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Dass ich das noch erleben darf …

Desto höher die Erwartungen sind, desto größer kann die Enttäuschung sein. Wir wollen jetzt nicht sagen, dass das beim GT86 der Fall war, doch dass der Antrieb nicht unbedingt die größte Stärke des in seiner Gesamtheit tollen Coupés war, darf als Tatsache angesehen werden. Nun hatten für den Nachfolger viele auf Turbo-Aufladung gehofft. Doch was wir tatsächlich bekamen, ist sogar noch besser.

Johannes Posch

Ein analoges Fahrzeug für das digitale Zeitalter. So beschreibt Toyota selbst den GR86; das nunmehr dritte Fahrzeug in der Toyota-Geschichte, dass sich mit dem „GR“-Kürzel schmücken und somit vorweisen darf, dass Toyota Gazoo Racing bei der Entwicklung maßgeblich die Finger im Spiel hatte. Und dass das quasi schon per se ein Garant für fantastische Fahrmaschinen ist, hat spätestens der Toyota GR Yaris unmissverständlich klar gemacht. Doch der GR86 war freilich ein etwas anderes Projekt. Immerhin durfte man hier nicht ganz so unverfroren schalten und walten wie beim Yaris, sondern musste die Plattform des GT86 quasi 1:1 weiterverwenden. Hierbei das Wort „musste“ zu verwenden, grenzt aber an Ketzerei. Immerhin war der offen und stolz mit Subaru ko-entwickelte Vorgänger in seinem Kern fantastisch. Klassisches Frontmotor-Hinterradantriebs-Layout, super-verwindungssteifes Chassis, niedriges Gewicht, gefühlvolle Lenkung, knackige Sechsgang-Schaltung, Sperrdifferenzial, leicht und vollends abschaltbare Stabilitätshelferlein … schlichtweg eine echte Spaßgranate. Sofern man sich mit dem Motor anfreunden konnte. Der hatte nämlich unten rum keine Kraft und wurde oben raus vor allem lauter, sonst aber kaum was.

Wer weiter „Turbo“ ruft, hat’s nicht verstanden


Als dann angekündigt wurde, dass trotz aller Unkenrufe der Fangemeinde, die nicht verstehen wollten, warum ausgerechnet Subaru seinen Boxer keine Zwangsbeatmung verpasst, auch der Nachfolger einen Saug-Motor erhalten würde, war eine gewisse Skepsis in den Kommentarsektionen des WWW spürbar. Vor allem, weil die aktuelle Entwicklung rund um Elektrifizierung und Co klar macht, dass dieser Tage in die Schauräume rollende Sportwagen, die „Brumm“ machen, die letzten ihrer Art sein könnten; zumindest in leistbaren Gefilden. So gilt der GR86 quasi als „letzte Chance“, dass wir noch einmal einen echten, richtig famosen Volkssportler bekommen. Und ja, just das ist er auch: Unglaublich, was 0,4 Liter Hubraum ausmachen können. Klar: mit 172 kW/235 PS bei 7.000 U/min, 250 Nm bei 3.700 U/min sowie einer 0 – 100 km/h-Zeit von 6,3 Sekunden für das Modell mit 6-Gang-Schaltgetriebe (7,6 waren es noch beim GT86) avanciert auch der GR86 nicht zum Porsche-Schreck. Doch darum geht’s hier nicht.

Es geht um Fahrspaß diesseits der Grenzen der StVO. Es geht um leistbare Performance für dich und mich. Es geht um Balance und Purismus. Es geht um all das, was Sportwagen schon großartig gemacht hat, bevor die Bordcomputer mehr Rechenpower hatten als eine aktuelle Spielekonsole. Es geht darum, mit verschwitzten Händen und bis zum Hals pochenden Herz seine Ferserl-Technik beim Runterschalten vor einer engen Kehre zu verbessern, in der spätestens ab dem Scheitelpunkt mit dem Gasfuß gelenkt wird. Es geht um analoges Autofahren. Und all das liefert das GR86. Und zwar auf einem Niveau, von dem man fast nicht mehr zu hoffen gewagt hätte, es noch einmal erleben zu dürfen.

Gesamtkunstwerk


Das liegt aber freilich nicht allein am Motor, der nun dank 2.387 Kubikzentimeter Hubraum tatsächlich schon bei rund 2.000 Touren stark genug ist, um einem Auto, das so aussieht wie der GR86, würdig zu sein. Auch wenn dieser jetzt wegen der von 86 auf 94 Millimeter geänderten Zylinderbohrung eigentlich GR94 heißen müsste – aber wer will schon kleinlich sein. Nein, es wurde auch sonst an allen entscheidenden Schrauben gedreht, um den GR86 nochmal eine ganze Stufe auf der Fahrspaß-Skala nach oben zu schupfen. Zusätzliche diagonale Querträger und viele andere Maßnahmen erhöhten die Steifigkeit der vorderen Karosserie noch einmal um 60 Prozent, des gesamten Autos um 50 Prozent. Gleichzeitig konnte durch die Verwendung von zusätzlichen Leichtbaumaterialien wie etwa Alu für Dachverkleidung und Kotflügel sowie überarbeitete Sitze der Schwerpunkt um 1,6 Millimeter gesenkt und die Gewichtsverteilung auf ein Verhältnis von 53:47 verbessert werden. Dabei ist das Leergewicht zwar im direkten Vergleich mit dem GT86 von 1.222 (2017er-Version) auf 1.346 kg gestiegen, dafür wurde aber nicht nur das aktuelle Emissions-Reglement samt Partikelfilter erfüllt – klanglich kann man dem GR86 auf dem Aftermarket durchaus noch etwas auf die Sprünge helfen – sondern auch in Sachen Lebensqualität an Bord aufgerüstet.

