Formel 1: News | 23.04.2004
Der "Doctor" schnuppert F1-Luft
Valentino Rossi ist der wohl beste Motorrad-Pilot der Welt, nach seinem Test für Ferrari ist der "Doctor" auch in der F1-Szene in aller Munde.
Fotos: Photo4 / Yamaha-Racing
Bernie Ecclestone ist der unumstrittene Boss der Königsklasse des Motorsports. Sein Wort ist in der F1Welt Gesetz. Und selbst in diesen roten Tagen sagt der große F1-Zampano nicht umsonst: „Die Formel 1 kann sich glücklich schätzen einen Superstar wie Michael Schumacher zu haben.“
Denn wenn sie ihn nicht hätte, dann hätte sie zumindest für ein Jahr keinen einzigen Weltmeister in ihrem Starterfeld. Allerdings behaupten böse Zungen auch, dass es so lange Schumacher bei Ferrari seine dominanten Runden dreht ebenfalls keinen anderen Weltmeister geben wird...
Aber nicht nur in der Königsklasse des Motorsports gibt es einen solchen alle anderen überragenden Superstar. Auch in der Königsklasse des Motorradsports sticht ein Pilot aus den Reihen der Zweiradartisten besonders hervor. Sein Name lautet Valentino Rossi. Und seine Verbindungen zur F1 sind gar nicht so gering.
Das ist der Doctor
Muhammed Ali, Franz Beckenbauer, Michael Schumacher oder Steffi Graf: In jeder Sportart existieren Superstars oder fast schon „Sportlerlegenden“ die beinahe als Synonym für ihren Sport gelten. Im Motorradsport sind dies so klingende Namen wie John Surtees, Giacomo Agostini oder Mick Doohan. Und natürlich: Valentino Rossi.
Dabei ist der am 16. Februar 1979 im italienischen Urbino geborene Fünffachweltmeister alles andere als ein vom Erfolgsstreben zerfressener Überfahrer, sondern ein bei allem was er macht vollkommen natürlicher und lustiger Mensch, der sehr viel Spaß an seinem Sport hat.
Am letzten Wochenende fuhr Rossi seinen hart umkämpften ersten Yamaha-Sieg ein!
Jeremy Burgess, der lange Jahre Mick Doohan und danach bis heute Valentino Rossi betreute, fasst dies so zusammen: „Mick Doohan genoss es zu gewinnen, aber Valentino genießt es Rennen zu fahren. Wenn Valentino ein großartiges Rennen fährt und nur Zweiter wird, dann ist er enttäuscht, aber er ist nicht wütend auf den Rest der Welt wie dies Mick immer war. Er wird Dir nicht den Kopf abreißen.“
Denn rollende Köpfe sind Valentino nicht so wichtig wie lachende Gesichter: „Für mich ist es wichtiger Spaß zu haben“, sagt der Italiener, der sich bravourös seinen Weg durch die drei Klassen gebahnt hat. Sobald er den 125er WM-Titel 1997 gewonnen hatte, wechselte er in die 250er Klasse und nach seinem Vizetitel 1998 folgte schon 1999 der neuerliche Triumph, weswegen er direkt und ohne Umschweife wiederum um eine Klasse in die Königsklasse aufstieg.
Aber nach drei Weltmeistertiteln in Folge verließ den nach Motorsport verrückten Rossi die Motivation einen vierten überlegenen Titel mit den Japanern von HRC einzufahren, weswegen er sich – so wie 1996 Michael Schumacher bei seinem Wechsel von Benetton zu Ferrari – eine neue Herausforderung suchte.
Und diese Herausforderung hört auf den Namen Yamaha. „Ich brauchte eine neue Motivation, ein neues Abenteuer“, erinnert sich Valentino heute an den langwierigen Entscheidungsprozess zurück, der für viel Gesprächsstoff in der MotoGP-Klasse sorgte. „Immer wenn ich mit den Leuten von Yamaha sprach bekam ich das Gefühl, dass sie mich so sehr wollten um mit ihnen zu siegen. Wir arbeiten an unserem Traum, bei Null zu beginnen und an die Spitze zu gelangen. Dies ist gut für die Motivation und hält diese bei 100%.“
Die Freude über den Triumph war groß
Das Geld, welches der momentan wohl beste Motorrad-Pilot der Welt, dafür einstreicht war jedoch nicht das Hauptargument den Arbeitgeber zu wechseln. „Wenn man die Entscheidung über einen neuen Vertrag fällt, dann kommt das Geld vielleicht an vierter oder fünfter Stelle“, erklärt Rossi. „Es ist aber nicht das Wichtigste. Vor dem Geld muss man entscheiden ob man dieses Bike fahren möchte. Wenn man dann mit diesen Leuten und dem Team zusammenarbeiten möchte, spricht man über das Geld.“
Davon bekommt Rossi bei Yamaha garantiert nicht zu wenig. Dafür muss er bei seinen Ansprüchen – zumindest anfangs – etwas zurückstecken und mit den von Honda mitgebrachten Ingenieuren ein von Grund auf neues Motorrad entwickeln. Doch wer könnte dies besser als Valentino Rossi?
Schließlich gilt der fünffache Champion nicht nur als ein großartiger Racer und brillanter Entertainer, sondern auch als genialer Entwickler, dessen Feedback es den Ingenieuren erlaubt ein Bike schnellstmöglich zu verbessern.
