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Das Bourdais-Syndrom

Ein nicht ganz ernst gemeinter Beitrag zur modernen F1-Psychologie, von "Univ. Prof. Dr. Dr. Michael Noir Trawniczek" - jedoch mit durchaus ernstem Hintergrund.

Michael Noir Trawniczek

Werte Kollegin, werter Kollege! Alte Krankheiten, aber viele neue Bezeichnungen dafür. Wir kennen das. Schließlich herrscht der Fortschritt, auch in der Formel 1. Und so freue ich mich ganz besonders, Ihnen heute nicht nur meine jüngsten Untersuchungsergebnisse präsentieren zu dürfen, sondern Sie auch mit dem von mir entdeckten, neuen und aktuellen Krankheitsbegriff, dem "Bourdais-Syndrom" bekannt machen zu dürfen.

Grundbegriffe

Namensgeber und Patient Sébastien Bourdais ist an sich ein anerkannt schneller Pilot und Franzose. Der 27-jährige begann im Alter von 12 Jahren als aktiver Motorsportler und konnte gleich in seinem Einstandsjahr die französische Maine-Bretagne Kart-Meisterschaft gewinnen. Weitere Erfolge: 1997 französischer Vizemeister der Formel Renault. 1999 französischer Formel 3-Champion. 2002 internationaler Formel 3000-Meister. 2003 als Gesamtvierter bester Rookie in der amerikanischen Champ Car-Serie. 2004, 2005 und 2006 jeweils Champ Car-Meister.

Die Formel 1 ist an sich die oberste Serie bei den offenen Rennautos, den Formelautos. Schon seit Jahren leidet die Formel 1 unter anderem auch an einem akuten Franzosenmangel. Genauer gesagt fehlt ihr ein "schneller Franzose".

Sie haben sicher gleich erkannt: Das Organ Bourdais wird vom Körper Formel 1 konsequent abgestoßen! Quasi! "Warum nur?", werden Sie nun, völlig zu Recht, fragen.

Krankheitsgeschichte

Schon 2002 gab es einen Kontakt. Das Arrows-Team von "Renn-Schlitzohr" Tom Walkinshaw zeigte Interesse, Bourdais hätte umgehend Heinz Harald Frentzen ersetzen können - allerdings entschied er sich dafür, lieber seinen Titel in der F3000 zu erobern. Wenig später wurde er in seinem Entschluss bestätigt: Arrows sperrte zu. Erst später verriet Bourdais, dass er bereits einen Arrows-Vertrag für 2003 in der Tasche hatte, der freilich wertlos war. Zum falschen Zeitpunkt am falschen Platz zu sein - das ist ein wesentlicher Bestandteil des Bourdais-Syndroms.

Im Dezember 2002 kam es zum nächsten Kontakt mit der Formel 1 - und zwar mit dem französischen "Nationalteam" Renault. Dort absolvierte Bourdais einen ausgezeichneten Test, bestand als regierender F3000-Champion jedoch auf eine Chance als Einsatzpilot. Er wollte zumindest eine Zusicherung, dass er nach einem Jahr als Tester ins GP-Cockpit aufsteigen kann - doch diese Möglichkeit wollte man ihm nicht einräumen. So entschied er sich für den Wechsel zu den Champ Cars, wo er zum Serienchampion mutierte.

Lockere Zunge

Als solcher erhoffte er sich eine Rückkehr in die Formel 1. Mehrmals. Doch mehr als Testpilotenjobs wurde ihm nicht angeboten. Mit erhöhtem Frustlevel lockerte sich auch die Zunge des Franzosen. Die F1-Teams würden "nur nehmen, aber keine Garantien abgeben wollen", sagte er etwa. Renault würde vermutlich gar keine französischen GP-Piloten verpflichten wollen, weil diese dann vielleicht die Marke überstrahlen könnten, lautete ein weiteres Statement.

Attest Panis:Selbstschädigung!

Im Zuge von F1-Testfahrten in Barcelona stellte Olivier Panis, der letzte französische GP-Sieger gegenüber motorline.cc Bourdais ein denkbar schlechtes Attest aus: "Sébastien hat Dinge über die Formel 1 gesagt, die ihm nicht gerade geholfen haben. Es bringt nichts, wenn man die F1 immer wieder kritisiert - vor allem, wenn man in der F1 noch kein Großer ist. Weißt du - wir machen uns alle ein bisschen Sorgen um Séastien, er schadet sich selbst. Dabei ist er sehr, sehr schnell. Manchmal zählt eben auch die Einstellung."

