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"Le Mans hat eigene Gesetze"

Gespräch mit dem Titelverteidiger zu Le Mans 2010 (und darüber hinaus), und warum auch das vierte Jahr des 908 HDi ein erstes Jahr ist.

Johannes.Gauglica@motorline.cc
Fotos: Peugeot Sport

Im Rahmen eines Besuches bei Magna Steyr in Graz, wo Peugeots neues Sportcoupé RCZ entwickelt wurde und jetzt gebaut wird, hatte Motorline.cc die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Le-Mans-Titelverteidiger und Botschafter für die Serienfahrzeuge des Herstellers.

Was umfasst die Rolle von Alex Wurz als Gesicht der sportlichen Seite der Marke Peugeot - Repräsentation nach außen hin oder auch entwicklerische Aufgaben?

Die Basis ist mein Le-Mans-Vertrag mit Peugeot Sport; daraus ist diese neue Rolle entstanden. Diese Arbeit ist die des Botschafters nach außen hin und als sportliches "Gesicht". Bei der Entwicklung des RCZ war ich nicht stark involviert, schon allein weil das Auto ja virtuell entwickelt worden ist. Ein paar Einflüsse von mir sind drinnen, was die Fahrwerksabstimmung und ähnliches anbelangt, aber nicht so, wie man sich das als klassisches Testfahren vorstellt. Das muss man eher als Feinschliff verstehen.

Geht's hier nur um Österreich?

Hauptaugenmerk ist Österreich, weil ja der RCZ in Österreich entwickelt worden ist und jetzt hier gebaut wird. Für Le Mans geht das mit Anzeigen und dergleichen auch europaweit hinaus.

Zum Thema Le Mans: heuer sind werksseitig drei Peugeot 908 HDi dabei, dazu kommt ein privates Auto...

...ein privates Werksauto. (lacht)

...und Audi tritt mit drei für heuer sehr stark modifizierten R15 TDI "plus" auf. Das lässt den Beobachter ein spannendes Rennen erwarten, sieht's der Aktive auch so?

Ich glaub schon! Man weiß natürlich nie, denn das Rennen in Le Mans hat imemr eigene Gesetze. Aber wir haben bei den Tests und beim Spa-Rennen gesehen, dass Audi extrem schnell ist. Dass sie sich in allen Belangen verbessert haben, was das Auto betrifft; strategiemäßig waren sie ja immer schon sehr gut, weil sie Le Mans in- und auswändig kennen. Es wird ein Showdown sein – gewinnen wird, wer am wenigsten Fehler macht oder Zeit an der Box verbringt. Und das ist nicht nur Zeit aufgrund von Defekten oder Reparaturen, sondern einfach nur die Zeit für Routinestops durch Reifenverschleiß etc. Jedes zusätzliche Zehntel summiert sich auf 24 Stunden. Das wird ein beinharter Kampf. Teamintern und gegen Audi!

Zum Boxenstop: Hat Peugeot es mit dem Coupé da schwerer als Audi mit dem offenen Auto? Man sieht ja immer die Bilder vom Peugeot-Mechaniker, der beifahrerseitig ins Auto hineinhechtet, um beim Fahrerwechsel zu assistieren. Ist das Fahrzeug mit Dach da mühsamer?

Das gilt für die reinen Fahrerwechsel schon; allerdings wechseln wir die Fahrer nur, wenn wir wissen, dass die Standzeit ohnedies länger ist als der reine Fahrerwechsel. Du darfst in Le Mans keine Zeit für den Fahrerwechsel verlieren! Das wäre katastrophal. Wir wechseln Fahrer nur dann, wenn wir auch tanken und Reifen wechseln. Und dann schaut das natürlich wilder aus, als es ist. Der Mechaniker tauscht die Trinkflasche aus und hilft uns beim Anschnallen. Da haben wir im Prinzip aber keinen Nachteil. Bei den reinen Standzeiten waren wir im Vorjahr besser als Audi. Vor zwei Jahren haben sie uns nur durch ihre Boxenstrategie und kürzere Standzeiten besiegt; deshalb haben wir uns da sehr verbessert. Es ist bei den Stops wirklich Formel-1-artig, jedes Zehntel zählt. Denn wenn du ein, zwei Sekunden in der Box verlierst, und das bei einem 24-Stunden-Rennen ungefähr 34 Mal, dann ist das gleich einmal eine Minute. Und die findet man auf der Strecke nicht mehr, bei dieser Qualitätsdichte der Fahrer geht das nicht.

Boxenstops werden also auch gedrillt bis zum Umfallen. Machen die Fahrer da mit oder arbeiten die Mechaniker-Crews daran im Alleingang?

