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"Aus Erfahrungen lernen"

Im zivilen Leben Vorstandsmitglied bei Magna Steyr, bei der Dakar erfolgreicher Truck-Pilot: Dr. Peter Reif über die Tücken der Dakar "neu".

Johannes.Gauglica@motorline.cc; Fotos: KTM, Mitsubishi, P. Reif

Hier finden Sie die Coverage der Dakar 2009 auf Motorline.cc zum Nachlesen!

Executive Vice President Engineering: so lautet der offizielle Titel von Dr. Peter Reif beim Grazer Autoproduzenten Magna Steyr. Den "Ausgleichssport" zu dieser verantwortungsvollen Tätigkeit bietet ihm die härteste Rallye der Welt. Und zwar in einem Truck.

Seinen dreizehnten Start bei der Dakar absolvierte der Salzburger gemeinsam mit Günter Pichlbauer und Andreas Hölzl. Pichlbauer (auf dem Bild links) ist seit sieben Jahren Reifs Stamm-Copilot, Hölzl war als Mechaniker für die Renn-Bikes von KTM an Bord.

Denn das war die Hauptaufgabe des Teams: fliegender Support für die Rennmotorräder aus Mattighofen mit Coma, Despres & Co. Dennoch belegte die österreichische Crew den 28. Rang.

Dakar nach dem Reinheitsgebot?

"Es war mein erster Besuch ins Südamerika, und mein Eindruck war insgesamt sehr positiv“, schildert Reif die Stimmung beim Neustart der Marathon-Rallye, "der Enthusiasmus der Argentinier war gewaltig; die Chilenen waren vielleicht ein bisschen zurückhaltender.“

1988 war der Absolvent der TU Wien zum ersten Mal beim Wüsten-Abenteuer am Start, 1997 hat er die Truck-Wertung gewonnen, 2001 war er Dritter. Als Routinier kann er die mancherorts geäußerte Angst um den "echten Geist" der Dakar nicht nachvollziehen:

"Die Biwaks waren nicht anders als in Afrika. Der Ruhetag war natürlich insofern anders als in Mauretanien, als wir mitten in einer Stadt untergebracht waren; aber eine Erleichterung war das nicht. Und die Werksteams schlafen auch in Afrika im Hotel, wo immer das möglich ist. Ich glaube also nicht, dass das den Geist der Dakar verändert."

Im Staub der Pampa

Atmosphärisch war die südamerikanische Rallye ein Erfolg, aber die Streckenwahl sieht Reif zwiespältig, zum Beispiel die Etappen rund um Buenos Aires: "Der Veranstalter muss sich die Streckenführung nochmals anschauen und auf die Möglichkeiten der Fahrzeuge hin überprüfen. Aber kann er das bei diesem Terrain überhaupt?

Der Bereich von Buenos Aires in Richtung Cordoba führt durch die Pampa, dort ist es sehr flach. Beim Fahren ist man in der Querrichtung sehr eingeschränkt. Das heißt, man kann nicht von der Strecke abweichen. Damit hat sich das Rennen auf eine Kolonne reduziert.

Links und rechts waren in der Regel Gräben und Zäune, jedes Überholmanöver bedurfte der Zustimmung des Vordermannes. Auf 40 Prozent der Strecke konnte man nicht von einem Rennen sprechen – es war eine schnelle Kolonnenfahrt im Staub."

Auch Sainz & Co. beklagten sich über Blindflüge im Staubwirbel vorausfahrender Fahrzeuge, und Reif sieht hier eine große Gefahrenquelle:

"Es hat sehr viele Zusammenstöße gegeben am ersten Tag, nicht nur zwischen gleichwertigen Fahrzeugen. Das Risiko hat man in der Sahara und Sahel auch hin und wieder, aber nicht auf dieser Länge."

Zuviel des Guten?

Das abwechslungsreiche Terrain hat Beobachter überrascht, einige Etappen erwiesen sich aber als überaus schwierig. Das Truck-Rennen musste neutralisiert werden, weil etliche Lastwagen erst mit stundenlanger Verspätung ins Etappenziel kamen.

Peter Reif dazu: "Wenn es dann aus der Pampa hinauf ins Gebirge geht, dann waren dort sehr schöne Strecken, die aber nicht wirklich schwer waren. Ich habe das Gefühl, dass den Leuten, die die Route ausgewählt haben, bewusst war, dass dort die Schwierigkeiten fehlen.

