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Formel 1: Hintergrund

Der letzte Rest an sportlicher Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

In seinem Plädoyer forderte der McLaren-Anwalt die Ergebniskorrektur und somit den Weltmeistertausch. Beschließen die "hohen Herren" am Freitag das Unmögliche?

Michael Noir Trawniczek

In London, bei der Berufungsverhandlung der FIA, haben sich am Donnerstag jene Rechtsvertreter getroffen, welche über den Ausgang der Formel 1-Weltmeisterschaft entscheiden werden - die vier Richter wollen am Freitag so weit sein, ihr Urteil bekannt zu geben.

McLaren-Mercedes hat bekanntlich gegen den Beschluss der Rennkommissare Berufung eingelegt, wonach die beim Grand Prix von Brasilien wegen regelwidriger Benzintemperaturen beanstandeten Piloten der Teams BMW Sauber und Williams wegen Unregelmäßigkeiten beim Messen der Temperaturwerte in der Wertung verbleiben.

Was die Weltmeisterschaft anbelangt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird der Berufung stattgegeben und zugleich das Rennklassement nachgerückt, womit Lewis Hamilton der neue Weltmeister wäre - oder es wird nicht stattgegeben oder stattgegeben und nicht nachgerückt, womit Kimi Räikkönen der neue Weltmeister bleiben dürfte.

Bürokratie vs Hausverstand

Dass es überhaupt zu solch einer dubiosen Situation kommen konnte, verdanken wir der zunehmenden Bürokratisierung des Motorsports. Der Formel 1 fehlt so etwas wie ein Hausverstand und eine Institution, welche diesen in die Praxis umsetzt. Im vorliegenden Fall hätte es gar nicht so weit kommen dürfen - und es ist bezeichnend, dass Formel 1-Zampagno Bernie Ecclestone im Vorfeld erklärt hat, er werde ernsthaft an Rücktritt denken, sollte Kimi Räikkönen bei dieser Verhandlung wegen ein paar falscher Temperaturwerte seinen auf der Strecke eingefahrenen WM-Titel an Lewis Hamilton verlieren.

Falsche Messung, falsche Werte

Zudem wurde im Rahmen der Anhörung bestätigt, dass die fraglichen Temperaturwerte nicht wie im Reglement vorgeschrieben im Tank der Autos, sondern in der Tankanlage gemessen wurden. "Das ist die nächste Temperatur, die wir bekommen können", erklärte dazu der Technische Delegierte der FIA, Charlie Whiting. Der Brite gab auch zu, dass jener Referenzwert, mit dem die Benzintemperatur verglichen wird (darf nicht mehr als 10 Grad unter der Außentemperatur liegen), also die Außentemperatur (in Sao Paulo), beim Formula One Management 38 Grad Celsius, bei der Meteo France jedoch 33 Grad betragen habe. Im Grunde stimmt also schon beim Messvorgang überhaupt nichts - das falsche Benzin gemessen (in der Tankanlage) und einen um 5 Grad schwankenden Referenzwert, dessen Quelle im Reglement nicht eindeutig definiert wurde.

Aus diesem Grunde plädierte Whiting vernünftigerweise dafür, die Entscheidung der Kommissare zu bestätigen - die Stewards entschieden sich wegen all der Unklarheiten gegen eine Bestrafung der betreffenden Piloten.

McLaren-Anwalt will Ergebniskorrektur

Bezeichnend ist aber auch, dass einerseits die Vertreter von McLaren-Mercedes, wie Norbert Haug oder Martin Withmarsh mehrfach erklärt haben, dass es keinesfalls darum gehen würde, Hamilton noch den Titel zu verschaffen und dass man lediglich Klarheit bezüglich des Regelwerks schaffen möchte. Diese Aussagen erscheinen wie blanker Hohn, wenn man das Plädoyer des McLaren-Anwalts Ian Mill zu Gesicht bekommt: Bei den vier vor Hamilton gereihten Autos hätte man zu kühles Benzin festgestellt, diese seien aber in der Wertung behalten worden, ohne diese vier Autos hätte Hamilton ausreichend WM-Punkte einfahren können, um den Titel zu holen, argumentierte der Anwalt. "Ich befürchte, dass die Sanktion die Disqualifikation sein muss", wird Mill von der Agentur Reuters zitiert.

Die vier Richter forderte der McLaren-Anwalt demgemäß auf, sich nicht von der Tatsache irritieren zu lassen, dass durch eine Änderung des Ergebnisses auch die Vergabe des WM-Titels geändert werden könnte - Mill erklärte: "Wann auch immer es in der Vergangenheit eine Disqualifikation gegeben hat, gab es eine neue Klassifikation. Alles, was wir von Ihnen wollen, ist das, was normalerweise passiert."

Natürlich erledigt der Anwalt nur seinen Job - doch es entsteht der Eindruck, dass sein Auftraggeber, McLaren-Mercedes, sehr wohl das Ziel verfolgt, Hamilton noch zum Weltmeister zu krönen.

Alles ist möglich

Da ist er wieder, der eigene Tellerrand, über den es scheinbar so schwer oder schlicht unmöglich ist, hinwegzuschauen. Für die Formel 1 wäre es eine endgültige sportliche Bankrotterklärung, würde man am Freitag tatsächlich auf diese Art und Weise den Weltmeister auswechseln. Man würde Lewis Hamilton etwas geben, das er längst nicht mehr haben möchte. Und man würde Kimi Räikkönen etwas wegnehmen, das ihm zusteht. Glücklicherweise ist es unwahrscheinlich, dass man tatsächlich eine solche Entscheidung treffen wird. Doch es stellt sich dennoch die Frage: Ist es den Rechtsvertretern der FIA zuzutrauen? Und diese Frage muss leider mit "ja" beantwortet werden...

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