Hauptsächlich arbeiten die Mechanikercrews eigenständig. Es ist sehr wichtig, dass das gut funktioniert, und vor allem konstant. Denn die werden ja auch irgendwann einmal müde! Sie arbeiten die ganze Woche lang beinhart – jeden Tag bis um 3, 4 Uhr früh, weil die Trainings ja so spät aus sind. Und dann kommt das Rennen! Es ist eine harte Woche: Nicht nur 24 Stunden, sondern sieben Tage Anstrengung. Und wir Fahrer müssen beim Fahrerwechsel so gut sein, dass wir nie Zeit verlieren.

Bei den Audi sind die Änderungen im Vergleich zu 2009 deutlich sichtbar; was hat sich beim Peugeot 908 getan?

Audi hat das Auto komplett umgestellt. Die haben letztes Jahr eine extreme Konstruktion gebracht, jetzt haben sie gesehen, dass das von den Temperaturen usw. zuviele Kompromisse bringt, und leiten die Luft wieder andersherum. Auf einmal funktioniert das Team wieder sehr gut! Bei Peugeot ist das eine Weiterentwicklung. Der 908 ist im vierten Lebensjahr; ist natürlich eine ständige Weiterentwicklung, dieses Jahr optisch nicht deutlich; sondern Feinheiten der Aerodynamik und Mechanik wurden verbessert, weil wir ein Leistungsdefizit haben. Dann mnss man die Aerodynamik anpassen, um die Effizienz beizubehalten. Dann verschiebt sich gleich wieder alles: Aerodynamischer Anpressdruck, wie man das Auto abstimmt, Gewichtsverteilung - da hängt ein Rattenschwanz an Änderungen dran.

Man muss also auch ein vermeintlich bekanntes Auto als Fahrer immer wieder neu kennenlernen?

Exakt, du musst teilweise wieder von vorn anfangen. Dabei ändert man auch wieder die Reifenkonstruktionen, und dann ist sowieso wieder alles anders! Wobei wir bei grundlegenden Dingen wie dem Verlauf der Kühlungsluft usw. schon wissen, dass das funktioniert. Da hat man einen Vorteil, wenn man das Auto im zweiten, dritten, vierten Jahr fährt. Für den Fahrer heißt es immer wieder: Neu lernen!

Bei Peugeot wie bei Audi dreht sich das Programm um das eine Wochenende Mitte Juni. Alles andere passiert drumherum. Gibt es für den Rennfahrer ein persönliches Bedauern, dass das Team keine volle Saison in der LMS fährt?

Ja sicher! Ich würde gern jedes Wochenende fahren, das Auto ist geil und die Rennserie ist leiwand. Es macht echt Spaß. Ich würde unbedingt mehr Rennen fahren, aber das Programm ist leider nicht so. Man muss es eher mit dem Radsport vergleichen, wo in Wirklichkeit in einer Radsaison alles nur auf die Tour de France hinarbeitet. So hat sich dieser Sport entwickelt; es gibt kein echtes Konkurrenz-Rennen zu Le Mans, in dieser Größenordnung. Deshalb ist das ein einzigartiger Event, die große Nummer in Europa.

In Amerika gibt es die 12 Stunden von Sebring.

Das ist die amerikanische große Nummer! Sebring ist cool, auch Petit Le Mans in Road Atlanta – ein Rennen, wo wir heuer wahrscheinlich hingehen werden. Für das Team sind fünf Renneinsätze im Jahr vorgesehen; inklusive Le Mans haben wir drei. Ob ich als Fahrer bei allen weiteren Rennen dabeisein werde, weiß ich noch nicht; vermutlich noch bei einem weiteren Rennen nach Le Mans. Und für nächstes Jahr hoffen wir, dass wir eine komplette Serie fahren!

Apropos Sebring: Dort gab es auch teamintern einen Kampf bis zum letzten Moment. Gibt es innerhalb der Mannschaft von Peugeot Sport eine Rivalität zwischen den Teams, oder bringt der Teamchef Quesnel eine strikte Strategie mit?

Es ist ein extremer Konkurrenzkampf, aber ein gesunder Konkurrenzkampf! Wobei jeder der neun Piloten gewinnen möchte. Wenn das Rennen losgeht, haben wir hundertprozentig alle dieselben Bedingungen und dasselbe Material. Eventuell werden wir uns wieder wie im Vorjahr pro Auto anders entscheiden, ob wir im Qualifying auf die Pole Position losgehen oder am Setup fürs Rennen arbeiten. Das hat sich im Vorjahr für unser Auto sehr bewährt. Die Anderen sind auf Qualifying gefahren, als die Strecke vom Grip-Niveau dem Rennen am ähnlichsten war. Auf meinem Auto haben Gené, Brabham und ich Setup-Arbeit gemacht. Das hat man im Rennen gemerkt, weil wir von den Reifen her am besten waren. Wir haben in Wirklichkeit in dieser letzten Qualifying-Stunde ein anderes Setup entwickelt. Wie wir für unser Auto heuer entscheiden werden, bin ich mir selbst noch nicht sicher.