Bewusst oder unbewusst haben sie dann Bereiche gesucht, wo die Schwierigkeit extrem angezogen hat - und da haben sie übertrieben. Der Schwierigkeitsgrad hat das Machbare überstiegen."

Machbar waren diese Passagen für Bikes, Autos und die schnellen Renntrucks mit ihrer günstigeren Gewichtsverteilung: "Denn die fallen nicht so leicht um! Nicht so die Lkw, die die schnelle Assistenz machen und wegen ihrer Bauweise und Zuladung einen höheren Schwerpunkt haben. Ich nehme an, dass im Lkw-Feld 40 bis 50% der Fahrzeuge zumindest einmal umgefallen ist. Das Risiko war permanent gegeben. Ich glaube, dass der Veranstalter daraus lernen wird."

Wüste & Bergstraßen

"Die Atacama war der eigentliche Wüstenbereich. Dort war die Strecke bunt gemischt, wie vom Veranstalter ja auch angekündigt, und schön zu fahren. Die Dünen der Atacama waren machbar."

Tückisch waren wiederum manche Bergstraßen: "Dann hat der Veranstalter etwas für mich Verblüffendes gemacht, nämlich Stücke ausgewählt, die so schmal waren, dass die Reifen auf einer Seite schon über den Abhang geschaut haben.

Nachdem es dort keinen Wald gibt, rollt man schlimmstenfalls mehrere 100 Meter den Abhang hinunter. Mit dem Lkw war das absolut grenzwertig. Sowas muss man vermeiden, das Risiko ist einfach zu hoch."

Ein Ansatz zur Verbesserung wäre neben mehr Sorgfalt bei der Routenwahl auch eine Verlagerung der Rallye weg vom flachen Land der Pampa, mit Buenos Aires als zeremoniellem Startort: "Die Kulisse in Buenos Aires war absolut beeindruckend, genau wie in früheren Zeiten beim Start in Paris. Damals ist man dann 2000 Kilometer gefahren, und dann erst hat das eigentliche Rennen begonnen.

Für die Zuschauer hat man Prolog-Prüfungen gemacht. So könnte man auch in Argentinien die Pampa überwinden: ein Prolog in Buenos Aires, dann die Verbindung nach Cordoba, dort könnte das Rennen beginnen."

Fast Support

Mit dem MAN TGS 18.480 (um ihn einmal bei seinem kompletten Namen zu nennen) erreichten Reif/Pichlbauer/Hölzl am Ende den 28. Platz; mit einem seriennahen Truck samt Nutzlast ist das ein schöner Erfolg.

Ihr Hauptaugenmerk war ja nicht die Platzierung, sondern "eine gewisse, nicht sehr große Menge an Ersatzteilen von A nach B zu bringen. Wirklich wichtig ist das bei den Marathonwertungen, wenn es also eine Nacht gibt, wo die Versorgungs-Lkw nicht ins Biwak dürfen."

Dann dürfen nur die Teilnehmer des Rennens an den Fahrzeugen arbeiten. Deshalb reisen in den schnellen Support-Trucks nicht nur Teile mit, sondern auch ein Mechaniker:

"Von KTM hatten wir Andreas Hölzl (im Bild rechts) bei uns mit dabei, der die Aufgabe hatte, die vier Werksmotorräder zu warten. Zum Glück gab es dieses Mal nur Kleinigkeiten zu beheben."

Heuer gab es nur eine Marathon-Etappe, deshalb war die zweite Aufgabe der Support-Trucks vordringlicher: die Hilfeleistung in der Sonderprüfung: "Wenn ein Werks-Bike auf der SP oder Verbindungsetappe stehenbleibt, müssen wir helfen." - Allerdings starten die Trucks vier bis fünf Stunden nach den Motorrädern, soviel Zeit ginge also für den Biker beim Warten verloren.

Dennoch macht das Warten Sinn, erklärt Peter Reif: "Sofern beispielsweise der Führende einen Motorschaden hat, wechseln wir den Motor und er kommt vielleicht noch innerhalb der Maximalzeit ins Ziel. Werksfahrer haben am nächsten Tag ja wieder die Möglichkeit einer Top-Platzierung und können als Wasserträger für die Teamkollegen fungieren." - Und außerdem müssen auch die anderen Teilnehmer erst ohne Schwierigkeiten durchkommen.

