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Helden auf Rädern: Shanghai SH760

Wenn Genossen den Eid genossen

Automobilbau in China? Vor 70 Jahren nahezu unvorstellbar. Dafür zeigte der SH760, wie schnell sich in diesem Land das Blatt wenden und man in diesem Spiel dazulernen kann. Ein Auto wie ein Spiegelbild der Lernkurve eines Landes.

Die Ausgangssituation können sich wohl nur mehr höchstens die Stammesältesten unter uns vorstellen: In den 1960ern gab es zwar auch schon viele Menschen in China. Die fuhren aber praktisch ausnahmslos nur mit dem Fahrrad aufs Feld oder in die Arbeit. Auto? Das war eine rein westliche Angelegenheit, mit all dem Wahnsinn und Rennsport und Straßenbau, mit dem wir alle groß geworden und großgezogen worden sind. Aber im Land der Mitte, da gab es 1958 gerade einmal die Gründung einer Automarke zu verzeichnen: Ihr Name „Rote Flagge“ lässt schon vermuten, dass man schon zum erleseneren Genossenkreis zählen musste, um überhaupt in Betracht gezogen zu werden, in den möglichen Kundenkreis gewählt werden zu können. Zu Beginn der Flower-Ära wollte man sich dann doch ein wenig offener zeigen, auch normalen Verwaltungsbeamten oder Taxlern die Möglichkeit bieten, auf vier Räder umzusteigen und beauftragte daher eine Traktorbude (die Parallelen zu Lamborghini sind fast nicht zu übersehen), sich dieses Projektes anzunehmen.

Als Basis bediente man sich zuerst des nicht mehr ganz taufrischen FSO Warszawa aus dem kommunistischen Bruderland Polen, der wiederum auf dem wirklich nicht mehr taufrischen GAZ-M20 Pobeda aus dem kommunistischen Bruderland Russland basierte. Schnell schwenkte man aber um nahm dann aber doch den Mercedes W180 sowohl technisch als auch optisch als Basis, wobei man bei den Motoren schon von Anfang an auf Heimisches setzte: Die ersten Varianten namens Phoenix hatten 2,2-Liter-Reihensechszylinder mit knapp 90 PS, was für die Zeit schon weit mehr als volksnahe Werte waren. Aber man wusste Rat, um nicht als abgehoben zu gelten: Man änderte einfach den Namen. Nach nur wenigen Exemplaren schwenkte man 1964 auf Shanghai SH760 um, und schon begann alles zu laufen.

Bereits Mitte der 1970er-Jahre produzierte man im vierstelligen Bereich, das Konzept aus vertrauter Silhouette, solidem Unterbau und dem Vortrieb aus den eigenen Reihen passte gut zur Situation des Landes zu jener Zeit, als man sich begann zu öffnen und immer mehr westliche Unternehmen über mögliche Möglichkeiten nachdachten. So kam es auch zu einem der ganz wenigen Überarbeitungen des SH760. Nach ein paar Optik-Updates und der Option einer Klimaanlage folgte 1980 der 760B mit mehr Leistung und zahlreichen Teilen (bis hin zu den Rücklichtern) vom VW Santana, die der Karosserie – von ihrer Grundlinie nach wie vor ein Kind der 1950er – einen für uns vielleicht etwas bizarren, örtlich aber deutlich moderneren Eindruck erweckte.

Santana? Richtig, denn in der Zwischenzeit wurde aus dem Produzenten Shanghai Automobile die Shanghai Automotive Industry Corporation – mittlerweile SAIC Motor Corp. Ltd., die just mit Volkswagen 1984 einen Deal darüber einging, Autos mit abendländischer Technik lokal zu fertigen. Die Shanghai Volkswagen Automotive Co. Ltd. gilt als mittlerweile älteste dieser Joint Ventures, wobei man sich vom Wort „Shanghai“ im Namen nicht täuschen lassen darf: Das ist nicht der Firmensitz. Sondern der Name besagten lokalen Businesspartners.

Eine clevere Lösung, die Basis war für all das, was in den nächsten Jahrzehnten folgen sollte. Schon 1998 schloss man mit General Motor einen ähnlichen Deal ab wie mit VW, 2005 übernahm man die Überbleibsel von MG/Rover, um unter Roewe erstmals unter eigenem Label Autos mit halbwegs moderner Technik zu produzieren, und so weiter und sofort.

Was das alles mit dem SH760 zu tun hat? Der ging in all dem Trubel nämlich ziemlich unter und lief schon 1991 endgültig aus. Man könnte also sagen, dass Santanas und Jettas mit langem Radstand die wahren Nachfolger waren. Doch ohne den guten alten Shanghai würde es den heutigen Autogiganten mit 220.000 Angestellten wohl definitiv nicht geben.

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