Masao Furusawa, seines Zeichens General Manager bei Yamahas Technology Development Division, beschreibt diesen Prozess wie folgt: „Ich habe Valentino mit der Basis versorgt und nun kümmert er sich um das Feintuning des Pakets. Ich bin davon begeistert wie er dies macht“, so der Japaner, der nun ins Detail geht: „Mein erster Eindruck von Rossi war, dass er ziemlich witzig und immer positiv ist und einen großartigen Charakter besitzt. Ich hätte niemals erwartet, dass dieser lustige Junge technisch so analytisch sein könnte“, lobt Furusawa die technischen Fähigkeiten und das Feedback seines Piloten.
Der Italiener wird in der Motorradwelt nur "Der Doktor" genannt
„Rossi hat eine Fähigkeit das Bike für sechs oder sieben Runden zu fahren und gleichzeitig ein halbes Dutzend Bereiche auszutesten. Auf seinen ersten sechs Runden mit dem Bike hat er es komplett durchgecheckt. Aber es ist nicht nur seine Fähigkeit zu verstehen was er testet, sondern auch die Art und Weise wie er die Daten an sein Team und seine Ingenieure weitergibt. Er ist wie ein Computer, der alle Komponenten logisch untersucht. Ich glaube, dass er deswegen der Doctor ist – er untersucht das Problem und bietet ein Heilmittel dafür an.“
Wie Valentino tatsächlich zu seinem Beinamen „the Doctor“ gekommen ist, erklärt der Italiener am besten selbst: „Als ich 2000 zu den 500ern wechselte nahm ich den Namen "the doctor" an, weil man hier wie ein Arzt ruhig und überlegt mit seinem Bike umgehen muss. Zudem gibt es in Italien viele Ärzte namens Rossi. Deswegen wurde ich Doctor Rossi.“
Der Rennsportvirus wurde dem kleinen Valentino hierbei von Vater Graziano, der 1979 drei 250er Grand Prix auf Morbidelli gewann, in die Wiege gelegt. Begonnen hat Rossi seine „Motorsportkarriere“ bereits im zarten Alter von zwei Jahren auf einem Motorrad. Danach interessierte sich der heutige Yamah-Pilot allerdings eher für den Automobilrennsport, weswegen er auch in den Kartsport einstieg, welchen er aus Kostengründen jedoch zu Gunsten einer Motorradkarriere aufgeben musste.
Mit Honda eilte Rossi in den letzten Jahren von Sieg zu Sieg
Keine schlechte Entscheidung möchte man meinen. Doch ein bisschen hängt das Herz des Weltmeisters doch noch an den Vierrädern. So absolvierte er sowohl eine Etappe der Großbritannien Rallye als auch einen Formel 1 Test für die ruhmreiche Scuderia Ferrari.
Dabei schien dieser von ihm so sehr angestrebte Formel 1 Test beinahe schon zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Denn erst lehnte sein damaliger Motorradarbeitgeber Honda einen Test beim British American Racing Team, welches bekanntlich mit Aggregaten der Japaner unterwegs ist, ab und erwiesen sich danach mehrere Meldungen über einen Test für Toyota als weiß-rote Presse-Enten.
Aber selbst wenn die Formel 1 Rossi mittelfristig reizen könnte, um nach einem möglichen Titelgewinn mit Yamaha eine weitere neue Herausforderung darzustellen oder weil Valentino vielleicht dem großen John Surtees, dem bislang einzigen Weltmeister auf zwei und vier Rädern, nacheifern möchte, so hat er vorerst noch genügend Arbeit und Spaß in der MotoGP-Welt.
Denn Rossi liebt das was er macht und sieht sich nicht unbedingt als einen besonders wichtigen Superstar an. Stattdessen sagt er: „Ich bin nur ein Fan auf einem Motorrad.“ Mehr nicht. Aber immerhin ein verdammt schneller Fan.
Seine teils ausufernden Jubelarien nach einem Grand Prix Sieg begründet Rossi in seinem lustigen Naturell sowie einer alten Idee mit seinen Jugendfreunden: „Als ich damit anfing zu gewinnen beschlossen meine Freunde und ich, dass wir etwas Besonderes machen sollten das viel Spaß macht. Wir wollten einfach etwas Neues machen um allen die Emotionen ein Rennen zu gewinnen zu zeigen.“
Rossi freute sich sichtlich über den F1-Ausflug zu Ferrari
Und dies gelingt Valentino für wahr immer wieder auf’s Neue. Eine Tatsache, welche ihm den Weg in die Formel 1 einerseits erleichtern, schließlich sucht man dort händeringend nach echten Persönlichkeiten und Charakterköpfen, andererseits aber auch erschweren könnte. Denn der allmächtige Bernie Ecclestone, der Rossi schon vor Jahren in seinen F1-Zirkus hinein wünschte, sagte zuletzt:
„Ich weiß nicht, ob die Leute bei uns wirklich diese leicht verrückten Dinge erwarten, die ein Rossi tut. Man darf nicht vergessen, unter welchem Druck ein moderner Formel 1-Pilot steht. Sie müssen ernsthaft sein und ernsthaft wirken, da sind ganz andere Sachzwänge vorhanden als bei den Bikes.“
Da könnte Bernie Recht behalten, denn für Rossi dreht sich die Welt nicht nur um „neue Märkte“, „PR-Termine“ und „Geld“. Für ihn sind auch seine Freunde sehr wichtig. Ganz und gar nicht interessiert ist er hingegen am großen Medien- und Fanrummel in seiner Heimat, welche er zu Gunsten eines etwas unerkannteren Lebens in London verlassen hat.
„Wenn ich kein Rennfahrer wäre, würde ich ein normales Leben führen“, sagt der Mensch Valentino Rossi. „Ich würde Spaß haben und Zeit mit meinen Freunden verbringen. Ich würde auch Sport treiben. Fußball spielen oder Motocross fahren – einfach alles mit Rädern!“