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Eine Liebeserklärung ans Auto

Es hat "ein bisserl" gedauert: Über acht Jahre sind seit dem letzten "großen" Gran Turismo vergangen. In Videospiel-Gefilden ist das eine Ewigkeit. Ja, natürlich: dazwischen gab es Gran Turismo Sport. Doch mit diesem voll auf Multiplayer und E-Sport fokussierten Ableger waren so manch Serienfans so gar nicht happy. Die sollen nun versöhnt werden. Ob Polyphony das geschafft hat, klärt unser Test.

Johannes Posch

Im Reigen der zahlreichen Rennspiele und Rennspiel-Serien dieser Welt stach Gran Turismo schon immer heraus. Nicht nur, weil es seit jeher zu den besten Vertretern seines Genres zählte, sondern vor allem auch, weil es vieles eben ganz anders machte als alle anderen. Und just diese Eigenheiten, die an Schrulligkeit grenzten, sind es auch, die den ganz besonderen Charme des Spiels ausmachen ... und die nun allesamt in Gran Turismo 7 ihr fulminantes Comeback feiern. Das beginnt schon beim Intro: Das passende Video ist lang. Wirklich lang. Es nimmt sich Zeit um in Teil 1 zu klassischer Musik einen Schnelldurchlauf durch die Auto-Geschichte zu erzählen, nur um dann in Teil 2 zu rockigen Klängen einfach nur mit hübsch geschnittenen Gameplay-Szenen Lust aufs Rennfahren zu machen. Und das dürfen wir dann auch gleich ... im neuen Modus Music Rallye. Heißt: Am Steuer eines Oldtimers bestreiten wir ein quasi watscheneinfaches Rennen gegen die Zeit, die hier in "Beats" des Songs runtergezählt wird. Ist der Song zu Ende und unser Beats-Konto noch nicht leer, haben wir gewonnen. Hm. Nicht gerade, was man erwartet hat. Soll zur Entspannung dienen, der Modus, sagt Polyphony. Nun gut. In jedem Fall geht es auch nachher sehr "entspannt" zu. Allerdings auf gute Art. GT7 bietet nämlich an und für sich eine vermeintlich erschlagend große Menge an Aufgaben die es zu erledigen, Autos die es zu sammeln, Bewerben die es zu gewinnen und Bereichen die es zu erkunden gilt ... und einen Multiplayer-Modus, der de facto der Online-Part von Gran Turismo Sport und somit auch sehr umfangreich ist.

Der Haken, aber gleichzeitig auch das Gute daran: So gut wie nichts davon ist sofort für euch zugänglich. GT7 nimmt sich Zeit dabei, euch in seine Welt einzuführen. Schickt euch erst einmal ins Kaffeehaus. Das ist der neue, zentrale Dreh- und Angelpunkt von allem, was euch hier in Sachen Progression so erwartet. Ein "Menü" (im Sinne von "Speisekarte") nach dem anderen - also gewisse Aufgaben wie bestimmte Autos zu sammeln oder sonst etwas zu erledigen - verschafft euch langsam aber doch Zugang zu immer Bereichen der Weltkarte, die als "Hauptmenü" des Spiels dient.

Und so entfaltet sich innerhalb der ersten fünf bis zehn Stunden, je nach Talent und Motivation, nach und nach das volle GT7-Universum vor euren Augen: Erst der Gebrauchtwagenhändler mit sich regelmäßig änderndem Angebot, das teilweise unglaubliche Schnäppchen beinhalten kann und uns zum ersten Auto (einer von drei japanischen Kleinwagen, versteht sich) verhilft. Das "World Circuits"-Stadion, in dem wir Einzelrennen, Cups und Meisterschaften finden. Die Werkstatt, in der wir unserem Auto einen neuen Anstrich, samt deutlich erweitertem Kriegsbemalungs-Editor ebenso verpassen können wie Kotflügelverbreiterungen, Felgen und Spoiler, sowie wo wir ihm auch Service-Leistungen à la Wäsche, Ölwechsel oder Motorüberholung angedeihen lassen können. Der Tuning-Händler, in dem wir die Performance unserer aktuellen Karre nach ausreichend freigeschalteten Bereichen bis ins Perverse steigern können. Der erwähnte Multiplayer-Part (ja, auch der muss über die "Story" erst freigeschalten werden), der aber auch einen lokalen Split-Screen Modus bietet. Die Fahrschule, der Neuwagen-Händler, der Scapes-Bereich mit über 2.500 Hintergründen für Fotos, die Missionen, mit ihren teils zum Brüllen lustigen und coolen Rennen etwa am Steuer alter Fiat 500er, die bergauf immer langsamer und langsamer werden, und so weiter und so fort.

