
Formel 1: Im Gespräch | 23.05.2011
„Ich lebe von der Dividende meiner großen Zeit“
Der legendäre belgische Rennfahrer Jacky Ickx im Gespräch - über Gefahr und Tod im Rennsport, Schumacher, das Ablaufdatum eines Piloten und vieles mehr…
Michael Noir Trawniczek & Helmut Zwickl
Fotos: Ennstal Classic/AndreasTischler.com, Photo4
Der legendäre belgische Rennfahrer Jacky Ickx präsentierte in Wien die neue Ennstal Classic-Uhr von Chopard – davor kam es zu einem Gespräch mit Helmut Zwickl und Michael Noir Trawniczek.
Michael Noir Trawniczek: Dein Vater war Motorsportjournalist. Wie war dein Verhältnis zu den Medien? War es aufgrund deines Vaters ein anderes als das bei deinen Rennfahrerkollegen der Fall war?
Jacky Ickx: Das ist lustig, denn in all den Jahren hat mir noch niemand diese Frage gestellt. Für mich war er weniger der Journalist, sondern einfach ein Vater, der vom Motorsport begeistert war.
Michael Noir Trawniczek: Hat er die Rennleidenschaft in dir geweckt?
Jacky Ickx: Ich hatte zunächst gar keine Ambitionen, ein Rennfahrer zu werden. Aber ich war in der Schule wenig erfolgreich. Und meine Eltern wollten etwas finden, das mir gefällt. Als ich das schlechteste Zeugnis meiner Schülerkarriere erhielt, schenkten sie mir ein Motorrad.
Helmut Zwickl: Du hast mit dem Motorrad begonnen?
Jacky Ickx: Ja, es war ein Gelände-Motorrad, ich fuhr Trial-Rennen und bald schon stand ich regelmäßig auf dem Podium. Ich habe niemals davon geträumt, ein Rennfahrer zu werden – das ist einfach passiert.
Helmut Zwickl: Später hast du Ken Tyrrell, den legendären Rennstallbesitzer kennengelernt – wie ist es dazu gekommen?
Jacky Ickx: Ich habe ihn im Sommer 1964 in Budapest getroffen. Dort fuhr ich für Alan Mann ein Sechsstundenrennen. Ken Tyrrell hat mich zu einem Test eingeladen – aber ich musste ausschlagen, da ich zur Armee musste.
Dort habe ich dann gelernt, mit Panzern Vollgas zu fahren und damit Dreher zu produzieren. Dort habe ich im Grunde genommen meinen Führerschein gemacht. Ende 1965 kam es dann zum Test für Ken Tyrrell, mit einem Formel 2-Cooper. Ich hatte viele Dreher und am Ende hatte ich auch noch einen Crash. Und dann gab er mir trotzdem den Vertrag.
Helmut Zwickl: Du hast das Auto zerstört?
Jacky Ickx: Ja, es war schwer beschädigt.
Michael Noir Trawniczek: Deine Rundenzeiten müssen also sehr gut gewesen sein, oder?
Jacky Ickx: Ich war schnell, aber ohne Erfahrung. Der Unterschied zur heutigen Zeit besteht darin, dass meine Unfälle für Ken Tyrrell akzeptierbar waren, denn er hatte aufgrund meines Speeds gewisse Erwartungen. Wenn du heute als junger Pilot bei deinem ersten Test das Auto zerstörst, sind deine Chancen auf einen Vertrag nicht wirklich gut, solange du nicht irgendwelche Rundenrekorde brichst.
Was ich heute noch bereue: Dass ich gegenüber Ken nicht mehr Dankbarkeit gezeigt habe – es gibt Menschen, die einen gossen Einfluss auf dich ausüben, und Ken Tyrell war für mich ein solcher. Er gab mir die Möglichkeit, im Automobilrennsport Fuß zu fassen.
Helmut Zwickl: Ende der Sechzigerjahre hat jeder über Jacky Ickx gesprochen. 8:14 Minuten war deine Zeit auf dem Nürburgring, in einem Formel 2-Auto. Beim Grand Prix fuhrst du die drittschnellste Zeit mit dem Formel 2, doch man hat die Formel 2-Autos am Ende des Formel 1-Feldes aufgestellt.
Jacky Ickx: Ja – und es war der alte Cooper-Formel 2. Wenn ich, was manchmal der Fall war, den Wagen von Jackie Stewart fahren hätte können, wäre ich noch mal um fünf Sekunden schneller gewesen. Was ich dazu noch sagen möchte: Ich glaube nicht, dass unser Schicksal vorgegeben ist – es hängt davon ab, welche Leute wir treffen, und Ken Tyrrell war eine sehr wichtige Person für mein Leben, vielleicht sogar die wichtigste Person.
Michael Noir Trawniczek: Du hast gesagt, du bist dankbar, dass er dich zum Automobilrennsport brachte – meinst du damit, dass der Motorradrennsport noch gefährlicher gewesen wäre?
