
Neuentwicklung: VE-Mechatronic Brake | 27.05.2009
Kosten-Bremse
Hi-Tech aus Wien: die Firma Vienna Engineering zeigt den Prototypen eines neuen Bremssystems - hat die Hydraulik bald ausgedient?
Wofür wird beim Autofahren mit die meiste Energie aufgewendet? – Das hätten wir auch gesagt. Aber nicht das Beschleunigen des Fahrzeuges verpulvert die meiste Kraft, sondern der Bremsvorgang: eine konventionelle hydraulische Bremsanlage muss für sozusagen stinknormale Bremsvorgänge den Kraftaufwand von mehreren Tonnen aufbringen.
Heutige Bremssysteme erfordern großen Aufwand, außerdem gibt es keine direkte Schnittstelle in die "Welt" der Elektrik. Und auch wenn der Verbrennungsmotor noch lange nicht zum Alteisen gehört, wird die Zukunft in verstärktem Maß dem E-Antrieb gehören.
Warum bremsen wir also bislang so? Weil es noch nicht Besseres gibt, wäre darauf die übliche Antwort. Die Entwicklungsfirma Vienna Engineering sieht das anders und geht jetzt mit einem ersten Prototyp eines prinzipiell anderen Bremssystems an die Öffentlichkeit. Das Zauberwort heißt "mechatronisch".
Brake by wire
Keine Hydraulik mehr, keine mechanische Verbindung vom Bremspedal zur Bremse selbst, und ein erstaunlich niedriger Energieaufwand: die durchschnittliche Bremsung erfordert 50 Newton, also den "Kraftaufwand" von 5 Kilogramm – im Vergleich zu mehreren Tonnen beim heutigen System.
Eine Betätigungsenergie von 10 Wattsekunden lässt sich leicht in Relation setzen: das handelsübliche Lamperl im Bremslicht verbraucht pro Sekunde 20 Watt, das wäre dann also der doppelte Energieverbrauch der Bremse selbst...
Die Liste der Vorteile geht weiter: die komplette hydraulische Installation fällt weg, damit klarerweise auch die benötigten Flüssigkeiten. Die deutliche Reduktion der bewegten Teile bedeutet weniger Aufwand in der Herstellung, weniger Verschleiß und höhere Zuverlässigkeit. Und: diese Bremse ist selbstverstärkend.
Hardware & Software
Es klingt alles fast zu gut, oder? Wo dem an heutigen Fahrzeugen geschulten Autofahrer vielleicht noch etwas mulmig wird (wie eine schnelle Umfrage in der Motorline.cc-Redaktion ergeben hat), ist der Gedanke des Bremsens sozusagen via Computer.Denn ein mechatronisches System lässt sich – noch ein Vorteil – direkt elektronisch steuern: Funktionen wie ABS, Feststellbremse oder Berganfahrhilfe wären hier nur mehr Software statt zusätzlicher Einbauten.
Der Gesetzgeber fordert mindestens zwei voneinander unabhängige Bremsanlagen im Fahrzeug, die sind hier gegeben: jede einzelne Bremse funktioniert unabhängig. Theoretisch würde damit sogar die separate Feststellbremse überflüssig.
Den Einwand "was ist bei Stromausfall?" kontern die Entwickler mit dem Verweis auf die spektakuläre Notlandung im Hudson River aus: dort wurde nach dem Ausfall aller Triebwerke ein Passagierflugzeug "by wire", mit Hilfe der vorhandenen Restenergie, zuverlässig gesteuert.
Der kleine Unterschied
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor würden bereits von einem solchen System profitieren, die große Zukunft der Mechatronik-Bremse sieht Vienna Engineering dann im Hybrid- oder Elektroauto.(Hiezu hat man übrigens auch noch einiges in petto, will sich aber noch nicht über Details äußern. Stichwort: range extender!)
Vollhybrid- und Elektrofahrzeuge benötigen zum Betrieb ihrer Bremsanlage heute eine separate Unterdruckpumpe. Technisch unelegant (das wäre uns im täglichen Leben wohl noch relativ egal), aufwändig in Herstellung und Betrieb, und verschwenderisch im Energieverbrauch – der zusätzliche Stromabnehmer knabbert munter am notorisch knappen Stromvorrat im Akku.
Den Soundbite des Nachmittages liefert Chefentwickler Michael Putz: "Auch andere entwickeln an solchen Systemen. Der Hauptunterschied ist, dass unseres funktioniert!" - ein Unterschied, den man als AutofahrerIn zu schätzen weiß. Jetzt wäre die Zeit reif für die Entwicklung zum Serienprodukt.
Und die beginnt nur, wenn ein technologisch und finanziell entsprechend starker Partner bei diesem Projekt einsteigt. Dann bremsen zukünftige Auto-Generationen vielleicht nur mehr "à la Viennoise". Von Schienen- und anderen Vehikeln einmal ganz abgesehen!
Es clustert auch in Wien
Wien-Floridsdort, das klingt einigermaßen unscheinbar als Location für den Standort bahnbrechender technischer Entwicklungen - jedoch völlig zu Unrecht. Neben Oberösterreich und der Steiermark hat auch die Region um Wien ihren eigenen Automobilcluster.
40 Prozent des Umsatzes aus der Automobil-bezogenen Industrie unseres Landes werden Wien, Niederösterreich und Burgenland generiert. Ebenfalls erwähnenswert: in einem Umkreis von 300 Kilometern rund um Wien finden beinahe 5 Prozent der jährlichen weltweiten Automobilproduktion statt.