Aber gerade diese langsame und absolut tiefenentspannte Einführung über das Café, in den sich auch immer wieder Szene- und Branchengrößen wie etwa der Designer des ersten Mazda MX-5 und viele andere virtuell einfinden und Anekdoten zum Besten geben, sorgt dafür, dass man sich nie erschlagen fühlt. Ganz im Gegenteil. Es ist ein wahrer Genuss, sich hier Stück für Stück tiefer in den Kaninchenbau ziehen zu lassen und dabei "nebenbei" seine Fahrzeugsammlung zu erweitern und immer wieder Neues zu erfahren.

Apropos "erfahren": Es sollte für niemanden überraschen, dass sich Gran Turismo seit jeher als Simulation versteht. Ergo ist das Fahrverhalten auch bei Teil 7 durchaus anspruchsvoll und realitätsnah. Gleichzeitig ist sich Polyphony aber auch des Breiten-Appeals seiner Marke bewusst und bietet daher eine breite Auswahl von Fahrassistenten bis hin zur Bremsautomatik, mittels denen es auch echte Racing-Game-Nackbatzeln schnell Erfolge feiern können. Auch Schwierigkeitsgrade gibt es selbstverständlich unterschiedliche: Drei nämlich. Was es dafür gar nicht gibt, ist ein ernstzunehmendes Schadensmodell. Ja, die Optik der Wagen leidet nach Karambolagen und wenn die entsprechenden Einstellungshebel in den Optionen umgelegt wurden reduziert sich auch die Motorleistung und die Lenkung fängt zum Ziehen an. Doch dass just das auch schon das höchste der Schadensgefühle ist, wenn man gerade mit 300 in eine Betonmauer gedonnert ist, hat wenig mit "Simulation" zu tun. Wohl realistisch ist hingegen, dass es kein Rückspul-Feature gibt, wie es die Codemasters-Rennspiele ala Grid und Dirt einst eingeführt haben und die mittlerweile auch beispielsweise bei Forza Motorsport zum Standardrepertoire gehören. Somit gehört "Rennen neustarten" hier zu einer der wohl am häufigsten ausgeführten Spieler-Aktionen - zumindest, wenn man sich in den Fahrschulprüfungen und Missionen nur ungern mit Bronze oder Silber zufriedengibt. Denn ja: Manche davon sind tatsächlich unfassbar hart. Aber ich persönlich finde das gut. Mir ist es dann tatsächlich nicht zu blöd, diese eine Haarnadelkurve in Suzuka eben 50x in Angriff zu nehmen, bis ich dank perfektem Einlenkpunkt und sorgsamer Gas-Dosierung endlich auch die letzten Tausendstel herausgefahren habe, um dieses verdammtle, goldene GT-Logo auf meinem TV zu sehen. Aber ich schweife ab ... Zurück zum Fahrverhalten. Sofern man hier sämtliche Fahrhilfen deaktiviert und sich mit seinem Lenkrad vor den TV schwingt, zeigt die Physikengine ihre ganzen Muskeln. Insbesondere auch dann, wenn man sich in die wirklich umfangreichen Setup-Möglichkeiten der Autos hineintigert. Fahrwerk, Getriebe, Motor, Differenziale, Bremsbalance und -Druck ... es gibt hier nichts, das nicht einstellbar wäre. Und alles davon hat auch tatsächlich mehr oder minder spürbare Auswirkungen. Angenehm dabei für Novizen: Jeder einzelne Punkt wird auf Wunsch genau erklärt. Sowohl dessen Funktion, als auch die Hintergründe. Da kann so manch "versierter Amateur" auch noch so einiges lernen.

