Formel 1: Fall Mosley | 04.04.2008
Es hagelte Rücktritts-Forderungen
Rücktritts-Forderungen der Automobilklubs - Mosley verliert auch innerhalb der FIA die Akzeptanz. Die "Nazi-Inhalte" verlieren Substanz, Zweifel bleiben dennoch...
Michael Noir Trawniczek
"Ich habe sehr viele zustimmende Briefe erhalten mit der Bitte weiterzumachen", hat FIA-Präsident Max Mosley in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme nach der Veröffentlichung eines S/M-Videos, auf dem der Brite mit fünf Prostituierten zu sehen ist, erklärt. Nachdem sich vier der in der Formel 1 vertretenen Hersteller - BMW und Mercedes, Toyota und Honda - von Mosley öffentlich distanziert haben, kamen am Freitag nahezu stündlich neue Stellungnahmen hinzu, welche allesamt mehr oder weniger direkt den Rücktritt des Präsidenten forderten.
Zu einem Großteil von jenen Automobilklubs, die im FIA-Senat vertreten sind und auch bei der von Mosley selbst einberufenen Generalversammlung im Zuge der Vertrauensfrage abstimmen werden. Falls Mosley diese Vertrauensfrage stellt - denn obskurer Weise ist Mosley dazu nicht verpflichtet respektive der FIA-Präsident offensichtlich gar nicht so leicht abwählbar. "Eine Abwahl eines Präsidenten oder das Stellen der Vertrauensfrage ist in den Statuten der FIA nicht vorgesehen. Beides wäre ein Präzedenzfall", erklärte eine FIA-Sprecherin gegenüber dem sid. Die Sitzung solle "zum schnellsten möglichen Zeitpunkt" abgehalten werden - weil es sich um rund 200 Mitglieder (130 Delegierte sollen stimmberechtigt sein) handelt wäre das "in etwa einem Monat" der Fall, führte die Sprecherin aus. Angeblich soll Mosley beabsichtigen, die Vertrauensfrage zu stellen.
Als gewichtig gilt der deutsche Automobilklub ADAC, er ist der größte weltweit - dieser Klub ließ Mosley per offizieller Aussendung ausrichten: "Das Amt des FIA-Präsidenten, der weltweit über 100 Millionen Autofahrer repräsentiert, darf nicht durch eine derartige Affäre belastet werden. Aus diesem Grund wird dem FIA-Präsidenten nahe gelegt, sorgfältig über seine Rolle in der Organisation nachzudenken. Nach Ansicht des ADAC werden sich die FIA-Gremien schnellstmöglich mit der Angelegenheit beschäftigen müssen, da auch der Weltverband der Automobilclubs ein massives Interesse daran haben muss, unbelastet von Affären seinen Aufgaben nachkommen zu können."
Klipp und klar forderte Nick Keller, Chef der British Sport Industry Group, den Rücktritt des 67-jährigen. Keller erklärte gegenüber Reuters: "Max Mosley hat sich und dem Sport geschadet. Er ist ohne Zweifel in unserer Industrie nicht mehr tragbar, und ich fordere ihn zu einem sofortigen Rücktritt auf."
Arie Ruitenbeek, Präsident des holländischen Automobilklubs KNAF erklärte gegenüber BBC: "Angesichts seiner bedeutenden Position kann dies nicht akzeptiert werden." Zu der Generalversammlung habe er noch keine Einladung erhalten, doch sein Vorhaben sei klar, sagte Ruitenbeek: "Wir werden dort hingehen, und wir werden dafür abstimmen, dass er zurücktritt."
Der Chef des israelischen Automobilclubs MEMSI, Jitzhak Milstein, zeigte sich dem britischen Radiosender gegenüber "schockiert" von dem Sex-Video, welches die britische News of the World am vergangenen Sonntag veröffentlicht hatte - mittlerweile musste es auf Antrag der Anwälte von Max Mosley aus dem Netz genommen werden.
