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Helden auf Rädern: Renault Estafette

Schiebung will geformt sein

Wenn sich ein Player nicht an die Spielregeln hält, muss man kreativ werden, um noch mitmischen zu können. Renaults Weg zum Estafette war etwas steinig und warf irgendwie alle Pläne über den Haufen, die man für die Marke hatte.

Wenn man es ganz streng sehen möchte, beginnt die Geschichte des Estafette schon 15 Jahre vor Produktionsstart. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fasste man im französischen Industrieministerium nämlich den Entschluss, welche Firma welche Fahrzeuge zu bauen hat, um das Land möglichst rasch und effizient wiederaufbauen zu können. Peugeot und Renault sollten sich auf Kastenwägen von 1.000 bis 1.400 Kilogramm konzentrieren, Citroen hingegen die schwere Partie von zwei bis 3,5 Tonnen übernehmen. Nachdem Citroen aber schon einen so genialen Plan für einen Ein-Tonner hatte, ignorierte man einfach die Idee von der Regierung und baute den H, der zum durchschlagenden Erfolg wurde – und Renault natürlich ein wenig in die Enge trieb.

Ihr 206 E1 war nämlich nicht so clever konstruiert, hatte noch einen Rahmen mit Holzgestell und simpler Metallverblechung, war zudem ein wenig größer als die neue smarte Nutzi-Generation, in die Anfang der 1950er auch der VW Bus immer stärker mitmischte. Es wurde also Zeit, alle lange ausgeheckten Businesspläne über den Haufen zu werfen. Heckmotor mit Heckantrieb ist schon OK. Aber warum nicht auch einen Frontmotor mit Frontantrieb bauen? Man machte sich an die Arbeit. Es ist fast schon ein Treppenwitz, dass Fernand Picard, Konstrukteur des Heckmotorwagens 4 CV sich bereit erklärte, den Estafette zu konstuieren. Er möge doch bitte den luftgekühlten 845er-Motor aus der Dauphine einfach übernehmen, teilte man ihm noch mit, was aber garnicht so easy war, da man viele Anbauteile umändern musste, um dem neuen Einbauort gerecht zu werden – inklusive Getriebe.

Es gelang schlussendlich aber, wobei man durch diesen Missstand gleich ein anderes Problem lösen konnte. Lange befürchtete man nämlich, dass der kleine Motor überhaupt nicht ausreiche, um schwere Lasten zu bewegen. So aber konnte man die Übersetzungen richtig wählen und alles solide genug auslegen, sodass der Estafette 1959 in vier Versionen und in vier Farben schließlich starten konnte. Und nicht nur die robuste Art lag den Kunden. Cool fanden sie auch den niedrigen Ladeboden und die aufschiebbaren Vordertüren, die man fürs Fahren offiziell zwar immer wieder schließen musste – im Lieferstress in Großstädten „vergaß“ man diesen Umstand aber immer wieder gerne.

Nachdem nicht nur die französische Telefongesellschaft immer mehr auf den Renault spitzte sondern auch die Polizei, war es drei Jahre später dann aber doch an der Zeit, die originalen Pläne mit dem kleinen Einheitsmotor zu verwerfen und dem Estafette als erstem Produkt der Marke den neuen 1100er-Vierzylinder zu verpassen, sogar noch vor dem Renault 8, der als brandneues Modell eigentlich den Vorzug hätte bekommen sollen. Und so blieb es dann auch die nächsten Jahrzehnte, wenn man von kleinen optischen Liftings absieht, denn das muss man dem Estafette lassen: Nicht nur dass er bis 1980 in Frankreich vom Band lief. Auch in Algerien und Rumänien fertigte man den Kleinbus unter Lizenz, und in Mexiko sogar noch bis 1986.

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