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„Jede Dominanz hat irgendwann ein Ende“

Im zweiten Interviewteil spricht Dupasquier über die Konkurrenzfähigkeit seiner Pneus in der F1, aber auch über den Wettbewerb in der Rallye-WM.

Pierre Dupasquier steht für Reifen, Ehrlichkeit, Offenheit und Motorsportleidenschaft. Dabei ist Dupasquier bei Michelin aber nicht nur für die „Königsklasse des Motorsports“ verantwortlich. Auch die Rallye-WM oder die MotoGP-Weltmeisterschaft unterliegen dem französischen Urgestein. Im zweiten Interviewteil spricht der Motorsport-Direktor von Michelin über die Konkurrenzfähigkeit seiner Pneus in der Formel 1, über die bevorstehenden Regeländerungen und den Wettbewerb in der Rallye-Weltmeisterschaft.

Ist es für Michelin ein Nachteil, sich nicht auf ein einziges Entwicklungsteam konzentrieren zu können, wie dies der Wettbewerber vorexerziert?

Pierre Dupasquier: Das technische Reglement in der Formel 1 ist so eng definiert, dass die Entwicklung bei den verschiedenen Teams ganz automatisch eine ähnliche Richtung einschlägt. Die Unterschiede sind in der Tat sehr gering – auch wenn sie sportlich große Auswirkungen haben können. Die einzige Ausnahme stellt vielleicht die Menge des Abtriebs dar, die die Aerodynamik bei hohen Geschwindigkeiten generiert. Aber Ferrari wollte explizit mit einem exklusiven Reifenpartner arbeiten. Dies ist auch der Grund dafür, warum wir nicht zusammen gefunden haben.

Unterscheidet sich die Art und Weise, wie Michelin mit einzelnen Partnerteams zusammenarbeitet?

Pierre Dupasquier: Die Aufgabe unserer Reifen ist vereinfacht gesagt, die Motorleistung auf den Boden zu bringen – je mehr, desto besser. Die Entwicklung des Chassis und des Setups gehört zu den Aufgaben der einzelnen Teams. Doch wir werden intensiv in die Arbeit integriert, und es ist durchaus so, dass Verbesserungsvorschläge aus beiden Richtungen unterbreitet werden.

Gibt es größere Auffälligkeiten, was die einzelnen Set-up-Philosophien betrifft?

Pierre Dupasquier: Nein, auch hier sind die Unterschiede eher gering. Wir arbeiten mit allen unseren Partnerteams eng zusammen, um jeweils das Optimum aus unseren Rennreifen herausholen zu können. Unser Ehrgeiz ist es, ihnen perfektes Material zu liefern.

Wie stark beeinflusst der Reifen die Performance in der Formel 1?

Pierre Dupasquier: Auf die einzelne Runde betrachtet ist die Aerodynamik der Schlüssel zum Erfolg, da spielen die Pneus oder die Motorleistung eine wesentlich geringere Rolle als gemeinhin angenommen. Auch über die Renndistanz entscheidet die Aerodynamik letztendlich darüber, wie konstant die Rundenzeiten bleiben – also wie sich zum Beispiel der Reifenverschleiß entwickelt. Renault etwa ging in Brasilien mit extrem flachen Flügeln und entsprechend geringem Downforce an den Start. Dadurch gehörten sie auf den Geraden zwar zu den Schnellsten, brauchten aber auch ihre Pneus schnell auf. Das hat Fernando Alonso schlussendlich einen Platz auf dem Podest gekostet...

Vor Beginn der neuen Formel-1-Saison hat die FIA auch die Aerodynamik der Fahrzeuge stark beschnitten. Wie wirkt sich dies auf Michelin aus?

Pierre Dupasquier: Wir werden mit Sicherheit neue Konstruktionen entwickeln müssen, die den neuen Anforderungen entsprechen – immerhin haben sich mit dem neuen Reifen-Reglement und der eingeschränkten Aerodynamik gleich zwei wichtige Parameter nachhaltig verändert.

Während der diesjährigen Grand Prix traten überraschend viele Reifenschäden auf. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Pierre Dupasquier: Es waren auf jeden Fall zu viele. In Spa-Francorchamps haben wir in der Busstopp-Schikane einen Randstein entdeckt, der eine scharfe Kante aufwies und dadurch die Flanken der Reifen beschädigte, wenn die Fahrer in dieser Kurve zu stark abkürzten. Durch die härteren Mischungen, die uns angesichts des neuen „Longlife“-Reglements ins Haus stehen, werden die Pneus in der kommenden Saison auf jeden Fall deutlich resistenter werden.