Jacky Ickx: Nein, an so etwas denkst du nicht, wenn du jung bist. Im Rennsport ist kein Platz für Leute, die an die Gefahr denken – und nur junge Menschen denken nicht an die Gefahr. Denn in diesem Alter bedeutet dir der Tod nichts.
Helmut Zwickl: Hast du jemals daran gedacht, zurückzutreten, beispielsweise nach dem tödlichen Unfall von Jochen Rindt?
Jacky Ickx: Nein. Aber in dieser Zeit, Ende der Sechzigerjahre, als Jochen Rindt, Jo Siffert, Jim Clark und einige andere zu Tode kamen, war es stets so: Immer wenn ich gerade bei mir zuhause war und zu einem Rennen fuhr, habe ich durchaus gedacht, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkommen werde. Aber das hat mich nicht gestoppt, auch sonst niemanden.
Es war natürlich eine gefährliche Zeit, so wie es auch vor dem Krieg gefährlich war oder auch in den Fünfzigerjahren. Da war es wahrscheinlich sogar noch gefährlicher. Aber es war normal zu der Zeit. Es war eine Art von Aristokratie in der automobilen Welt: Rennfahrer sind dazu da, um zu kämpfen und zu sterben. Erst Mitte der Siebzigerjahre wollte man diese Unfälle nicht mehr akzeptieren, hat man begonnen, ernsthaft die Sicherheit zu verbessern.
Helmut Zwickl: Als du für Lotus gefahren bist – hattest du in dieser Zeit viele mechanische Gebrechen?
Jacky Ickx: Ja, sehr viele. Ich bin zwei Jahre lang für Lotus gefahren und es gab sicher drei große mechanische Defekte. Der Lotus war ein tolles Auto – doch ich hatte großes Glück, mich nicht verletzt zu haben. Aber es hatten auch andere Auto mechanische Defekte, einige.
Helmut Zwickl: Welche Rolle hat das Geld in deiner Karriere gespielt?
Jacky Ickx: Gar keine, denn es war ein anderes Zeitalter. Wir erhielten eine Gage und waren glücklich damit – das Geld stand nicht im Vordergrund. Das Ziel war, das beste Auto zu haben und Rennen zu gewinnen.
Helmut Zwickl: Hattest du jemals einen Manager?
Jacky Ickx: Nein. Das war nicht notwendig.
Helmut Zwickl: Jochen Rindt sagte auch immer, er sei sein eigener Manager.
Jacky Ickx: Er war neben Jackie Stewart der erste, der sich Gedanken über das Geschäft gemacht hat, der einen professionellen Zugang hatte. Jochen hatte damals viel mehr als wir den Blick auf diese Dinge gerichtet.
Helmut Zwickl: Wie war es bei Ferrari für dich? War es Grande Casino?
Jacky Ickx: Nein, es war sehr gut. Ich bin einer der wenigen, die nie ein böses Wort über Ferrari verlieren werden. Enzo Ferrari war sehr nett zu mir – er hat mir immer vertraut, obwohl ich manchmal sehr faul war. Ich habe es nie gemocht, tagelang zu testen.
Helmut Zwickl: Wie lief es mit dem berüchtigten Ferrari-Rennleiter Mauro Forghieri?
Jacky Ickx: Es lief gut – aber damals war es so. dass du in einem Jahr ein gutes und im nächsten Jahr ein schlechtes Auto haben konntest. Die Formel 1 war damals auf eine gewisse Art und Weise empirisch. Es gab noch keine so genauen Berechnungen oder Computersimulationen. Die Ingenieure hatten ihre Ideen – aber sie wussten nie so genau, ob diese fruchten werden.
Helmut Zwickl: Du hast fantastische Langstreckenrennen geliefert, in den Zweisitzern, ich habe dich gesehen in Le Mans….
Jacky Ickx: Ich war ganz gut unterwegs, war körperlich sehr widerstandsfähig. Und rein mathematisch habe ich vielleicht die größte Anzahl an Langstreckenrennen gewonnen, vielleicht mehr als 50. Aber du benötigst im Langstreckensport auch Glück. Und dieses Glück besteht darin, dass du die richtigen Teamkollegen hast.
Helmut Zwickl: Wer war dein bester Teamkollege?
Jacky Ickx: Das kann man so nicht sagen. Und die Fahrer sind die letzten, die ein Projekt verwirklichen – zuvor haben die Techniker das Auto entworfen. Der Fahrer ist der letzte, der dann einsteigt und die Lorbeeren einholt. Aber nur er steht dann im Rampenlicht – doch er hat nur getan, was man von ihm erwartet hat.
Helmut Zwickl: In den Teams warst du immer ein junges Kid, ein Wunder.
