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Formel 1: Exklusivinterview

„Die Zeitabstände werden größer!“

Mark Webber spricht über: Sein Comeback. Die neuen Regeln. Die neuen Autos. Und warum er befürchtet, dass die Zeitabstände größer werden…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Robert May/Rally & more, Red Bull

Jerez de la Frontera, der erste Testtag - Mark Webber kommt aus der Red Bull Racing-Box, für ein Fotoshooting hat er den Rennoverall angezogen, am Steuer des brandneuen RB5 aus der Feder von Starkonstrukteur Adrian Newey sitzt jedoch Sebastian Vettel. Den kurzen Weg zur Energy Station kann Mark Webber nur langsam und schwer hinkend zurücklegen. Kaum vorstellbar, dass dieser Mann am nächsten Tag in den RB5 steigen wird. Der Tag des Interviews ist der Tag vor dem ersten Test nach dem Unfall. Vor elf Wochen zog sich Webber auf dem Mountainbike bei einer frontalen Kollision mit einem Geländewagen einen komplizierten, offenen Beinbruch zu.

Webber nimmt sich Zeit für das motorline.cc-Interview – denn 2009 gibt es viele Änderungen. Ob sich alle zum Vorteil entwickeln, bezweifelt Mark Webber, er befürchtet sogar, dass die Zeitabstände zwischen den Konkurrenten größer werden…

Mark, was waren deine ersten Gedanken, als du die Boliden der neuen Formel 1-Generation erblickt hast?

Als ich die neuen Autos zum ersten Mal sah, hat mir ihr Look überhaupt nicht gefallen – die Autos sehen nicht so elegant aus, wie sie das bislang getan haben. Ich muss aber dazusagen, dass der Red Bull RB5 eines der schönsten Autos geworden ist, und darüber bin ich sehr froh. Natürlich ist es noch viel besser, wenn auch die Rundenzeiten gut sind – denn das Wichtigste ist immer noch, dass ein Wagen schnell ist. Aber es scheint tendenziell schwierig zu sein, unter dem neuen Reglement ein hübsches Auto zu bauen.

Für die Fahrer scheint im Cockpit mehr Arbeit anzufallen: Das KERS ein- und ausschalten, die verstellbaren Frontflügel…

Ja, aber das ist kein Problem für mich. Den Frontflügel darfst du einmal pro Runde adjustieren. Wir müssen uns noch ansehen, wie sich das unter Rennbedingungen verhält. Wir wissen noch nicht, wie wir den verstellbaren Frontwing anwenden werden. Wir haben eine ungefähre Vorstellung – wenn wir dann in Melbourne sind, werden wir sehen, wie man KERS und den verstellbaren Frontflügel am besten einsetzen kann.

Der Frontflügel wird aber nicht nur dann verändert, wenn man hinter einem anderen Auto fährt, oder?

Ja, so würde ich es auch sehen. Du hast verschiedene Optionen - und natürlich kannst du den Flügel auch auf der langen Geraden flacher stellen, um mehr Topspeed zu erhalten.

Du hast eine schwere Zeit hinter dir, nach dem offenen Beinbruch bei der ‘Tasmanian Challenge’. Du musstest möglichst schnell wieder fit werden. Hast du eine spezielle Behandlung absolviert?

Wir haben natürlich viele Dinge ausprobiert. Ich bin sehr stolz, heute [einen Tag vor dem ersten Test nach dem Unfall, d. Red.] hier zu sein. Vor elf Wochen sah mein Fuß folgendermaßen aus: [deutet den Bruch an, der untere Teil des Fußes im rechten Winkel in die entgegen gesetzte Richtung, d. Red.] Das Bein war komplett gebrochen.

Und ich muss sagen: Red Bull hat sich fantastisch verhalten - und auch die Menschen, die es mir ermöglicht haben, heute hier zu sein. Nach dem Crash hatte ich von der ersten Sekunde an gute Leute um mich, die auf mich geschaut haben. Und jetzt geht es Schritt für Schritt voran. Mit jedem Test beschreiten wir eine weitere Stufe. Unser Ziel sind neunzig Minuten, am Sonntagnachmittag in Melbourne. Ich gebe mein Bestes und selbstverständlich sind die Testfahrten sehr wichtig - aber mein Ziel ist es, bei den Rennen wieder fit zu sein. Bis dahin versuche ich für mich und mein Team möglichst viele Testrunden zu drehen.