Das Cockpit etwa wirkt deutlich mehr wie eines aus dem 21. Jahrhundert, ohne sich dabei technologischen Ballast aufzuladen, der wieder nur vom puren Autofahren ablenkt. Der Rückspiegel etwa muss immer noch manuell umgekippt werden, wenn der hinterherfahrende SUV einen blendet. Und wenn es regnet, darf man sich noch selbst aussuchen, wie schnell der Wischer über die Scheibe flitzen soll. Dafür gibt es eine Zwei-Zonen-Klima mit hübschen (echten!) Armaturen, ein Infotainment-System mit Android Auto und Apple Carplay-Unterstützung sowie einen digitalen Tacho, der je nach Fahrmodus viel oder sehr viel Fokus auf die Drehzahl legt. Fein.

Gleichzeitig blieben alle bekannten Qualitäten erhalten. Die Sportsitze passen wie ein Maßanzug, die Sitzposition ist großartig; vor allem auch dank dem noch einmal um fünf Millimeter niedrigeren Hüftpunkts. Die Bremsen sind fein dosierbar, auf Wunsch unglaublich bissig und dabei stets standfest. Die Lenkung ist direkt und gefühlvoll. Und das Fahrwerk zwar für den grauen Alltag ein bisserl hart, sorgt aber zumindest dafür, dass man auch dann noch das Gefühl hat alles im Griff zu haben, wenn man durch das Seitenfenster den Kurvenausgang anvisiert. Und das passiert hier oft und gern. Vor allem auf schon ein wenig „abgelebten“ Winterreifen, wie auf unserem Testwagen. Man merkte halt, dass wir nicht die erste Redaktion waren, die dem GR86 und seinen Quertreiber-Qualitäten nicht widerstehen konnte.

Echte Helferlein


An diesem Punkt sei die Elektronik ins Scheinwerferlicht gerückt. Direkt hinter dem handlichen Knauf der grandiosen Handschaltung und neben der manuellen Handbremse (danke auch dafür, Toyota), finden sich zwei Tasten. Auf einer steht TRC, auf der anderen ist ein verheißungsvolles Piktogramm einer Zielflagge samt den Buchstaben VSC zu sehen. Beide sind Spaßbringer auf ihre jeweils eigene Art. Die Traktionskontrolle (TRC) lässt sich einfach ein- oder ausschalten und erlaubt sodann (bis 50 km/h) durchdrehende Hinterreifen, zum Beispiel um feststeckend in losem Untergrund wieder freizukommen oder – das wahrscheinlichere Szenario – bei gutem Grip richtig flott aus dem Stand Tempo zu machen. Der VSC-Schalter wiederum erlaubt zweierlei: Track-Mode ein oder „alles aus“. Ersterer ist leicht beschrieben: Die Elektronik arbeitet bei dynamischer Fahrweise nicht gegen, sondern für euch. Heißt: Bricht das Heck aus und euer Fuß bleibt am Gas, sorgt das VSC nicht etwa für ein schnelles Einfangen des knackigen Japaner-Pos, sondern für einen soliden Drift-Winkel. Konnte der Vorgänger nach der Modellpflege auch schon – ist da wie dort herrlich. Und „alles aus“ muss wohl kaum näher beschrieben werden. Hier solltet ihr dann schlicht wissen, was ihr tut. Obgleich noch einmal betont werden sollte, dass der GR86 ein angenehm berechenbares Wesen ist. Ja, die Traktion bricht schnell einmal ab, doch bis zum echten Dreher bleibt immer noch viel Zeit und Spielraum. Genau, wie es sich für einen Volkssportler gehört.

FAZIT


Der Toyota GR86 ist tatsächlich all das geworden, was wir uns erhofft haben. Er bringt alle Stärken des GT86 mit und eliminiert defacto seine einzigen, beiden Schwächen: Das Interieur wirkt wie eines aus dem 21. Jahrhundert und der Motor hat endlich ausreichend nutzbare Leistung, um dem klassischen Sportwagenlook, der ebenfalls in unseren Augen gut verfeinert wurde, gerecht zu werden. Und selbst preislich ist er – obgleich aus diversen Gründen teurer als sein Vorgänger – jeden Cent wert. Natürlich gibt es aber einen Haken: Aufgrund sich ständig verschärfender Abgasregulationen wird Toyota ihn nur bis 2024 bauen. Dann ist Schluss. Die gute Nachricht: Die offizielle Info seitens Toyota Österreich (Stand 9. Februar 2023), dass die aktuelle Lieferzeit sieben Monate beträgt, bedeutet auch, dass es noch welche gibt. Allzulange warten sollte man bei Interesse aber sicher trotzdem nicht mehr.

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