
WTCC: Donington | 15.07.2011
Kann Turkington gegen Chevy reüssieren?
Motorline.cc blickt voraus auf das Wochenende der Tourenwagen-WM in Großbritannien mit den beiden Sprintrennen in Donington Park.
Die zweite Saisonhälfte der WTCC beginnt mit einer Premiere: Erstmals gehen die Fahrer und Teams der Tourenwagen-WM an diesem Wochenende in Donington Park an den Start. Der Traditionskurs im Herzen Großbritanniens ersetzt die nicht minder berühmte Rennstrecke von Brands Hatch, wo die WTCC bis einschließlich 2010 unterwegs war. Im Herbst letzten Jahres wurde dann aber der Wechsel beschlossen.
Die Verantwortlichen wünschen sich eine Win/Win-Situation für alle Beteiligten: Marcello Lotti und der Tourenwagen-WM waren die beengten Verhältnisse in Brands Hatch schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, außerdem hatte man sich nach moderneren Anlagen umgesehen – Donington bietet sowohl Raum als auch die nötige Infrastruktur. Auch der Kurs selbst profitiert.
Donington in den 70er Jahren wiederbelebt
Der Donington Park Circuit beherbergt in diesem Jahr erstmals seit 1993 eine WM-Veranstaltung des Automobil-Weltverbandes FIA und taucht damit wieder im internationalen Rennkalender auf. Kurz nach ihrer Einweihung 1931 war die Strecke, 15 Kilometer südlich von Nottingham gelegen, zunächst nicht viel mehr als ein Geheimtipp, der den Piloten auf 3,518 Kilometern viel abverlangte.
Nach den ersten Gastspielen der frühen Silberpfeile von Mercedes und Auto Union kam der Rennbetrieb in Donington während des Zweiten Weltkriegs zum Erliegen. Das Militär verwendete das Areal als Fahrzeugpark, nach dem Ende der Feindseeligkeiten blieb der Kurs jahrelang ungenutzt, bis sich der lokale Geschäftsmann Tom Wheatcroft des Donington Park Circuit annahm und ihn in den 70er Jahren renovieren ließ.
Am 27. Mai 1977 öffnete die Strecke schließlich wieder ihre Pforten und zog neben nationalen Serien auch einige internationale Meisterschaften wie die MotoGP oder die DTM an. Der große Höhepunkt für den britischen Kurs erfolgte 1993: Donington Park wurde mit der Ausrichtung des Großen Preises von Europa der Formel 1 betraut – und dieses Rennen ging prompt in die Geschichtsbücher ein.
Die Wetterbedingungen machten es den Piloten schwer, auf der Bahn zu bleiben, doch Ayrton Senna störte dies nicht. Der dreimalige Formel-1-Weltmeister überholte im ersten Umlauf nicht weniger als fünf Konkurrenten und stürmte schließlich auch zum Sieg. Nach 76 Runden hatte Senna über eine Minute Vorsprung auf Damon Hill und alle weiteren Rennfahrer im Starterfeld überrundet.
Der Grand-Prix-Traum erfüllte sich nicht
Danach wurde es jedoch wieder vergleichsweise still um Donington, ehe sich 2007 eine wahrhaftige Sensation andeutete: Donington Ventures Leisure Ltd (DVLL) wollte die Formel 1 für 17 Jahre nach Leicestershire holen und strebte umfangreiche Bauarbeiten inkl. Neubauten an. Aufgrund der kniffligen Wirtschaftslage gelang es DVLL allerdings nicht, die Finanzierung des Großprojekts zu stemmen.
Was folgte war das große Aus: Donington Park glitt der sicher geglaubte Formel-1-Deal durch die Finger, obwohl bereits erste Umbauten stattgefunden hatten. Nun ist es aber soweit: Dank der WTCC findet erstmals seit 1993 wieder ein Automobil-Event mit WM-Status statt – und das Feld ist sehr gespannt darauf, die nunmehr 4,023 Kilometer lange Strecke unter die Räder zu nehmen.
Wer holt sich den Premierensieg?
"Donington Park ist ein weiterer mythischer Kurs, aber ganz anders als Brands Hatch", sagt Yvan Muller (Chevrolet) stellvertretend für seine Fahrerkollegen. "Auf beiden Kursen geht es hoch und runter, doch in Donington ist ein viel flüssigerer und weicherer Fahrstil gefragt. Dein Fahrzeug sollte zudem perfekt ausbalanciert sein." Letzteres gilt es in der Testsession am Freitag zu erreichen.
Es wäre allerdings eine große Überraschung, sollte Chevrolet vor heimischem Publikum – die RML-Mannschaft von Ray Mallock, die für den Einsatz der Cruze-Fahrzeuge verantwortlich zeichnet, ist in Großbritannien zuhause – nicht wieder den Ton angeben. Die WM-Titelverteidiger um Muller, Rob Huff und Alain Menu hatten sich in der ersten Saisonhälfte schließlich elf von zwölf möglichen Siegen gesichert ...
Hinter Huff (227 Punkte), Muller (198) und Menu (167) geht es allerdings durchaus eng zur Sache, denn Tiago Monteiro (Seat/101), Tom Coronel (BMW/100) und Gabriele Tarquini (Seat/99) liegen nach sechs Events quasi auf Augenhöhe in Lauerstellung. Bei den Privatiers führt Norbert Michelisz (74) knapp vor Kristian Poulsen (69) und Javier Villa (64, alle BMW).
Dieselmotor ist raus, Turkington wieder da
Donington Park markiert darüber hinaus einen Meilenstein für die WTCC: Zum ersten Mal seit 2007 ist kein einziger Dieselwagen mehr im Starterfeld vertreten. Aleksei Dudukalo ist der letzte Seat-Fahrer, der auf den León 1,6T umsteigt. Einen Wechsel anderer Art absolviert indes Colin Turkington: Der Nordire kehrt mit Wiechers/BMW in die WTCC zurück.
Weil der neue Wiechers-Stammfahrer Stefano D'Aste an diesem Wochenende aus terminlichen Gründen passen muss, springt Turkington ein und absolviert einen einmaligen Gaststart an seiner früheren Wirkungsstätte. Als ehemaliger Titelträger der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft BTCC kennt der 29jährige den Donington Park Circuit freilich aus dem Effeff – und hat Sensationspotenzial.
Interessant ist aber auch die Situation bei den Ballasten, denn Volvo tritt in Großbritannien erstmals mit dem minimalen Kompensationsgewicht an. Robert Dahlgren führt also ein Auto ins Rennen, das ganze 60 Kilogramm weniger an Bord hat als in Brno und Porto. Damit könnte der Schwede am Sonntag zu den Topfavoriten zählen - genau wie die Chevrolet-Fahrer und eben Gastpilot Turkington ...