Bekenntnis gefragt
In Fahrerlager von Bahrain ist man sich einig: Max Mosley wird seine Präsidentschaft nicht halten können, ein Aussitzen der Angelegenheit ist unmöglich. Formel 1-Drahtzieher Bernie Ecclestone, der zunächst Mosley verteidigt hat und von einem "möglichen Scherz" sprach, erklärte nun: "Es ist Sache der FIA-Gremien über das Schicksal von Max zu entscheiden. Würde Max meinen Rat suchen, würde ich ihm sagen: Du musst selbst wissen, ob sich das, was passiert ist, mit der Rolle eines Präsidenten vereinbaren lässt." Ecclestone meinte aber auch, Mosley solle sich bei allen für sein Verhalten entschuldigen und vor allem die Nazi-Vorwürfe entkräften - bislang hat Mosley zumindest erklärt, dass es "völlig falsch" sei, die in dem Video gezeigten Aktionen mit nationalsozialistischen Inhalten zu verbinden.
Wegen seiner Mitgliedschaft in der von seinem Vater gegründeten Faschistenbewegung "Union Movements" bestehen weiterhin Zweifel, ob Mosley unter seinem Vater, dem Faschistenführer Oswald Mosley, gelitten hat oder ob er selbst dieses schreckliche Gedankengut übernommen hat - und aus welchen Gründen. Bislang ist Mosley eine eindeutige Stellungnahme zu seiner Gesinnung schuldig geblieben.
Laut einem Bericht von Auto, Motor und Sport soll Max Mosley nun allerdings "wild um sich schlagen" und den Angriff als Weg der besten Verteidigung gewählt haben. In dem Bericht werden die Freunde des Präsidenten mit den Worten zitiert: "Er hat nichts mehr zu verlieren."
Dabei hat er im Gegenteil sehr viel zu verlieren: Die Präsidentschaft scheint verloren - doch die Gesinnung von Max Mosley, angenommen sie wäre nicht nationalsozialistisch, wäre es wert, klargestellt zu werden.
"Nazi-Uniformen..."
Dass doch recht viele Menschen die Sensationsschlagzeilen mit den "Nazi-Uniformen", den "NS-Befehlen" und der "KZ-Orgie" anfangs übernommen haben, auch im Medienwald, liegt wahrscheinlich auch daran, dass Mosley von seinem Führungsstil, seinem teils verletzenden Verhalten gegenüber Menschen (wie Jackie Stewart) aber auch aufgrund seiner Geschichte (Parteimitglied) befürchten lässt, dass er die Gesinnung seiner Eltern übernommen haben könnte. Selbst wenn es ihm als Kind aufgedrängt wurde, bleibt jeder Mensch für seine eigene Entwicklung verantwortlich. Eine klare Stellungnahme wäre hilfreich. Ein Max Mosley, der frei von braunen Gedanken ist, müsste nun alles daran setzen, diesen Zweifeln mit klaren Aussagen zu begegnen
Die "Nazi-Uniformen", die von NOTW propagiert wurden, haben viele Medien übernommen - doch ein eindeutiger Hinweis darauf, oder auf sonstige Nazi-Inhalte, waren in dem veröffentlichten Videomaterial nicht zu erkennen. Mittlerweile scheint laut einem Bericht von AMS klar zu sein, dass die Verkleidungen aus einem Kostümverleih stammten, und zwar aus einem gängigen, der unter dem Namen "Cops & Robbers" firmiert - also ein Kostümverleih, der "Räuber und Gendarm" heißt. Außerdem sollen zwei der Prostituierten deutschsprachig gewesen sein...
Motorsport Aktuell brachte ein Interview mit einem österreichischen Philosophie- und Naturwissenschafts-Studenten, der Ende März 2008 seine Abschlussprüfung in Philosophie an der Universität München bestanden hat und sich während seines Studiums auch dem Sadomasochismus gewidmet hat. Christoph Stappert erklärte: "Die KZ-Sträflinge trugen meines Wissens Kleidung mit Längsstreifen, keine mit Querstreifen wie auf dem Video. Ferner hört man Mosley keine Nazi-Parolen schreien. Mir scheint, es wird nur auf Deutsch gezählt. Deutsch ist als Sprache in englischen SM-Zirkeln wohl sehr beliebt. Nicht wegen der Geschichte, sondern wegen des kernigen Klangs. Ich lasse mich gerne belehren. Aber ich habe nur ein normales SM-Rollenspiel gesehen, wie es in zig Domina-Studios jeden Tag veranstaltet wird. Die Nazi-Vorwürfe scheinen eher daher zu kommen, dass Mosley den falschen Vater hat."