Entscheiden das die Fahrer, die Ingenieure,...?

Es ist ein gesunder Mix.

Und am Schluss muss der Teamchef Olivier Quesnel zustimmen.

Sicher, denn Chef ist Chef! Er müsste ja auch, wenns nicht funktioniert, den Kopf hinhalten. Es wird also immer von oben abgesegnet, das ist klar.

Die Rede war bereits vom nächsten Jahr: Da werden die aktuellen LMP1-Fahrzeuge und vor allem die aktuellen, großen Motoren nicht mehr zugelassen sein, es wird also andere Autos geben müssen. Kann man bereits einen vorsichtigen Ausblick auf den Peugeot des Jahres 2011 wagen – wird er ein Dach haben oder nicht, wird er dieseln oder nicht?

All das ist bereits bestimmt, allerdingssprechen wir nicht drüber! Ich gehe einmal davon aus, dass es ein Diesel wird, aber... (vielsagendes Lächeln)

Tut sich noch etwas mit der Entwicklung des Hybridfahrzeuges 908 HY, oder war der letztlich nur ein Showcar?

Für Hybride ist wiederum alles anders, weil das Reglement fürs nächste Jahr noch nicht fixiert ist. Wieviel Leistung man haben darf uns so fort. Es ist aber sicher ein Bereich, den jeder Hersteller beachtet, so auch Peugeot.

Ist Sebastien Loeb noch bei Peugeot Sport involviert, beispielsweise bei Testfahrten?

Nein, das macht er derzeit nimmer. Er war bei den Tests am Anfang mit dabei und war sauschnell! Er hat eine Zeit gebraucht, bis er sich in das Auto eingelebt hat, dann waren die Rundenzeiten wirklich beeindruckend. Vom Zeitaufwand lässt ich das aber für ihn, glaub ich, nicht machen. Le Mans ist nicht nur ein Rennen, das sind 365 Tage Testen, Promotion, Tun und Machen – dasselbe hat er bei der Rallye, und alles geht halt nicht.

Wenn man mit Alex Wurz plaudert, kommt natürlich auch die Formel 1 zur Sprache: Christian Klien, bie Peugeot heuer "nur" Ersatzfahrer statt Stammpilot, ist derzeit in einer ähnlichen Situation, wie du es vor einiger Zeit warst. Er ist in der Formel 1 Test- statt Rennfahrer. Du hast es wieder zurück ins Renn-Cockpit geschafft. Wie siehst du die Chancen, dass auch Klien das Renn-Comeback schafft?

Jeder Fall ist anders. Christian ist jetzt Testfahrer für ein Team, das erst neu gekommen ist und ums Überleben kämpft. Aber das ist eine gute Chance, denn die merken sofort, dass sie eigentlich wen brauchen, der von der Materie ein bissl Ahnung hat. Die beiden jetzigen Piloten, so nett und gut sie sein mögen, haben einfach keine Ahnung von der Materie, das behaupte ich jetzt einmal so. Da ist der Christian gut aufgestellt. Ob ein Renncockpit draus wird, weiß ich natürlich nicht; wenn er ein Renncockpit bei diesem Team bekäme, weiß auch jeder, dass es kein Honiglecken wäre!

F-Schacht und Doppeldiffusor, die derzeitigen Lieblingsthemen der F1-Kolumnisten, sind 2011 verboten. Wird das die Formel 1 spannender machen, und wird es sie sicherer machen?

Ich glaube nicht, dass die Sicherheit ein Problem war. Beim F-duct vielleicht mit dem Stalling...

Die Fahrer müssen allerdings derzeit doch zur Bedienung des F-ducts zusätzliche Handgriffe machen, wenn sie die Hände lieber am Lenkrad lassen sollten.

Aber sie haben genug Talent dazu, das zu schaffen! Ich finde es für meinen Geschmack halt nicht dem Sinn des Reglements entsprechend, auch wenn man den Graubereich ausnutzen konnte. Also: Besser ohne! Andererseits ist es ja schön, dass in der Formel 1 auch in einem so eingeengten Reglement immer noch Innovation stattfindet.

Motorline.cc dankt für das Gespräch und wünscht viel Glück am Weg zur Titelverteidigung in Le Mans!

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