Werden uns die Winter-Testfahrten bereits ein klares Bild vermitteln, wer die neuen Aufgaben am besten gelöst hat?

Pierre Dupasquier: Ich glaube eher, dies wird ein riesiges Durcheinander. Die einen fahren mit neuen, andere mit älteren Reifen, manche mit neuer und wiederum ganz andere noch mit alter Aerodynamik. Ich glaube, dass wir erst bei Saisonbeginn in Australien klar durchblicken werden, was die neue Kräfteverteilung betrifft.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich 2005 die Dominanz von Ferrari wiederholen wird?

Pierre Dupasquier: Die Scuderia besitzt sehr starke Strukturen. Zudem haben die Italiener massiv in Simulationstechniken investiert. Daraus ergibt sich, dass sie auch optimal gerüstet sein sollten, um aus den Reglementsänderungen das Beste machen zu können. Aber im Motorsport war es schon immer so: Irgendwann geht jede Dominanz einmal zu Ende.

Das klingt ein wenig wie Pfeifen im Keller…?

Pierre Dupasquier: Vielleicht. Aber wir hatten beim diesjährigen Saisonfinale in Interlagos mit Williams-BMW und McLaren-Mercedes gleich zwei Teams vorne, das war ein ganz entscheidender Punkt. Beiden Rennställen sind zuvor deutliche Fortschritte gelungen, kein Zweifel. Und doch waren es Rennreifen von Michelin, die man in Brasilien haben musste, um siegfähig zu sein. Ein anderes Beispiel: Mit unseren Regen-Rennreifen ist uns in der Formel 1 ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung gelungen – wie Kimi Räikkönen beim Großen Preis von Brasilien unter Beweis gestellt hat, als er gleich zu Beginn des Rennens mit seinen Intermediate-Pneus auf nasser Strecke die Führung übernehmen konnte. Wir hatten im Laufe des vergangenen Jahres nicht viele Gelegenheiten, diese Regenspezialisten auszuprobieren. Wenn sie doch zum Einsatz kamen wie etwa in Spa-Francorchamps oder in Monza, dann haben sie ihre Aufgabe bestens gelöst.

Wie groß bewerten Sie die Chance, dass die Reglements-Änderungen die Kräfteverhältnisse im Grand-Prix-Sport neu sortieren?

Pierre Dupasquier: Als sehr groß. Alle fangen für 2005 im Prinzip wieder mit einem weißen Blatt Papier an. Je mehr Parameter sich von einer zur nächsten Saison verändern, desto besser stehen die Aussichten für einen Machtwechsel.

Könnte dies den „Michelin-Teams“ in die Hand spielen?

Pierre Dupasquier: Absolut. Nehmen wir nur McLaren-Mercedes als Beispiel. Dieser Rennstall besitzt alles, was es braucht, um Weltmeister zu werden. Clevere Ingenieure, einen funktionierenden Windtunnel, einen starken Motor. Das sieht bei Williams-BMW nicht anders aus, trotz unterschiedlicher Strukturen. Renault besaß 2003 ein Chassis, das für alle die Referenz war.

Mit Sauber begrüßen Sie pünktlich vor der neuen Saison einen weiteren Partner-Rennstall…

Pierre Dupasquier: Wir haben Peter Sauber nicht darum gebeten, Michelin zu fahren. Doch wir sind in der angenehmen Situation, dass wir gefragt werden. Peter Sauber ist sich sicher, dass unsere Rennreifen für seinen Rennstall von Vorteil sein werden – auch dies sagt viel über unsere Reputation aus, die wir uns in den vergangenen vier Jahren erarbeitet haben. Das Reglement schreibt vor, dass wir bei Bedarf 60 Prozent des Starterfelds ausrüsten müssen. Nach dem Ausstieg unseres Partners Jaguar wurden Kapazitäten frei. Und uns ist es lieber, Peter Sauber zu beliefern als zum Beispiel Minardi oder Jordan.

Aber das bisherige Werksteam von Jaguar beziehungsweise Ford hat mit Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz einen neuen Eigentümer erhalten. Auf welchen Reifen rollen dessen Autos in 2005?

Pierre Dupasquier: Wie es aussieht, auf Pneus von Michelin. Ford hat uns frühzeitig über die Entwicklung informiert und darum gebeten, dass wir als Reifenpartner für 2005 an Bord bleiben – dies stellte sogar explizit eines der Argumente beim Verkauf des Teams dar.