Während der Saison gibt es keine Testfahrten mehr...

Das ist richtig – aber das ist für alle gleich.

Wenn du diese Winter-Tests nicht fahren könntest, wäre das ein Desaster, nicht wahr?

Natürlich muss man vor dem Saisonbeginn so viel wie möglich testen – aber ein Desaster wäre es nicht. Es ist wichtig, dass ich es hier probieren kann. Wir haben aber keinen Druck – wir haben noch sieben Wochen bis zum Saisonstart. Geplant sind für mich acht Testtage – wir werden sehen, wie viele ich davon absolvieren kann [der folgende Testtag verlief problemlos, Webber konnte insgesamt mehr als eine Renndistanz absolvieren und am übernächsten Tag erneut testen, d. Red.].

Wegen KERS spart man derzeit an jedem Gramm, auch bei den Piloten. Du bist um einiges größer und auch schwerer als dein Teamkollege Sebastian Vettel – wie geht es dir diesbezüglich im neuen RB5?

Sicherlich wäre ich gerne ein bisschen kleiner und leichter, aber das ist nicht möglich. Ich bin im Verhältnis zu meiner Größe sehr hager, ich kann nicht mehr leichter werden.

Große Piloten hatten es in der Formel 1-Geschichte immer wieder recht schwer in den engen Cockpits – wie erging es dir in dieser Hinsicht in deiner bisherigen F1-Karriere? Gab es ein Auto, das besonders unbequem war?

Der erste Formel 1-Wagen, mit dem ich gefahren bin, der Minardi - der war sehr schlimm. Und der erste Wagen, den Adrian [Newey, d. Red.] für mich gebaut hat, war auch nicht sehr bequem.

Meiner Einschätzung nach hat Adrian Newey schon im Vorjahr eines der besten Autos gebaut – glaubst du, dass Toro Rosso nur wegen des Ferrari-Motors um so viel besser war als ihr?

Naja, das ist schwer zu sagen. Klarerweise hatte Toro Rosso eine sehr gute Zeit mit diesem Auto. Adrian ist ein Genie - wir wissen, dass er sehr clever ist. In diesem Jahr erhalten wir mehr Power von Renault – das kann uns nur helfen. Die FIA war sehr gut zu uns – und das ist gut so.

Kann man einschätzen, um wie viel stärker der Renault-Motor heuer sein wird?

Das ist schwer zu sagen – denn es kam ja auch noch die Reduktion auf 18.000 U/min dazu, was einige Modifikationen mehr verlangt hat. Aber ich bin mir sicher, dass uns das helfen wird.

Geht sich das aus für die erhöhte Lebensdauer? Reicht die Reduktion auf 18.000 U/min aus?

Das mit der Lebensdauer ist immer noch hart. Es ist immer noch eine harte Prüfung für den Motor, auch wenn du ein paar Umdrehungen verlierst. Vier Rennen durchzuhalten ist ganz sicher nicht leicht.

Sebastian Vettel ist ein sehr hoch geschätzter Pilot – für dich ist dieses Jahr dann wohl besonders wichtig…

Jedes Jahr ist wichtig. Jedes Jahr. Es ist jedes Jahr das Gleiche. Der Druck ist nicht größer als im Vorjahr. Wenn du in der Formel 1 keine Performance zeigst, überlebst du das nicht. Das Gleiche gab es in meinem ersten Jahr, in meinem zweiten Jahr, in meinem dritten Jahr, meinem vierten Jahr und so weiter…

Sebastian ist ein sehr großes Talent – und ich bin zuversichtlich, dass ich mich voll und ganz auf meinen Job konzentrieren und ich auch für das Team einen guten Job leisten kann – gemeinsam sind wir ein gutes Team. Das ist am wichtigsten. In der Formel 1 musst du immer Leistung erbringen. Ich gebe wirklich mein Bestes und ich habe viel Freude daran, für Red Bull zu fahren. Und das möchte ich fortsetzen.

