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Schippern durch die schöne Welt

Für viele mag der Reatta maximal ein Schreibfehler der automobilen Geschichte gewesen sein. Tatsächlich aber probierte Buick mit ihm zahlreiche Features aus, die heutzutage gang und gebe sind. Vor 30 Jahren aber fand der futuristische Anspruch nur wenig Gegenliebe.

Roland Scharf

Im Prinzip stimmts, dass früher jeder Ami mehr oder weniger gleich aufgebaut war. Vor allem, wenn er von General Motors kam. Und dennoch gab es hausintern doch diverse Lager, die sich auf ihre Art und Weisen verwirklichen wollten. Buick zum Beispiel galt lange Zeit als Ingenieursmarke. Deren Achsen oder Motoren lagen oft ein paar Jahre vor den Konkurrenzmodellen von Chevrolet zum Beispiel. Käufer dieser Fahrzeuge wussten also über den moderneren Ansatz, nicht immer und ewig den gleichen Einheitsrahmen nur neu einzukleiden. Irgendwann aber gewannen die Buchhalter dann doch die Überhand, und die Jungs und Mädels von Buick mussten sich irgendwie anders aus der Masse abheben. Aber wie? Ein ambitionierter Versuch war zum Beispiel der Reatta, mit dem man die glorreichen Zeiten von Riviera und Co wiederaufleben lassen wollte, auch wenn diese definitiv nie wieder kommen sollten.

Man muss sich überlegen, wie die Stimmung Ende der 1980er so war: Die erste Welle der Abgasvorschriften war überstanden, war zu großen Teilen bei V6- und sogar Vierzylindermotoren angekommen. Umso mehr träumte man von neuen Technologien und vielen Dingen, die künftige Autos cooler und besser und einfach toller machen würden. Was, wenn man möglichst viel davon in ein futuristisch gezeichnetes Coupé packen würde? Das war die Stunde von Buick, und von vornherein sah man den Reatta als technologische Speerspitze, wollte also nie große Volumina erreichen. Die wenigen tausend Stück indes sollten auf dem höchsten Niveau entstehen, sodass man in Lansing im Bundesstaat Michigan sogar ein eigenes Werk aus dem Boden stampfte – und das Reatta Craft Center ging tatsächlich innovative Wege: Um die Produktivität und Qualität der Belegschaft zu steigern, setzte man nicht auf stupide Fließbandarbeit. Stattdessen wandte man erstmals die Team-Strategie an, wo kleine Gruppen an Arbeitern einzelne Bauabschnitte erledigten, ehe der halbfertige Wagen dann an das nächste Team übergeben wurde – vollautomatisch mit Roboterschlitten natürlich.

Nicht minder vorwärts gewandt waren zahlreiche Spielereien im Innenraum: Die Sitze waren 16-fach elektrisch verstellbar für maximalen Sitzkomfort, dazu gab es einen Touchscreen in der Mittelkonsole (wir reden von 1988!) inklusive Computer, der nicht nur die Bedienung des Radios und der Klimaanlage übernahm, sondern auch Fahrdaten ausspuckte, sogar eine Geschwindigkeitswarnung bot und den Fehlerspeicher auslesen konnte. Dem nicht genug, folgten später sogar automatisch ausklappende Scheinwerfer und schlüsselloser Zugang, wobei nicht überliefert ist, ob diese auf Infrarot basierende Technik auch jemals wirklich so funktionierte wie sie hätte sollen.

Fakt ist, dass man zurecht stolz auf das neue Baby war. Aber kaufen wollte den Reatta praktisch niemand. Das führte schnell zu wilden Maßnahmen. Zuerst flog die ganze Elektronik aus dem Auto. Bald herrschten wieder die üblichen Knopferln über die Funktionen des Armaturenbretts, der Touchscreen verschwand wieder in der Schublade der Techniker, ja und damit man noch irgendwie den ganzen Aufwand mit dem eigenen Werk rechtfertigen konnte, brachte man ruckzuck eine Cabrio-Version auf den Markt. Und an der zeigte sich am deutlichsten, was beim Reatta falsch lief: Bei all der technischen Verspieltheit kam ein manuell zu bedienendes Verdeck zum Einsatz, was die eh schon winzige Zielgruppe ziemlich verstörte. Also besserte man nach, so gut es noch ging, und verbaute zwei E-Motoren, die aber nur dabei halfen, den hinteren Teil des Verdecks im geschlossenen Zustand nach unten zu ziehen und unter Spannung zu halten – der Rest durfte nach wie vor von Hand erledigt werden. Kein Wunder, dass viele davon nicht begeistert waren und die Buchhalter schon anfingen, ihre Bleistifte zu spitzen.

Und dennoch: Dass statt jährlich nur insgesamt an die 21.000 Stück gefertigt wurden, hatte auch ganz andere Gründe, die heute als brutal logisch erscheinen. Zum einen natürlich die Idee, an alte – definitiv vergangene Zeiten anknüpfen zu können. Autos wie der Riviera waren in den 1970ern natürlich populär und cool und alles, weil sie eben vieles anders machten. Mit der von GM aufdoktrinierten Frontantriebsplattform und einem eher lauen V6 unter der Haube – beides natürlich stumpfe Massenware – ließ sich kein ehemaliger Enthusiast in die Schauräume locken. Dazu war die Coupé- und Cabrio-Fraktion von GM schon durchwegs gut versorgt. Der Pontiac Fiero mit Mittelmotor schielte auf die echten Sportler, wohingegen der Cadillac Allanté das wirkliche Luxuskapitel abzudecken versuchte. Wo sollte sich da der weniger sportliche und viel weniger luxuriöse Reatta noch einordnen? Richtig, nirgends, und so war nach nur drei Jahren wieder Schluss, und Buick wandte sich endgültig braver Konfektionsware zu.

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