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Tanz der Nationen

Der Polonez gilt als letztes Großserienfahrzeug aus polnischer Produktion. Seine Geschichte fing aber viel früher an, und sie endete sogar erst 80 Jahre nach dem Beginn, der nichts mit der Nachkriegsgeschichte zu tun hat.

Roland Scharf

Autos aus dem Ostblock sind allesamt eigentlich schnell und einfach erklärt: Mangelfertigung. Planwirtschaft. Uralttechnik. Alles irgendwie aus der puren Not heraus, weil hinter dem eisernen Vorhang einfach nicht mehr möglich war. Doch abseits von Trabant, Wartburg, Moskwitsch, Lada oder Tatra gab es dann noch die Fabryka Samochodów Osobowych aus Warschau, kurz FSO, was sinngemäß schlicht für „Fabrik für Personenkraftwagen“ steht. Und dort ging man schon lange vor der kommunistischen Phase nach dem zweiten Weltkrieg schon das Thema Mobilität an. Bereits 1932 schloss man mit Fiat einen Lizenzvertrag ab, um ab 1934 zum Beispiel den 508 in Polen zu fertigen. Kein Wunder also, dass man nach dem Krieg wieder in Turin anklopfte, als es darum ging, erneut einen Partner zu suchen.

Dass Lada ab Mitte der 1960er ebenfalls auf Modelle von Fiat aufbaute, stand eher für die Geschäftstüchtigkeit der Italiener als für die Linientreue der kommunistischen Genossen. Denn während man bei Lada auf Basis der kleinen Stufenhecklimousine 124 mit Heckantrieb ein Volksauto konzipierte, griff man bei FSO gleich zur Stufenhecklimousine 125 mit Heckantrieb, die alles ein wenig besser konnte und zudem deutlich größer war. Wobei dieses 1967 lancierte Fahrzeug für den neuen Einsatzzweck sogar gründlich umgemodelt wurde. Als 125p (p für Polski) verwendete man zwar die neue Karosse, kombinierte sie aber mit dem Antriebsstrang und dem Fahrwerk des Vorgängers 1300/1500, was sich vor allem bei den schwächeren Motoren zeigte – die Fiat-eigenen Modelle hatten nämlich schon 1,6 Liter Hubraum.

Wenn man es so sehen möchte, war die Technik des Polski Fiat 125p zu seiner Markteinführung 1967 bereits sechs Jahre alt, was für unsere Geschichte noch eine nette Randnotiz werden sollte. Ein paar Jahre später, der 125p lief in der Zwischenzeit auch schon als Kombi vom Band, dachte man in Warschau tatsächlich schon über einen Nachfolger nach. Im Vergleich zu den Kollegen von Trabant oder Lada ein äußerst westlicher Zugang, wobei Fiat hier sogar in die Offensive ging. Man habe da nämlich ein interessantes Konzeptfahrzeug entwickelt, den sogenannten ESV 2000 mit richtungsweisendem Fußgängerschutz zum Beispiel. Aber auch mit einer äußerst zeitgemäßen Optik. Bei FSO war man von dem Experimental Safety Vehicle durchaus angetan und ging den Deal mit Fiat ein. Denn so einfach konnte und wollte man das Konzept nämlich nicht übernehmen.

So ging es vor allem darum, die Form und Dimensionen auf die ausgewählte Plattform einzudampfen. Aus Kostengründen sollte der 125p als Basis dienen. Die Lizenz hierfür lief nämlich noch, außerdem waren die Fertigungsstraßen schon passend ausgerüstet. Giugiaro übernehm hierbei federführend den Job, wobei ein gewisser Walter da Silva hier vor allem Hand anlegte. 1978 war man dann schließlich mit der gesamten Entwicklung fertig, was zu einem interessanten, wenn auch bereits mehrfach überwuzelten Fahrzeug führte. Denn zu seiner Lancierung war das Design bereits sechs Jahre alt, die Plattform elf und der Antrieb 16 Jahre – zumindest am Anfang. Denn der eigentliche Plan, Fiats eigenen Zweiliter-Motor zu lizenzieren, scheiterte ebenfalls am Geld, der Polonez musste anfangs also eher spärlich motorisiert auf Käufersuche gehen. Der Name steht übersetzt schlicht für Polonaise, der gemeinhin als polnischer Volkstanz gilt, und damit der gleichnamige Wagen ebenfalls international für Furore sorgt, war die Wahl auf den ESV als grundsätzliche Basis schon ziemlich schlau.

Denn somit schaffte FSO nahezu alle weltweit erforderlichen Crashsicherheit-Auflagen, womit einem Export von der Seite nichts mehr im Wege stehen würde. Sogar in die Bundesrepublik Deutschland schafften es viele davon, lustigerweise nicht in den Bruderstaat DDR. Dort hatte man mit dem 125p schon wenig Freude, was nicht nur an der miesen Verarbeitung und der serienmäßigen Rostanfälligkeit zu tun hatte. Vor allem benötigten die Fiat-Aggregate durchaus hochoktanigen Sprit. Und gerade in diesem Bereich waren die 124er-basierten Ladas durchwegs genügsamer. Vielleicht war die neue Karosserie auch viel zu gewagt für Ostdeutschland, denn vor allem dank der riesigen Heckklappe und des Schräghecks gab es fast schon verschwenderisch viel Lademöglichkeit, da konnte kein Stufenheck der Sowjetunion mithalten.