Bahrain, China, Malaysia – die Formel 1 expandiert stark in Richtung Asien. Ist dies aus Sicht von Michelin eine positive Entwicklung?

Pierre Dupasquier: Aus Marketing-Gesichtspunkten absolut sinnvoll. Die dortigen Märkte wachsen mit rasantem Tempo.

Mit Kumho hat ein dritter Reifenhersteller mittelfristig ein Engagement in der Formel 1 angekündigt.

Pierre Dupasquier: Nun, sie bauen bereits Formel-3-Pneus, die meines Wissens ganz passabel funktionieren. Das ist für diese Marke bestimmt eine gute Entscheidung, die auch hausintern für große Motivation sorgen wird.

Wie schnell wird Kumho Erfolg haben?

Pierre Dupasquier: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube nicht, dass eines der Topteams zu diesem neuen Wettbewerber wechseln wird – dies würde für einen längeren Zeitraum bedeuten, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein. Die Entwicklung von Rennreifen macht aber nur dann Sinn, wenn sie in Zusammenarbeit mit einem der großen Rennställe erfolgt – auf einem schlechten Auto lassen sich keine guten Pneus entwickeln. Aber ich würde einen dritten Hersteller begrüßen.

Blicken wir auf die Rallye-Weltmeisterschaft: Mit dem Gewinn des Fahrer- und Konstrukteurs-Titels verlief die Saison für Michelin praktisch nach Wunsch – allerdings hatten Sie dort auch wenig Konkurrenz…

Pierre Dupasquier: Subaru und Pirelli haben uns als Gegner durchaus genügt – immerhin ging Petter Solberg als Titelverteidiger auf der Höhe seiner fahrerischen Kunst in die Saison und der Impreza WRC ist aus meiner Sicht nach wie vor das Auto, das es zu schlagen gilt. Petter wurde gegen Ende des Jahres jedoch immer langsamer, ich habe keine Ahnung, warum. Da muss ein größeres Problem aufgetaucht sein.

Für die kommende Saison wechselt das Werksteam von Peugeot – sonst ein treuer Michelin-Partner – das Reifenlager. Warum?

Pierre Dupasquier: Sie brauchten schlicht und ergreifend Geld – aber wir waren nicht bereit, für die Lieferung unserer Reifen auch noch zu bezahlen.

Die Rallye-Weltmeisterschaft wandelt derzeit ihr Gesicht mit atemberaubenden Tempo. Halten Sie dies für einen guten Trend?

Pierre Dupasquier: Ehrlich gesagt: nein. Michelin engagiert sich seit mehr als 35 Jahren in der Rallye-WM. Eine gewisse Portion Abenteuer gehörte bislang immer mit dazu – die „Safari“ in Kenia, die „Nacht der langen Messer“ bei der Rallye Monte Carlo oder auch die irrwitzigen Geschwindigkeiten auf den Schnee-Pisten in Schweden. Doch diese Komponente verschwindet zusehends. Die einzelnen WM-Läufe entwickeln sich immer mehr zu VIP-gerechten Veranstaltungen und ähneln immer mehr Rundstrecken-Rennen. Das hat mit dem wahren Geist des Rallye-Sports bald nichts mehr zu tun.

Wo findet denn Ihrer Meinung nach noch echter Motorsport statt?

Pierre Dupasquier: Schauen Sie sich nur an, was in der MotoGP passiert – da geht es rund! Oder Le Mans: Die Mixtur aus Performance über eine Runde und dem Langstrecken-Charakter dieses 24-Stunden-Klassikers ergibt eine einzigartige Spannung.

Worin unterscheiden sich Motorrad-Rennreifen von Wettbewerbs-Pneus für Pkw?

Pierre Dupasquier: Generell heben sich die Fahrstile der einzelnen Piloten deutlicher voneinander ab. So besitzen zum Beispiel Valentino Rossi und Max Biaggi ein völlig anderes Gefühl für Vorder- und Hinterreifen.

Was zeichnet Rossi, der auch „Michael Schumacher des Motorradsports“ genannt wird, aus Sicht von Michelin besonders aus?

Pierre Dupasquier: Neben seiner Intelligenz, seinem großen Engagement und einer riesigen Portion Talent auch seine Fähigkeit, das Limit des Motorrads und der Reifen zu fühlen.

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