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RItter aus Leidenschaft

Keine andere Marke war so darauf aus, nicht zu expandieren wie Bristol. Dem Königreich verpflichtet, lehnte man konsequent neue Trends ab und hielt die Tradition klassischen Automobilbaus hoch.

Roland Scharf

Er hätte das Empire garantiert gerettet. Oder zumindest den Brexit in einer Woche durchgeboxt. Anthony Crook wäre jedenfalls im Stande gewesen, der Queen ein verschmitztes Lächeln ins Gesicht zu zaubern, denn was er tat, diente nur zum Wohle der Krone. Egal ob im Zweiten Weltkrieg, später bei Autorennen oder dann als findiger Autohändler. Denn eine neue Firma hatte es ihm als alten Piloten besonders angetan, die die vermutlich britischste von allen war: Bristol Cars.

Nach dem Krieg versuchte die Bristol Aircraft Company aus Filton ein zweites Standbein hochzuziehen. Aus der Kriegsbeute schnappte man sich Konstruktionen von BMW und modelte diese gründlich um. Heraus kam der 400, ein Vollalu-Coupé mit atemberaubender Stromlinienform und einer Fertigungsqualität, wie man sie sonst nur von Jagdflugzeugen kannte.

Die Turbulenzen um das Comet-Desaster (der Zivilflieger stürzte aufgrund technischer Mängel mehrmals ab) trieben die Mutterfirma aufgrund gesetzlicher Auflagen dazu, mit anderen privaten Flugzeughersteller zu fusionieren. Man sah sich also genötigt, die Autosparte zu verkaufen. Crook sah seine Chance und schlug zu. Endlich konnte das Imperium zurückschlagen. Und dies tat er, indem er wie der Gralshüter so wenig wie möglich veränderte.

So galt es als kleine Revolution, als 1958 eine völlig neue Karosserie eingeführt wurde. Diese hielt dafür bis 1976, als es dann noch einmal eine völlig neue Hülle sein durfte. Darunter befand sich aber nach wie vor die schlanke Rahmenkonstruktion mit Starrachse und Watts-Aufhängung. Die Konstruktion war aufwändig, und die handvoll Mitarbeiter benötigten pro Fahrzeug bis zu 20 Wochen. Zahlreiche Anleihen am Flugzeugbau, von vernieteten Alublechen über dreifach abgesicherte Verschraubungen bis hin zu den Transportfächern hinter den Vorderrädern sorgten für das gewisse Alleinstellungsmerkmal, um die immensen Preise zu rechtfertigen. Immerhin bewegte man sich in Rolls-Royce-Regionen.

Um so einen Laden mit dermaßen wenig Umsatz am Laufen zu halten, musste man zu etwas anderen Methoden greifen. Der gepflegten Gaunereien nie überdrüssig, gelang es Crook zum Beispiel, Girling ein aufwändiges Bremssystem entwerfen zu lassen. Für das Prestige des Zulieferers sei so ein Deal schließlich Gold Wert. Ähnlich verhielt es sich mit der Lenkung aus dem Hause ZF, wobei beide Firmen aufgrund der explodierenen Kosten dieser Projekte beinahe Pleite gegangen wären. Nur Mister Crook war fein raus. Auch der Deal mit Chrysler gestaltete sich ähnlich kreativ. Man gewährte Bristol freien Zugriff auf alle Aggregate. Dass man diese Option schamlos über Jahrzehnte ausnutzte, ärgerte die Granden in Detroit zunehmends. Sie hatten aber absolut keine Möglichkeit, aus dieser Vereinbarung herauszukommen, sodass sie nach 2000 zähneknirschend sogar die raren Viper-V10 herausrückten. Um Steuern und Zoll zu sparen, griff Crook übrigens nur zu Motoren und Getrieben, die in Kanada, also innerhalb des Common Wealth, gefertigt wurden. Ob er diesen Preisvorteil an seine Kunden weiter gab, gilt aber als eher unwahrscheinlich.

Jedenfalls kam es, dass es 1983 Zeit für ein kleines Facelift war, nachdem für eine neue Karosse schlicht das Geld fehlte. Das kam meist dann, wenn es zugekaufte Teile wie Traggelenke oder Scheinwerfer nicht mehr gab, und genau auf diese Art sollte der ehemals 603 getaufte “Two door sedan” bis 2002 im Programm bleiben.. Der Britannia zum Beispiel Scheinwerfer und Rücklichter aus den Nutzfahrzeugsparten von British Leyland und Bedford, der Nachfolger Blenheim bediente sich dann beim BMW oder Opel – aber immer behielt man den großen Rest weitgehend bei – wobei ausgerechnet die Armaturenlandschaft stellvertretend für Bristols Vorgehen stehen. Bevor man neue Schalter verwendet, beleuchtet man die bestehenden lieber über externe Lampen.