Doch auch in Polen lief nicht alles ganz reibungslos. So gab es 1979 zum Beispiel doch überraschenderweise eine Zweiliter-Version mit 110 PS, die aber praktisch nur an Regierungsbeamte verteilt wurden. Auch ein Coupé poppte auf, das aber nur rund 300 Mal von den Bändern lief. Der eigentliche Treppenwitz des Polonez ist aber, dass eine Ablöse des 125p erst dreizehn Jahre nach Markteinführung erfolgen sollte, da man diesen einfach noch bis 1991 weiterbaute. Die Technik war ja schließlich absolut identisch, was auch zur Folge hatte, dass bei Modellpflegen und technischen Änderungen auch das alte Modell immer besser wurde – für einen geringeren Preis also nichts schlechter konnte als das neue Fahrzeug.

All das hinderte FSO aber nicht, das Angebot dafür in der Breite deutlich zu erweitern. Nach einer weiteren Coupé-Version folgte auch noch ein Kombi, dazu unzählige Ausstattungsvarianten, sogar eine Turbo-Variante und auch ein Diesel, der einen Vierzylinder von VM Motori erhielt, aber nur 100 Mal auf die Welt kam. Wieder später folgten ein 1600er-Benziner, ein 1400er-Turbodiesel, Varianten mit hohem Dachaufbau für Van- oder Krankenwageneinsätze und und und. Denn trotz aller Umwälzungen, die sich schließlich Ende der 1980er in Europa abzeichneten, lief der Polonez immer noch erstaunlich erfolgreich. Das führte schließlich 1989 – zwölf Jahre nach der Markteinführung, als die Basis schon 22 Jahre alt war – zu einem grobem Facelift und auch einem neuen Motorenlieferanten. So bediente man sich dank der luftigeren Grenzen nun eines Ford-Motors, da auch die Fiat-Verträge zum großen Teil schon ausgelaufen waren. Damit endet die Geschichte des Polonez aber immer noch nicht.

1997 gab es nämlich eine erneute Überarbeitung, wobei die Beinamen zwischen Caro Plus und Classic je nach Markt variierten. Aber so oder so war es immer noch das gleiche Auto, aber wieder mit neuer Front, neuen Stoßfängern und einem frischen Armaturenbrett, und ab dann wurde es noch einmal wirklich spannend: Daewoo war als einer der ersten südkoreanischen Autobauer im Begriff, in Europa Fuß zu fassen, wofür man einen brauchbaren Partner suchte. FSO bot sich da irgendwie an. Die polnische Regierung wollte die Bude ohnehin privatisieren, und neben der Fertigung von Nexias und Esperos bot sich die Pick-up-Version des Polonez als die Variante mit großem Potenzial, im Sinne der neuen Eigner weitergebaut zu werden. Generell hießen alle Polonez ab 1999 dann Polonez-FSO, der Hersteller hingegen Daewoo-FSO, wobei sich da schon langsam ein Ende abzeichnete. Bis 2002 liefen tatsächlich noch Fahrzeuge vom Band, teilweise sogar schon mit Klimaanlage, aber Daewoo war bereit zum nächsten Schritt ihrer Expansion, benötigte dafür aber kein Auto mehr, das zu diesem Zeitpunkt schon 24 Jahre alt war, rein technisch gesehen gar schon 35. Also zog man langsam den Stecker, beendete erst die Pkws, ein Jahr später dann auch die Produktion des Pick-ups. Zwar gab es dann noch Versuche einer neuen Firma namens Polska Fabryka Samochodów (PFS, später schlicht Poltruck), zumindest die Nutzvariante weiter zu produzieren, aber dieses Unterfangen war nie von Erfolg gekrönt, da 2004 Polen der EU beitreten sollte und somit westliche Fahrzeuge wie Ahornsirup auf den heimischen Markt schwappten.

Und FSO? Auch hier kam man irgendwie unter die Räder des Kapitalismus. Nachdem Daewoo bereits 2000 Insolvenz anmelden musste und an General Motors ging, wurde es noch einmal brenzlig. Zwar fertigte man bereits im Auftrag den Opel Vectra für den Heimmarkt. Gleichzeitig stampfte Opel in Gilwice ein eigenes Werk aus dem Boden, die Warschauer Fabrik war also irgendwie mit einem Ablaufdatum versehen. Zumindest durfte man unter dem Namen FSO noch den Matiz und Lanos noch bis 2007 weiterproduzieren, obwohl die damals schon niemand mehr kaufen wollte. Also machte man sich auf die Suche nach neuen Partnern. Die Wahl, auf MG Rover zu setzen, sollte sich also nicht sonderlich schlau erweisen, da dieses selbst nur ein Jahr nach Verhandlungsbeginn den Bach runtergehen sollten und im Endeffekt in chinesischer Hand landeten.

Die Beteiligung des ukrainischen Herstellers AwtoSAS und der schlussendlichen Übernahme von 40 Prozent seitens GM sollte zwar noch eine Gnadenfrist bis 2011 bedeuten, da in Lizenz die kleine Stufenhecklimousine Chevrolet Aveo gefertigt wurde. Aber dann war es wirklich endgültig vorbei mit FSO als Fahrzeughersteller.

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