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Zeitmaschine

Mit dem 350 GT legte Lamborghini den Grundstein für eine atemberaubende Geschichte. Vom ersten Serienfahrzeug wurden 120 Stück gebaut.

mid/tl

Für einen Buben mit sieben Jahren waren 1963 Lebenspläne noch überschaubar: Der Berufswunsch schwenkte von Lokomotivführer zu Astronaut, das Idol verkörperte Winnetou, der edle Apachen-Häupling und als semi-professioneller Autoquartettspieler fokussierte sich der automobile Traum schnell auf einen Lamborghini 350 GT: einmal wegen der praktisch unschlagbaren 206 kW/280 PS, dann wegen der Beschleunigung aus dem Stand auf 100 Sachen in 6,7 Sekunden und der Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h, und natürlich wegen der atemberaubenden Form des Zweisitzers.

An der Faszination des ersten Lamborghinis, der im März 1964 in Serie gegangen war, sind fünf Jahrzehnte spurlos vorübergegangen. Der 4,64 Meter lange Gran Tourismo aus dem Museumsbestand der italienischen VW-Tochter glänzt auf dem Hahnenkamm-Platz in Kitzbühl in makellosem Rot. Die verchromten Speichenfelgen mit 15 Zoll Durchmesser blinken im Neuzustand. Das schwarze Leder, das den Innenraum einschließlich Armaturenträger und Mittelkonsole bedeckt, huldigt der Zeit mit milder Patina. Dieses Auto, ein klassischer "Gran Tourismo" für die gediegene Langstrecke konzipiert, weniger für den sportlichen Einsatz, verkörperte die Reaktion des erfolgreichen italienischen Industriellen Ferruccio Lamborghini auf die Mängel seines Ferraris und den Frust über die rüde Behandlung in Maranello.

1962 begann Lamborghini mit dem ehemaligen Ferrari-Chefingenieurs Giotto Bizzarrini die Entwicklung eines eigenen Autos. Im Mai 1963 gründete er seine Autofirma, im Oktober erfolgte auf dem Turiner Autosalon bereits die Präsentation der Studie "350 GTV".

Der verbaute 3,5-Liter-V12 verkörperte einen reinrassigen Rennmotor, der 294 kW/400 PS bei 11.000/min leistete. Für die Serie erfolgte eine Reduzierung der Kraft auf alltagstaugliche 206 kW/280 PS bei 6.500/min. Im Mai 1964 durften die ersten Kunden ihren "350 GT" für einen Neupreis von 53.850 Mark in Empfang nehmen. Mercedes verlangte für den im selben Jahr vorgestellten "600" 56.500 Mark.

Die Leistung des ersten Serien-Lambo schaffen heute bereits kompakte Sportler. Aber angesichts eines maximalen Drehmoments von 325 Newtonmetern bei 4.500/min und 1.400 Kilo Leergewicht löst der "350 GT" das selbe gefühlte Furchteinflößen aus, wie ein doppelt so starker aktueller "Gallardo" von Lamborghini, der bei der Rallye die Rolle des Werkstattwagens übernimmt.

Die 4,64 Meter des "350 GT" schaffen Platz für den gewaltigen V12, zwei Passagiere, die gerne auch 1,90 Meter groß sein dürfen, und 240 Liter Volumen für Gepäck im Heck. Konzentration, Voraussicht und extrem defensives Fahrverhalten bilden die Sicherheitsausstattung. Der "350 GT" kennt weder Gurte, noch Straffer, Airbags oder elektronische Fahrhilfen.

Die Gemischaufbereitung verantworten sechs Doppelvergaser der italienischen Spezialisten Weber vom Typ "40 PCOE 2". Diese mechanischen Wunderwerke besitzen die Komplexität eines Schweizer Chronometers. Diese zu warten und einzustellen, um als harmonische Einheit zwischen 20 Liter und 30 Liter Superbenzin pro 100 Kilometer mit frischer Luft zu einem zündfähigen Gemisch zu verarbeiten, verlangt Können und Erfahrung eines echten Meisters. So wie Andrea Zuntini, der seit 27 Jahren für Lamborghini arbeitet und die Fahrzeuge des Museums betreut. Das gelingt ihm so gut, dass der kurze Dreh des winzigen Zündschlüssels die zwölf Töpfe nach einem kurzen Gasstoß zu Leben erweckt und in einen gleichmäßigen Leerlauf verfallen lässt.

Die Orientierung für den Fahrer ist in Sekunden erledigt. Sieben Rundinstrumente informieren über das Befinden des Autos, sieben Kippschalter reichen für die Bedienung. Es gibt keine Klimaanlage, keine Verstellungen für Fahrwerk oder Motorsteuerung, immerhin elektrische Festerheber für die beiden Seitenscheiben. Bevor der "350 GT" richtig in Fahrt kommt, erteilt er eine Lektion in Demut und Grundkenntnisse der Fahrzeugbeherrschung. Kupplung und Bremspedale erfordern die schiere Kraft, ebenso das Lenkrad aus poliertem Edelholz. Ergonomisch die pure Katastrophe, aber so schön, dass die Entschuldigung für den Mangel jeglicher Verstellbarkeit oder Griffigkeit annehmbar ausfällt.

Wenn die Bereitschaft zum Zupacken aufgebaut ist, beginnt ein Fahrerlebnis, das mit Wannenbädern von Glückshormonen belohnt, serviert auf Gänsehaut vom Motorsound. Unter 3.000 Touren noch nicht sonderlich motiviert, jagen die zwölf Töpfe ab dieser Grenze durch den Rest des Drehzahlbands wie Furien, sodass die Rechte Mühe hat, den nächsten Gang in der trockenen Kulisse des Fünfgang-Schaltgetriebes mit kurzen Wegen zu finden. Beim Herunterschalten hilft ein ordentlicher Stoß Zwischengas. Lohn des schwellenden Bizeps ist eine atemberaubende Kurvendynamik. Schließlich gibt es bis heute nichts besseres als einzeln an doppelten Dreiecksquerlenkern aufgehängte Räder.

Lediglich 120 Exemplare des 350 GT entstanden in knapp drei Jahren. In einem Zustand wie es das Museumsauto von Lamborghini verkörpert, sind wenigstens 250.000 Euro fällig.

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