Kommen wir zur Technik.
Nachdem ich glücklich genug war, gleich zum Launch eine PS5 zu ergattern, war eben diese freilich auch meine Testplattform. Und wie man anhand der Screenshots schon erkennen kann, ist Gran Turismo 7 auf dieser eine wahre Augenweide. Zumindest, wenn man nicht zu genau hinsieht. Perfekt ist die Grafik nämlich nicht. Während die Autos selbst, ebenso wie die Beleuchtung einfach fantastisch aussehen, kann die Strecke da selten mithalten. Da und dort erkennt man sich wiederholende Asphalt-Kachel-Muster auf der Piste, die Vegatation rings um die Tracks wirkt teilweise arg "platt" und so manche Umgebung einfach an und für sich wenig detailliert. Hier könnte aber durchaus ein gewisser Ableger des "uncanny valley Effekts" mitspielen. Die Autos sehen nämlich teilweise einfach wirklich SO gut aus, dass die leichten Unvollkommenheiten der Strecken umso schwerer negativ auffallen. Gut dafür: Die Framerate ist jederzeit absolut stabil. Und das sowohl im Performance-Modus, der ständig mit 60 FPS in nativem 4K läuft, als auch im Raytracing-Modus, bei dem die Rennen immer noch mit 60 FPS laufen, weil da kein Raytracing zum Einsatz kommt, während alles andere auf 30 FPS gedrosselt, dafür aber eben um die tollen RT-Reflektionen erweitert wurde - auch in nativem 4K.

Aber nicht nur in Sahen Optik, sondern auch in puncto Sound kann GT7 überzeugen. Alles vom kleinen Hybrid-Toyota Yaris mit seinem typischen Jaulen bis rauf zum Rasseln, Knallen, Zischen und Brüllen eins ausgewachsenen GT1-Monsters wird hier glaubhaft durch eure Lautsprecher gejagt. Und wann dann noch am jederzeit einblendbaren Wetterradar Regenwolken aufziehen, lässt Polyphony endgültig seine "Detail- und Realismus-Versessenheits-Muskeln" spielen. Nicht nur prasselt der Regen akustisch sehr glaubhaft aufs Blech, Glas und Karbon eurer Autos, auch physikalisch tut sich dann einiges. Dabei meine ich aber nicht nur, dass sich der Grip eurer Autos verändert - das versteht sich von selbst. Die Regenschauer ziehen tatsächlich in unterschiedlicher Intensität per Wolken über die Strecke. Auf kleinen Tracks fällt das kaum auf. Auf größeren wie etwa dem Nürburgring aber kann das so weit gehen, dass ihr den Grand Prix-Kurs gerade noch auf klatschnasser Strecke bei strömendem Regen unterwegs wart, den Sprunghügel allerdings bei staubtrockener Strecke attackieren könnt. Ebenso trocknen nach vorübergezogenen Regenschauern die Ideallinien tatsächlich deutlich schneller ab als die Bereiche daneben und ihr könnt sogar versuchen aufgezogene Regenreifen durch bewusstes Fahren im Nassen wieder abzukühlen, wenn sie euch bei abtrocknender Strecke zu heiß werden.

Ja, so ist Polyphony. Und mit der Entscheidung im "Belohnungs-Screen" nach einem Rennen als einzigen Hintergrund-Sound das typische Knistern eines gerade hart ran genommenen und nun abkühlenden Autos zu verwenden, erobern die Japaner auch nach dutzenden Spielstunden jedes Mal wieder mein Herz. Herrlich!

Zum Schluss noch einmal zurück zur Technik und Besonderheiten der PS5-Version. Dort kann Gran Turismo 7 die Geschwindigkeit der SSD der Konsole glücklicherweise voll ausnutzen. Das heißt konkret, dass die immer noch vorhandenen Ladescreens vor einem Rennen teilweise so schnell wieder verschwinden, dass man kaum lesen kann, was dort überhaupt stand. Vom Menü in ein Rennen und wieder zurückzuspringen klappt hier also wirklich fast unmittelbar. Und dann ist da natürlich noch der Dualsense-Controller. Dieser sorgt mit feinsten Vibrationen und adaptivem Widerstand auf den Triggern tatsächlich ein ganz neues Level an Immersion zu schaffen. Man "spürt" das Auto tatsächlich; kann mit einem Controller in der Hand besser abschätzen als je zuvor, wie dicht die Reifen sich bereits an ihrer Haftungsgrenze bewegen. Natürlich sind echte Cracks immer noch mit einem Lenkrad am besten bedient. Für Controller-Fans wie mich ist die Spielerfahrung dadurch aber tatsächlich ein ganzes Stück besser geworden.

FAZIT
Gran Turismo 7 ist in der Tat genau das geworden, was sich Serien-Fans vom nächsten, "echten" Ableger erwartet haben: Unglaublich umfangreich, toll anzusehen, motivierend und vor allem eine echte Liebeserklärung ans Auto in all seinen Epochen und Facetten. Für mich steht jedenfalls fest: Wer Rennspiele mag und eine PS4 oder im besten Fall PS5 hat, darf sich GT7, das mit der Zeit zudem durch immer neue Gratis-Inhalte weiter und weiter wachsen wird, keinesfalls entgehen lassen.

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