyes fahren, um wenigstens als Zuschauerin ihrem Kurt und seiner neuen Copilotin die Daumen zu drücken.

Und dann sprach Hanide: „Ich sag dir jetzt etwas: Weißt du, ich lasse meinen Kurt an der ganz langen Leine. Er soll das Leben und den Rallyesport weiter genießen. Warum sollte er unter meiner Krankheit leiden? Das würde ich nicht aushalten, das könnte ich nicht mit ansehen. Nein, er soll raus, er soll fahren, er soll leben. Und ich sage das nicht ganz uneigennützig: Denn wenn er dann heimkommt, so erfüllt, so voller Leben - dann kann er mir viel mehr geben, viel mehr helfen, als wenn er hier Trübsal blasen würde. Für ihn ist es ganz sicher nicht leicht - aber er ist ein tapferer Mann, ich mache mir um ihn keine Sorgen.“

Ja, es ist ein Teil eines privaten Gesprächs. Ein kleiner Teil. Doch ich finde, er gehört raus. In die weite Welt. Auch, um anderen Menschen, denen es vielleicht ähnlich ergeht, die in einer Situation sind, in der die Luft immer dünner wird, Mut zu machen. Was Hanide Adam in den schwierigen, knochenharten letzten Jahren ihres Lebens praktiziert hat, war die ganz hohe Kunst des Loslassens. Hier muss nicht applaudiert werden – viel mehr in ihrem Sinne wäre es wohl, wenn wir alle zumindest versuchen würden, uns eine kleine Scheibe davon abzuschneiden. Jetzt. Und nicht erst morgen…

Unseren Nachruf auf Hanide Adam finden Sie im Menü rechts oben.

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