
Vernetzung und Datenschutz im Auto | 01.06.2016
Im Glashaus
Der Datenkrake breitet seine Fangarme in Richtung aller Autos aus. Auslöser dafür ist das bald verpflichtende Notrufsystem „eCall“.
Text: Georg Koman
Fotos: BMW (3), Mercedes-Benz (1), ÖAMTC (1), Opel (1)
Glasshouse – also Glashaus – nennt man im englischen Sprachraum den verglasten oberen Teil des Autos. Doch im Glashaus sitzt man als Autofahrer auch in datentechnischer Hinsicht, da können die Scheiben noch so sehr abgedunkelt sein. Denn nicht nur das Handy, auch das Auto selbst erweist sich als fleißiger Datenverbreiter.
Ermöglicht wird das durch eine fix im Auto verbaute SIM-Karte – und eine solche wird ab dem 31. März 2018 gesetzlich vorgeschrieben sein. An diesem Tag tritt nämlich eCall (= emergency call) in Kraft, ein von der EU beschlossenes System, das im Fall eines schweren Unfalles – angezeigt durch die Crash-Sensoren – eine automatische Verbindung mit der Euronotrufnummer 112 aufbaut.
Dabei werden sämtliche relevanten Daten wie Unfallort oder Fahrtrichtung weitergegeben. Gleichzeitig gibt es Sprechkontakt und das System kann in Notsituationen ohne Crash auch manuell ausgelöst werden.
An sich eine moralisch hochwertige Sache, die großes Potenzial hat, die Zahl der Verkehrstoten zu senken. Nach menschlichem Ermessen sollte eCall auch nicht unnötig Daten weitergeben, weil es ein „schlafendes System“ ist, das nur im Anlassfall aktiv wird.
Doch jetzt kommt das große Aber: eCall sollte schon viel früher umgesetzt werden, zuletzt war 2015 fix im Gespräch, seine Einführung hat sich aber immer weiter verzögert. In den Augen des ÖAMTC-Verbandsdirektors Oliver Schmerold (Bild unten) hat das einen klaren Grund: „Die Autohersteller wollten ihre eigenen Systeme einsetzen und haben bei der EU daher immer weitere Verzögerungen durchgesetzt.“
Und siehe da: Tatsächlich erlaubt die EU nunmehr ganz offiziell hersteller-eigene Notrufsysteme. Diese sind inzwischen schon im Einsatz: BMW machte den Anfang, Mercedes und Audi zogen bald nach, inzwischen kam man bereits in der Mittelklasse an – inklusive bereits gut eingeführten Namen wie „OnStar“ (Opel) oder „SYNC“ (Ford – funktioniert vorerst nur in Verbindung mit dem Smartphone).
Man kann also davon ausgehen, dass bis 2018 alle europäischen Autohersteller ihre eigenen Systeme am Start haben werden. Ebenso natürlich die beiden US-Firmen mit eigenen europäischen Werken – also Ford und Opel – sowie ein paar flinke Asiaten: Toyota ließ erst kürzlich mit der Nachricht aufhorchen, man gründe ein eigenes Datenunternehmen in Kooperation mit Microsoft.
Und eines sind diese Herstellersysteme ganz sicher nicht: schlafend. Sie locken die Kunden mit diversen Zusatzdiensten bis hin zu Concierge-Varianten, über die man etwa während der Fahrt an sein Ziel dem Concierge eine dortige Hotelbuchung auftragen kann.
Klingt an sich alles nach rosiger Zukunft, wenn der Sache nicht der üble Beigeschmack potenzieller Datenschutzverletzungen anhaften würde. Drei Ebenen sind es, die das Interesse von Außenstehenden wecken und die Autofahrer allzu transparent machen können: Die Fahrwege und Orte, an denen man sich aufhält, der technische Umgang mit dem Auto und das Verhalten in Sachen Straßenverkehrsordnung.
Um diese Ebenen transparent zu machen, benötigt man technische Voraussetzungen, die dann allesamt gegeben sein werden oder schon gegeben sind: Eine SIM-Karte, um überhaupt erst online zu sein. GPS (Satellitenverbindung), um die Orte zu erfassen, an denen man sich aufhält. Und diverse Sensoren, die über die dynamischen und technischen Befindlichkeiten des Autos Auskunft geben.
Bezüglich der korrekten Bedienung des Autos sind bereits Fälle bekannt, in denen Premium-Hersteller den Kunden Nachrichten ins Auto schicken, dass man es sorgsamer einfahren solle, da ansonsten die Garantie gefährdet sei. So etwas hält ÖAMTC-Chef Schmerold für „überzogen“, allerdings sei die Garantie eine freiwillige Leistung der Hersteller, rein rechtlich bewegten sie sich damit wohl auf sicherem Terrain. Zumal diese Art der Überwachung irgendwo im Kleingedruckten des Kaufvertrages stehen wird.