Im Vorjahr war Bourdais bei BMW Sauber im Gespräch - als Ersatz für Jacques Villeneuve - doch dieser wurde dann doch nicht ausbezahlt, durfte zumindest am Beginn der Saison sein vertraglich zugesichertes Cockpit behalten. "Ich war enttäuscht, denn ich war auf ihrer Liste ganz oben", sagte Bourdais. Und: "Langsam muss den Leuten doch klar werden, dass ich mit den ChampCar-Titeln und anderen Erfolgen mein Talent bewiesen habe."

Zunehmende Depression - Aufgabe

In der Folge wurden die Wortmeldungen des Franzosen immer depressiver. "Ich weiß nicht, was ich noch mehr machen soll. Ich bekomme ja nicht einmal einen Test", klagte Bourdais, als er 2006 den USA-GP besuchte. Im Sommer 2006 habe es wieder Kontakte zur Formel 1 gegeben, aber erneut seien ihm nur Testpilotenjobs angeboten worden, verriet Bourdais im Herbst. Dazu sagte er: "Was die guten Teams verlangen, kann ich nicht akzeptieren. Ich kann nicht das, was ich mir mühsam erarbeitet habe, einfach aufgeben, ohne dafür andere Garantien zu bekommen."

Nachdem er seinen dritten Champ Car-Titel in Folge erobert hatte, erklärte er im November, er habe nun "den Traum von der Formel 1 aufgegeben". Sein größtes Problem sei, dass die Formel 1-Teams seine Erfolge nicht beachten würden, fügte er schwer frustriert hinzu. Er selbst attestierte: "Das Timing hat einfach nie gestimmt."

Wage Hoffnung, wieder schlechtes Timing

Doch dann kam der Anruf von der Scuderia Toro Rosso. Gerhard Berger lud Bourdais zum Dreitagestest nach Jerez. Dort wollte er seine "letzte Chance" unbedingt nützen. Er sei auch nur unter der Bedingung gekommen, dass er drei Tage erhält - er wusste genau: Ein einziger Tag genügt nicht, um wirklich brillieren zu können.

Am ersten Tag fehlten ihm sechs Zehntelsekunden auf Stammfahrer Tonio Liuzzi. Am zweiten Tag fehlten ihm nur noch 25 Tausendstelsekunden auf den zweiten Stammfahrer Scott Speed. Allerdings ist der Toro Rosso alles andere als ein Spitzenauto, weshalb Bourdais in einigen Zeitentabellen an beiden Tagen als Letzter geführt wurde. Daraufhin setzte es Häme der französischen Presse: "Ich verstehe das nicht - dieses Auto ist kein Ferrari", klagte Bourdais.

Am letzten Testtag konnte sich Bourdais um weitere drei Zehntelsekunden steigern - doch dann passierte etwas, das man als typisch für das Bourdais-Syndrom bezeichnen könnte. Weil Scott Speed unter den Folgen eines Unfalls vom Vortag litt, stieg er auf Anraten der Ärzte aus. Somit fehlte Bourdais der Vergleich zum Teamkollegen. Doch genau dieser Vergleich hätte gezählt - vor allem dann, wenn er schneller als der Stammpilot, der gesunde Stammpilot gewesen wäre.

Sicher: Experten können sehr wohl schätzen, was Bourdais geleistet hat. Gerhard Berger schätzt Bourdais, zugleich erklärte die Scuderia, die Stammfahrer Liuzzi und Speed seien nun für 2007 noch nicht fixiert. Für Bourdais ein deutliches Signal - doch wieder einmal stimmte das Timing nicht. "Wenn dieser Test ein bisschen früher stattgefunden hätte, wäre ich für 2007 frei gewesen, so aber habe ich bereits für mein Champ Car-Team unterschrieben - und der Vertrag ist wasserfest", erklärte Bourdais. In Amerika kann er nach seinen drei Titeleroberungen in Folge eigentlich nur noch verlieren...

Das Bourdais-Syndrom definiert sich also durch ein generell schlechtes Timing, indem man permanent zum falschen Zeitpunkt am falschen oder auch richtigen Ort eintrifft und durch eine heute selten gewordene Pilotenkrankheit, nämlich der "lockeren Zunge".

Immerhin erklärte Gerhard Berger nun gegenüber Autosport: "Bourdais ist für 2008 definitiv ein Thema - aber nicht für 2007, denn er hat einen Vertrag und ich möchte, dass er diesen einhält!" Es besteht also noch die Hoffnung, dass der am Bourdais-Syndrom leidende Sébastien Bourdais es doch noch schaffen könnte - 2008 wird er 28 Jahre alt sein, es ist noch lange nicht zu spät. Dann hätte auch die Formel 1 ihren Franzosenmangel überwunden - und: Sie hätte einen Piloten in ihren Reihen, der ähnlich einem Villeneuve einfach sagt, was er denkt. Keine schlechte Prognose, eigentlich...

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