Zudem erklärte Stappert: "Es gibt Schätzungen, wonach in Deutschland bis zu 10 Prozent der Bevölkerung sadomasochistische Neigungen haben, in unterschiedlich starker Ausprägung. Das wären bis zu 8 Millionen Frauen und Männer gleichermaßen. Dies als perverse Sexpraktiken zu bezeichnen, ist überholter Sprachgebrauch." S/M wäre demnach weder ein Hinweis auf eine Krankheit noch würde diese Praktik gewalttätigen oder psychisch gestörten Menschen zugeordnet werden, betonte Stappert.
Wer ist der Auftraggeber?
Die Sexorgie selbst gibt also wenig bis gar keine Hinweise auf eine nationalsozialistische Gesinnung von Max Mosley. Der Rest bleibt so fraglich wie vor der Affäre. Geblieben ist allerdings der Eindruck, der Schock, den viele beim Betrachten des Videos erlebt haben -. ungeachtet aus welchen Gründen dieser entstanden ist. Nach dieser Veröffentlichung des Videos hat Max Mosley keine ausreichende Akzeptanz mehr - sowohl bei den Fans, den Teams, den Herstellern, den Automobilklubs und schließlich in der FIA selbst. Er wurde der Lächerlichkeit preisgegeben und hat nun keine Chance mehr. Derjenige, der für die Veröffentlichung des Videos verantwortlich zeichnet, darf stolz darauf sein, Max Mosley mit dieser einen Angriff auf die menschliche Würde darstellenden Vorführung die Karriere des Max Mosley zerstört zu haben. NTW könnte das sehr viel kosten, hat aber wahrscheinlich bereits das Doppelte davon verdient.
Offen bleibt, wer die Bespitzelung durchgeführt hat, unter welchem Auftraggeber sie durchgeführt wurde. Mosley selbst zeigte sich verwundert, wie The Times den Brief eines bahrainischen Mitglieds der Königsfamilie, des Kronprinzen, der an Mosley adressiert war, veröffentlichen konnte. Die Times und News of the World sollen demnach eine Kampagne durchführen, beide gehören zur Verlagsgruppe von Rupert Murdoch. Dort wiederum schreibt Ex-Pilot Martin Brundle seine Kolumnen - er hat die Bestrafung für McLaren als eine "Hexenjagd gegen Ron Dennis" bezeichnet. Mosley drohte mit einer Klage - doch die FIA hat diese nie umgesetzt, weil sie zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.
Der Auftraggeber der Bespitzelung muss ein Interesse gehabt haben, die Karriere von Max Mosley zu zerstören und er muss von den sexuellen Vorlieben des Präsidenten gewusst haben. News of the World soll Gerüchten zufolge am Rennsonntag weitere Enthüllungen in Bezug auf Mosley veröffentlichen wollen.
Dass Max Mosley weiter im Amt bleiben wird, ist nur schwer vorstellbar - mittlerweile ist die große Mehrheit davon überzeugt, dass er zurücktreten muss. Seine Akzeptanz ist stark geschwunden. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass Mosley frei von jeder Nazi-Gesinnung ist, scheint nach all dem, was passiert ist, die Chance auf eine fruchtbare Fortsetzung der Präsidentschaft des 67-jährigen Advokaten bei Null zu liegen. Bleibt die Frage, wie und wann der offenbar schwerfällige Motorsportweltverband auf die Ereignisse reagieren wird und kann. Denn scheinbar liegt es nun in den Händen von Mosley, die Vertrauensfrage zu stellen. Wie es scheint, wurde am Place de la Concorde nie daran gedacht, dass ein Präsident auch einmal in den eigenen Reihen massiv in Frage gestellt werden könnte...