Mein Landsmann Christian Klien war einer deiner Teamkollegen – leider konnte er sein Renncockpit nicht behalten, er ist jedoch als Testpilot immer noch in der Formel 1. Doch mir scheint, dass es für junge Fahrer immer schwieriger wird…

Es war schon immer hart. Sehr hart, immer schon. Jetzt hat man noch weniger Testfahrten und man hat noch weniger Kilometer im Auto. Aber ob Formel Ford, Formel 3, Formel 3000, Formel Renault, GP2 oder was auch immer – es war schon immer ein steiniger Weg. Doch die guten Jungs setzen sich durch.

Wenn du an deine Zeit in den Nachwuchsserien zurückdenkst – würdest du sagen, dass du zurzeit in der Formel 1 so wenig wie nie zuvor zum Fahren kommst?

Naja [überlegt, d. Red.]. In der Formel 3 und in der Formel 3000 konnten wir auch nicht viel testen. Aber als ich in die Formel 1 kam, gab es viele Tests. Manchmal sogar 35 Testtage im Jahr, für einen Fahrer – das war sehr viel. Heute ist es ganz anders, das stimmt. In meinem zweiten F1-Jahr haben wir getestet und es gab auch noch die Freitagspiloten. Das gab es viel zu tun, da haben wir richtig viele Kilometer abgespult.

Würdest du heute gerne mehr fahren?

Natürlich! Für mich sind die Rennen der wichtigste Teil – es sollte mehr Rennen geben. Testfahrten sind wichtig – aber sie kommen nicht so vielen Leuten zugute. Wenn es mehr Rennen geben würde, hätten alle etwas davon – ich würde liebend gerne mehr Rennen fahren.

Niki Lauda schlug vor, dass die Formel 1-Piloten wie früher auch in anderen Rennserien fahren sollen, wie beispielsweise in der DTM. Würdest du eine solche Lösung begrüßen?

Ja, aber nicht alles auf einmal, das funktioniert nicht. Klar kannst du beide Serien fahren, das ist sicher kein Fehler. Aber die Autos sind heute so spezifisch geworden. In den Sechzigerjahren sind die Formel 1-Autos zum Teil Formel 3-Zeiten gefahren – da gab es keinen so großen Unterschied zwischen den Serien. Heute ist dieser Unterschied riesengroß – im Stile eines Jim Clark Tourenwagenrennen zu bestreiten, und dann wieder etwas ganz anderes zu fahren ist heute nicht mehr möglich. Das war damals schon ein bisschen einfacher. Und ich habe es geliebt, als Jim Clark verschiedene Boliden pilotiert hat, das war fantastisch. Ich würde auch gerne mit einem DTM-Auto fahren – aber nicht jetzt.

Du hast sicher schon das ein oder andere Mal einen alten Rennwagen, einen historischen Formel 1-Boliden lenken können – hat dir das Fahren damit Spaß bereitet?

Ja, klar! Aber das ist doch immer nur Showtime für die Zuschauer – da kannst du nicht wirklich puschen.

Im Vorjahr seid ihr hier in Jerez noch ganz schön rumgerutscht in der Schikane, als man erstmals seit langer Zeit ohne Traktionskontrolle fuhr.

Ja, das Verbot der Traction Control hat die Challenge erhöht. Und wir haben in den Regenrennen gesehen, dass es dort besonders wichtig ist, dass der Fahrer einen guten Job leistet.

Was das Fahren anbelangt - wird diese Challenge heuer noch größer?

Nein. Naja, vielleicht ein bisschen – aber nicht in jenem Maße, wie das beim Verbot der Traktionskontrolle der Fall war. Es ist doch so: Du brauchst immer noch ein gutes Auto – und natürlich ist der Fahrer wichtig. Es ist einfach so, wie es immer schon war – du kannst einen langsamen Fahrer auch in einem schnellen Auto nicht zum schnellen Fahrer machen. Es ist immer noch wichtig, einen schnellen Piloten zu haben.