Hier hakt der ÖAMTC ein und will künftig Kaufverträge in Sachen Datenübertragung genau prüfen. Das Ziel sei eine klar verständliche, standardisierte Formulierung. Zu klären sei außerdem, wer die Daten erhalte. Denn eines müsse laut Schmerold klar sein: „Die Daten gehören dem Fahrzeughalter, nicht dem Hersteller.“ Die Autobosse schlügen nur vermeintlich in dieselbe Kerbe, indem sie gegen die „Datenkraken“ Google und Apple wetterten, in Wahrheit laute ihre unausgesprochene Message aber: „Die Daten gehören den Fahrzeughaltern UND den Herstellern.“
Die Orte, an denen man sich aufhält, können für die Werbewirtschaft interessant sein (Monte Carlo oder doch eher Wien-Simmering?) und in letzter Instanz natürlich auch für das Lösen von Kriminalrätseln. Was es allerdings bereits heute in Form der Handy-Datenerfassung gibt. Daten, die von den Telefonprovidern gespeichert und im Fall eines Gerichtsbeschlusses – ergeht nur bei schweren Verbrechen – freigegebenen werden müssen.
Die Überwachung des Umgang von Autofahrern mit der Straßenverkehrsordnung wiederum lässt bei Oliver Schmerold alle Alarmglocken läuten: „Dies könnte vielleicht der Verkehrssicherheit dienen, allerdings ist die gesellschaftliche Akzeptanz dafür einfach nicht gegeben.“
Leidgeprüfte Autofahrer wissen ja, dass der Fokus staatlicher Instanzen dann weniger auf der Verkehrssicherheit, als vielmehr auf deutlich erweiterten Abkassier-Möglichkeiten läge. Angefangen vom Road-Pricing bis hin zur monatlich ins Haus flatternden Verkehrsstrafen-Abrechnung – plötzlich rückt die Horrorvision des totalen Überwachungsstaates in Sichtweite.
Auch Haftpflicht- und Kasko-Versicherungen zeigen bereits große Daten-Neugier. Im heurigen März stellte der Verband der Deutschen Versicherungswirtschaft einen Unfallmeldedienst vor. Das System besteht aus einem Stecker, der an den Zigarettenanzünder angeschlossen wird, und einer Smartphone-App. Der sensorbestückte Stecker erkennt einen Unfall und informiert dann über das Smartphone eine Notrufzentrale.
Böse Zungen sprechen von einem „eCall für Altautofahrer“. Dennoch eine gute Idee, wären die Versicherungen nicht an viel mehr Daten interessiert. Bereits jetzt kann man sich vernetzen lassen, um durch bewiesene brave Fahrweise die Polizzengebühren zu senken. Oliver Schmerold hält das für einen „Schuhlöffel“, denn: „Nur 'die Guten' zu belohnen, kann sich rein rechnerisch für Versicherungen nicht lange ausgehen. Daher wird man irgendwann dazu übergehen wollen, 'die Bösen' in Form erhöhter Versicherungsbeiträge zu bestrafen.“
In einer eigenen Mitgliederbefragung erhob der ÖAMTC, dass große Mehrheiten bei einem Unfall selbst die Art der Pannenhilfe festlegen und bei notwendigen Reparaturen auch eine zweite Meinung hören wollen. Die Autofahrerklubs arbeiten deshalb ebenfalls daran, die Herstellerdaten zu erhalten. Entweder direkt von den Autofirmen oder über eine OBD-Schnittstelle, die technische Fahrzeugdaten direkt an die gerade in Erstellung befindliche Server-Infrastruktur „Intelematics Europe“ sendet.
Auch bietet der ÖAMTC seinen Mitgliedern über eine App bereits heute ein exaktes Stauservice – die anonymisierten „Freeflow“-Daten kauft man vom Telefonprovider A1. Über die Bewegungen der Handys, die A1 nutzen, ist man über die Flussgeschwindigkeit des Verkehrs informiert – nichts anderes macht Google im Routenplaner seiner „Maps“, nur eben mit den Daten aller Handys mit „Android“-Software.
Kein Wunder, dass viele Menschen schon heute ein mulmiges Gefühl bezüglich der Datenerfassung haben. Die FIA-Untersuchung „My Car my Data“ ergab, dass 94 Prozent der Befragten den Datenfluss auch abdrehen können wollen. ÖAMTC-Verbandsdirektor Schmerold: „Wir sind daher für ein 'opt in' anstatt des üblichen 'opt out'“
Sprich: Man soll aktiv wählen müssen, ob und welche Daten weitergegeben werden, anstatt dies in irgend einem Untermenü eventuell ausschließen zu können. Da sich „opt out“ in der digitalen Welt allerdings fest verankert hat – von Smartphone-Apps bis zu diversen Newslettern –, wird das ein steiniger Pfad werden, der ohne politische und gerichtliche Hilfe kaum zu erklimmen sein wird.