Formel 1: News | 25.08.2004
"Ich war auf dem richtigen Dampfer"
Jacques Villeneuve hofft auf ein Comeback bei BAR, der Ex-Weltmeister möchte sein unvollendetes Werk beenden und trainiert bereits eifrig dafür.
Wir befinden uns im Jahr 1999. Jacques Villeneuve wechselt in das neue Team seines Managers und Freundes Craig Pollock und allüberall tönen die Neulinge von British American Racing vom Sieg im ersten Rennen. „Wie wir heute wissen, ist das nicht passiert“, betont Villeneuve dieser Tage trocken. „Doch diese Vorhersage hat vom ersten Moment an enormen Druck aufgebaut.“
Druck welcher Villeneuve-Kritiker dazu brachte ihm vorzuwerfen, dass er seine Karriere für Geld verkauft habe. „Heute habe ich den Beweis, dass ich auf dem richtigen Dampfer war“, hält Jacques im Zuge der B·A·R-Erfolge dieser Saison entgegen. „Das Problem ist nur, ich bin im Moment nicht mehr auf diesem Schiff“, fügt Villeneuve, der anno 1999 auch ein finanziell gleich geartetes Angebot von Renault vorliegen hatte, schnell hinzu. „Mein Werk ist unvollendet, deshalb bin ich auch so hungrig.“
Und dieser Hunger treibt den Kanadier seit dem Beginn seiner Winterauszeit an: „Seit Ende Februar trainiere ich wie ein Verrückter.“ Das „Unglaubliche“ daran ist laut Villeneuve, dass „ich heute über eine bessere Fitness verfüge als vor einem Jahr“. So hatte er im letzten Jahr einen Punkt erreicht, an welchem selbst das Training keinen positiven Effekt mehr ausübte. „Ich war einfach nur noch streitsüchtig.“
Entsprechend betont der Sohn von Gilles Villeneuve: „Die Auszeit, die ich genommen habe, war das einzig Richtige. Sie war nach den harten Jahren mit all den politischen Querelen nötig. Ich war psychisch und physisch ausgelaugt.“
Ausgelaugt von der jahrelangen Aufbauarbeit bei B·A·R, deren Ergebnisse in diesem Jahr Jenson Button und Takuma Sato einfahren dürfen. „Wir haben bei B·A·R jahrelang hart geschuftet“, erinnert Jacques im Gespräch mit unserem Kollegen Adam Cooper an die schwierigen Zeiten der vergangenen Jahre. „Jetzt kann die Ernte eingefahren werden. Das entschädigt und beweist, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden.“
Deswegen ist Villeneuve, der den Rennstall als sein „Baby“ ansieht, auch nicht sauer, dass nun zwei andere Fahrer die Früchte seiner Arbeit ernten. Nur die Tatsache, dass die Medien alle Anerkennung den beiden Neuen zuschreiben und so tun als ob „der 006 ausschließlich von den diesjährigen Fahrern entwickelt worden“ sei, schmeckt dem Ex-Champion ganz und gar nicht.
Denn dem ist laut Jacques bei Weitem nicht so: „Das letztjährige Auto ist allein durch meinen Einsatz entstanden. Das diesjährige Auto basiert auf dem letztjährigen und auf der von mir geleisteten Arbeit.“
Eine Arbeit die Villeneuve im kommenden Jahr fortsetzen möchte. Entsprechend nahm er die Bekanntgabe des Button-Wechsels nicht als Schlag ins Genick wahr, welcher ihm aller Chancen des zweiten Williams-Cockpits beraubte, sondern fasste er es als große Chance auf: „Bei B·A·R ist wieder ein Cockpit frei. Das ist fantastisch für mich“, sagt Villeneuve. „Hätte sich jemand anderes als Button das zweite Williams-Cockpit unter den Nagel gerissen, stünden meine Chancen jetzt schlecht.“
Um sich bei seinem Ex-Team wieder ins Gespräch zu bringen, musste allerdings einiges an Telefonarbeit geleistet werden. „Ich habe sofort alle Brücken aufgebaut. Ich habe David Richards, Geoff Willis, Honda und BAT angerufen und ihnen gesagt: Jungs ich bin parat!“
Dabei erfüllt er die Fahrerkriterien der Mannen aus Brackley perfekt. „B·A·R-Honda braucht einen Fahrer, der sich rasch anpasst“, weiß Villeneuve um die Probleme des Teams. Man braucht einen Fahrer, der sich innerhalb kürzester Zeit an das Team, die Ingenieure und die Arbeitsweise gewöhnen kann und dafür sorgt, dass die Weiterentwicklung vorangetrieben wird.
„Ich spüre nach wie vor das Vertrauen zu den Mechanikern und den Ingenieuren. Die Art, wie sie auf meinen Anruf reagiert haben, zeigt dass das Vertrauen noch immer besteht“, weist Villeneuve einen seiner Vorzüge auf. „Es würde wohl nur ein paar Minuten dauern, um mich wieder einzuleben.“
Aber Jacques hat noch einen weiteren Pluspunkt: Honda sucht einen Siegfahrer für 2005. Und da fragt der Kanadier zur Recht: „Wie viele GP-Sieger gibt es, die einen Job suchen?“ Genau genommen nur zwei. Ihn und David Coulthard. „Und wie viele davon waren schon einmal Weltmeister?“ Richtig. Nur Villeneuve.
Die Zeit der Fragen ist aber noch nicht vorbei. Denn die wichtigste Frage und vor allem deren Antwort steht noch aus: Wie gut stehen denn nun die Chancen von Villeneuve im nächsten Jahr für British American Racing zu fahren?
„Keine Ahnung“, gibt Jacques zu Protokoll. „Wenn keine Politik im Spiel ist, dann stehen meine Chancen sehr gut. Ein paar Leute – nicht David Richards – müssten von ihrem Standpunkt abweichen. Das fällt schwer, weil dabei der Stolz verletzt werden kann. Also sind meine Chancen auf ein F1-Cockpit vom Stolz und der Politik abhängig.“
Und wenn der Stolz und die Politik, wie so oft in der modernen Formel 1, über die Vernunft und den Sportsgeist siegen, was dann? „Wenn alles den Bach runtergeht, könnte ich mir vorstellen, NASCAR zu fahren“, gibt Villeneuve eine Option preis. Am liebsten würde er diese Alternative aber sofort wieder vergessen.
Dennoch weiß auch er, dass es bislang zwar von allen Seiten, egal ob von den Medien, den Teamchefs, den Fahrern oder gar Bernie Ecclestone höchstpersönlich, viel Lob, Schulterklopfer und Interessensbekundungen gegeben hat, „aber ich habe immer noch kein Cockpit“, bleibt Jacques Villeneuve Realist, bevor er mit seinen offenen, ehrlichen und unretuschierten Worten zeigt warum ihn die Formel 1 vermisst: „Wer mich will, soll mich nehmen. Wenn man mich nicht braucht, dann sollte man mir auch nicht Honig um den Mund schmieren.“