Die Zeitabstände werden glaube ich heuer um einiges größer werden, wegen der neuen Regeln. Im Vorjahr war die Startaufstellung eng, die Abstände waren gering – zwischen dem ersten und dem letzten Fahrzeug lagen manchmal nur 1,5 Sekunden.

Zugleich kann wegen der neuen Regeln auch einiges passieren, die Kräfteverhältnisse könnten verschoben werden, vielleicht ist jemandem der ‚große Wurf’ gelungen? Wie schaut es bei dir aus – ist der erste Sieg möglich?

Ich hoffe es – auch für Red Bull. Toro Rosso hat im Vorjahr einen guten Job geliefert – aber das wirkliche Red Bull Racing-Team, wenn wir es schaffen würden – ich würde mich so freuen für Dietrich [Mateschitz, d. Red.]. Denn Dietrich hat so viel in die Formel 1 investiert, und damit meine ich nicht nur das Team. Die Formel 1 muss erst verstehen, was Red Bull für diesen Sport getan hat. Das ist einfach unglaublich – Red Bull verdient es daher, in diesem Jahr ein wenig Glück zu haben und ich hoffe, dass wir alle zusammen es schaffen werden.

Die neuen Regeln wurden neben den Sparabsichten auch in Hinblick auf eine verbesserte Show eingeführt – werden die Rennen 2009 besser sein als im Vorjahr?

Nicht notwendigerweise. Wie ich schon sagte - ich glaube, dass die Zeitabstände größer werden. Wenn die Abstände im Qualifying größer werden – im letzten Jahr waren es rund zwei Zehntelsekunden, die pro Startreihe hinzukamen, heuer werden es vielleicht vier Zehntelsekunden sein. Und wenn das Rennen gestartet wird, kannst du dir ausrechnen, wie groß die Abstände nach nur drei Runden sein werden.

Eigentlich absurd – alle sagen, dass die Show verbessert werden muss, doch aufgrund von Wetter und anderen Begebenheiten gab es im Vorjahr eigentlich sehr spannende Rennen…

Es gibt nichts zu verbessern – die letzten beiden Jahre waren spektakulär, absolut spektakulär. Das sind Träumer, wirkliche Träumer, wenn sie glauben, sie können die Show um so viel verbessern.

Natürlich – wir können so viele Überholmanöver machen wie in den Ovalrennen in der NASCAR oder der IRL, wo jeder jeden zehnmal pro Runde überholt. Nur ist das auch nicht besonders aufregend, wenn du 10.000 Überholmanöver hast, dann siehst du die Überholmanöver vor lauter Überholmanövern nicht mehr.

Das Überholen muss eine Herausforderung darstellen, es muss eine Challenge sein. Es darf nicht zu leicht sein, einen Gegner zu überholen. Sonst ist es wie bei den Indy Cars [summt in einem hohen, gleichmäßigen Ton und deutet die Lenkbewegungen bei den Überholmanövern an] - das ist nicht besonders aufregend.

Aber mit den neuen Autos sollte das Fahrverhalten im Heck eines Vordermanns besser werden, oder?

Wir werden sehen. Denn bei den Bremsen wurde nichts geändert, wir bremsen immer noch sehr spät. Und wir fahren hier in Jerez immer noch Rundenzeiten von 1:22 Minuten, die neuen Autos sind also nicht um so viel langsamer.

Warum hat man nicht anstatt der Karbon-Bremsscheiben welche aus Stahl eingeführt, um den Bremsweg zu verlängern?

Ich weiß es nicht. Wir würden mit den Stahlscheiben wahrscheinlich einen viel längeren Bremsweg haben. Aber das Limit ist das Limit! Sogar die Tourenwagen in Australien sind am Limit - die wiegen 1.000 Kilogramm, die haben Stahl-Bremsscheiben, die Bremspunkte sind eine Ewigkeit früher als bei uns – aber sie können trotzdem nicht überholen…

Weitere Interviews, exklusive Fotos von den Testfahrten und vieles mehr finden Sie in der großen Saisonvorschau-Extrabeilage „F1 2009“ der am 6. März erscheinenden Ausgabe der Zeitschrift Rally & more.

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