Dass dennoch so viele vom Alten Geld zu einem Bristol griffen, hatte da schon lange etwas mit dessen verschrobenem Image zu tun. Denn es durfte noch lange nicht jeder ein Auto kaufen. Nur solche, die Anthony Crook auch sympathisch waren. Wer sich im einzigen (!) Schauraum in London Kensington zum Beispiel als unwürdig erwies, der wurde im schlimmsten Fall einfach herauskomplimentiert. Im besten Fall bekam er noch die Empfehlung, sich doch besser bei Jensen umzusehen.

Journalisten hatten mehr oder weniger Hausverbot. Neureiche taten sich auch nicht viel leichter, genau so wie harmlose Fans. Die bekamen mit etwas Glück ein Prospekt – aber nur von Modellen, die bereits ausgelaufen waren. So scharrten sich schließlich Exzentriker und Individualisten in der Käuferschicht, die alle etwas aus der Masse hervor stachen. Noel Gallagher bekam zum Beispiel einen Bristol, genau so wie Ex-US-Präsident Jimmy Carter. Virgin-Gründer Richard Branson hatte nicht nur das nötige Kleingeld, sondern auch die Steher-Qualitäten, die es Crook so angetan haben. Und dass sogar der damalige Audi-Chef bei ihm einkaufte, war natürlich ein besonderer Triumph. Wie es beim Vorstand aber ankam, als dieser mit seinem Briten in Ingolstadt vorfuhr, ist nicht überliefert.

Hatte es Tony einmal auf einen abgesehen, war er beim Verkaufen so gnadenlos wie auf dem Schlachtfeld. Ein Pärchen, das im Schauraum Kaufinteresse vorgaukelte, damit der wahre Interessent in Zugzwang geriet, galt schon als Standardprogramm. Wirklich los ging es erst bei der Probefahrt – natürlich nur mit dem Chef am Beifahrersitz, der schnell die richtigen Argumente fand. Ein Bentley, das ist ja wie ein großer übergewichtiger Hund, der dauernd furzt. Und Aston Martin-Fahrern empfahl er, dass David Brown (der damalige Firmeneigner) am besten mit einem Satz Gabelschlüssel mitfährt, weil garantiert etwas kaputt gehen wird. Und diese neuen Jaguar, die seien doch wie Anzüge aus dem Kaufhauskatalog. Am Papier schauen sie ja recht nett aus. Aber wehe, man zieht sie an! Und wie sehr Jensen ihn angefleht hat, ihnen zu zeigen, wie er es geschafft hat, dass die großen Ami-V8 in den schlanken Karossen nicht dauernd heiß laufen. All diese Peinlichkeiten könne man sich ganz einfach mit einem Bristol ersparen.

Und tatsächlich ist es so, dass egal welchen Bristol man auch fährt – dank der zahlreichen Detailverbesserungen konnte stets dieses ganz besonders Fahrgefühl bewahrt bleiben. Die perfekte Gewichts-Balance sorgt in Kombination mit dem Frontmittelmotor-Layout für gefühlvolles Fahrverhalten. Die Lenkung ist exakt und leichtgängig, die Bremsen (wir erinnern uns: Girling) über alle Zweifel erhaben und das Handling so perfekt, weil das Lenkrad genau in Fahrzeugmitte sitzt. Man schwebte gewissermaßen über den Dingen, gepflegt vom Fußvolk isoliert in feinstem Leder und einer Karosserie, die nur die notwendigsten Geräusche ins Innere vordringen ließ.

All das führte dazu, dass es tatsächlich bis ins jetzige Jahrtausend noch neue Bristols mit dieser Uralt-Technik gab - wenn auch nur mehr eine Handvoll. Die Konkurrenz vom Festland war schließlich schon um Jahrzehnte voraus, und auch Crooks zweites Geschäftsfeld, alte Bristols zu restaurieren und teuer weiterzuverkaufen, zwangen ihn vor gut 20 Jahren, tatsächlich als Firmenchef abzutreten. Spätestens bei Themen wie Airbags, ABS und ESP musste das Empire den Rückzug antreten.

Damit war es mit Bristol Cars im Prinzip vorbei. Alle Wiederbelebungsversuche blieben seither mehr oder weniger erfolglos. 2011 kam die erste große Pleite, 2012 starb mit Crook auch die Seele dieses Betriebs, die bis vor einem Jahr noch mit dem Restaurieren und Teileverkauf existierte. 2020 kam schließlich die finale Liquidation, auch die neuen Eigentümer schafften es nicht, das Ruder herumzureißen. Tony Crook hätte die unwürdigen Manager vermutlich höchstpersönlich aus seinem Schauraum geworfen.

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