Trucks: die Evolution schreitet voran

An den Renntrucks von Kamaz, Ginaf oder MAN hat sich in den letzten Jahren einiges weiterentwickelt. Man nähert sich wieder den Silhouettenfahrzeugen der 1990er an, damals hatten die großen Teams Mittelmotor-Boliden:

"Auch 1997 hat es diese Prototypen noch gegeben, wir haben damals aber mit einem von der Konfiguration her sehr konventionellen Fahrzeug gewonnen" - und zwar mit dem japanischen Hino, Reifs Navigator war damals Johann Deinhofer.

2001 wurden Reif und Günter Pichlbauer bei ihrer ersten Zusammenarbeit im Cockpit mit einem seriennahen MAN Dritte, das ist heute nicht mehr möglich: "Am Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Reglement von diesen reinen Prototypen weg in Richtung Serie verändert, der Motor musste vorne sein. Mittlerweile ist er in den neuen Renntrucks aber schon wieder weiter nach hinten gerückt.

Die Renntrucks fahren in der Regel leer, wodurch sich eine ungünstige Gewichtsverteilung ergibt; das Verschieben des Motors gleicht das aus. Man müsste sich vom Reglement her eigentlich wieder etwas überlegen. Die reinen Renntrucks sind für die serienmäßigen Fahrzeuge de facto nicht besiegbar."

Mit einem der seriennahen MAN beispielsweise wäre nach Reifs Einschätzung auch bei reiner Attacke auf das Klassement, ohne Service-Aufgaben, maximal eine Platzierung rund um Rang 20 möglich, hinter den Prototypen von Kabirov, de Rooy & Co.

Trauriges Kapitel

Ein offensichtliches Versagen im Informationsfluss trug möglicherweise zum Tod des Motorradfahrers Pascal Terry bei. Dem Vernehmen nach setzte der Franzose ein Notsignal ab, das einen ganzen Tag ohne Konsequenz blieb; bei der Suchaktion gab es dann Pannen. Die Helfer kamen um drei Tage zu spät. Reif hält sich mit einer Schuldzuweisung zurück:

"Wenn diese Version wirklich stimmt, dann ist das völlig unverständlich. Der Veranstalter tut alles, um die Sicherheit zu erhöhen; und mit der Alarmtaste am Iritrack hat er das wirklich erreicht. Wenn jemand diese Taste benutzt und die Organisation nicht reagiert, dann ist das wirklich schlimm.

Denn das System an und für sich ist sehr gut. Das Notsignal geht nach Paris, wo stets mitverfolgt wird, wo der Teilnehmer sich gerade befindet. Wenn also die Information wirklich nicht weitergegeben worden ist, dann war das menschliches Versagen."

Iritrack ist ein Ortungssystem auf Satellitenbasis, es wurde einerseits zur Verfolgung der Fahrzeuge in der Etappe benutzt, andererseits eben auch in Verbindung mit einem Alarmsignal zur raschen Hilfeleistung bei Notfällen.

Gerade die Motorradfahrer, meint Peter Reif, profitieren von diesem System:

"Es ist ein Unterschied zwischen dem Motorradfahrer zu sehen, der relativ allein ist, und einem Problem in einem Lkw - denn wir sind zu dritt. Wenn’s bei uns nicht ein extremer Unfall ist, sondern nur ein technisches Gebrechen, dann ist von der Priorität der Motorradfahrer wichtiger als der Lkw. Wir können uns mit der Verpflegung an Bord auch ein paar Tage über Wasser halten, das ist dem Motorradfahrer nicht möglich."

Andererseits vermeldeten während der Rallye einige Teilnehmer Ausfälle an ihrem Iritrack, auch Reif/Pichlbauer/Hölzl waren am ersten Tag der Rallye aus dem Live-Tracking verschwunden.

"Aus den Erfahrungen lernen"

Nicht nur in dieser Hinsicht gibt es Raum für Verbesserung bei der Südamerika-Ausgabe der Dakar, die allem Anschein nach auch 2010 wieder stattfinden wird. Auf die Frage nach einer Teilnahme im nächsten Jahr gibt sich Peter Reif zurückhaltend:

"Dieses Rennen bestreite ich in meinem Urlaub, und in dieser Form würde ich das nicht unbedingt ein zweites Mal machen. Man muss dem Veranstalter jetzt aber zugestehen, aus den Erfahrungen zu lernen. Er müsste entsprechende Maßnahmen bei der Routenwahl setzen. Denn die Frage ist jetzt: sind ihm die Renntrucks wichtig? Und sind ihm die Servicetrucks wichtig? – Ich glaube, sie sind es."

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