Jacky Ickx: Wunder weiß ich nicht, aber ich war immer ein bisschen schneller als meine Teamkollegen. Es war ein bisschen wie bei Vettel und Webber – die Teams investierten in die Jugend.
Michael Noir Trawniczek: Du warst ein Allroundpilot.
Helmut Zwickl: Formel 1, Formel 2, Langstrecke, Dakar – keiner der heutigen Piloten ist dazu imstande.
Jacky Ickx: Aber es erhält auch keiner die Möglichkeit, das ist heute einfach nicht mehr machbar. Das war nur in dieser Ära damals möglich. Heute hast du die Sponsoren, die Exklusivität gegenüber dem Hersteller und so weiter. Ich bin davon überzeugt, dass viele heutige Formel 1-Piloten dazu in der Lage wären, Dakar oder Langstrecke zu fahren.
Ich glaube auch nicht, dass ein Sebastian Vettel deshalb weniger glücklich ist, weil er keine anderen Rennen als Formel 1-Rennen bestreitet. Ich habe unlängst mit ihm gesprochen und in Summe sagte er: ‚Ich möchte mich als Fahrer verbessern und als Person.’ Und wenn ein 23-jähriger sagt, er möchte sich als Person verbessern, dann sagt das schon einiges über ihn aus.
Michael Noir Trawniczek: Den Wunsch, auch andere Rennserien zu fahren, gibt es aber offenbar bei einigen Piloten. Siehe Kimi Räikkönen oder Robert Kubica.
Jacky Ickx: Kubica ist kein gutes Beispiel – denn er bekam die Erlaubnis, Rallyes zu fahren und er hatte das Pech, einen schweren Unfall zu haben. Ich persönlich empfinde große Bewunderung für Rallyepiloten.
Michael Noir Trawniczek: In Österreich haben wir zurzeit leider keinen Formel 1-Piloten. Belgien hatte auch lange Zeit keinen, jetzt gibt es Jerome d’Ambrosio. Wie schätzt du ihn ein?
Jacky Ickx: Ja, seit Thierry Boutsen, der zwei oder drei Grand Prix gewinnen konnte, gab es keine Siegpiloten aus Belgien in der Formel 1. Jetzt sind wir zurück mit einem Fahrer, der eines der schwächsten Autos im Feld fährt - aber er ist in der Formel 1, das ist schon einmal etwas.
Der einzige Weg, die Kapazität eines Piloten einzuschätzen, ist der Vergleich mit seinem Teamkollegen. Wenn du beginnst, hast du zwei große Herausforderungen: Den Teamkollegen zu schlagen und aufzupassen, dass du dich nicht selbst schlägst, dass man es also übertreibt und abfliegt.
Helmut Zwickl: Glaubst du, dass Nico Rosberg schneller ist als Michael Schumacher? Denkst du, dass Michael Schumacher aufhören sollte? Letztes Jahr hieß es, er ist nicht gewöhnt an die Reifen, er hatte keinen Einfluss auf das Auto – jetzt haben alle neue Reifen, er konnte das Auto mit entwickeln.
Jacky Ickx: Ich kann es nicht beurteilen. Aber natürlich gibt es Fakten. Rosberg war stets schneller als Schumacher – obwohl es oft nur ein paar Zehntelsekunden Unterschied gab. Aber wenn Michael dabei glücklich ist, wenn er sich wohl fühlt im Mittelfeld - warum müssen wir dann darüber diskutieren, ob er zurücktreten soll?
Es ist sein Leben, seine Freude. Ich will das nicht kommentieren. Und grundsätzlich für einen Kerl, der über 40 Jahre alt ist, schlägt er sich doch sehr gut. Er war vielleicht ein bisschen zu optimistisch, als er dachte, er kann einen 25-jährigen schlagen. Aber: Den Rekord von Schumacher wird niemand mehr schlagen können und wenn er glücklich ist, wenn sein Team glücklich ist, dann ist es okay.
Helmut Zwickl: Aber: - ich sage dir: Er ist nicht glücklich!
Jacky Ickx: Das kann ich nicht beurteilen. Wenn er glücklich ist, ist es für mich okay. Und wenn er unglücklich ist, dann auch – denn es ist sein eigenes Leben. Im Sport hast du ein Ablaufdatum. Jeder Sportler weiß das – manche haben es akzeptiert, andere nicht. Es gibt einen Punkt, ab dann geht es bergab.
Michael Noir Trawniczek: Hast du in deiner Karriere diesen Punkt gespürt?
Jacky Ickx: Ja, definitiv. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, wenn du deine Motivation kennst, dann hast du nur diese eine Möglichkeit.
Michael Noir Trawniczek: Von einem Tag auf den anderen? Du schaust eines Morgens in den Spiegel und weißt, dass es vorbei ist?
Jacky Ickx: Ich finde die Idee viel netter, zu gehen, bevor man gefeuert wird. Wenn du gehst, bevor du nicht mehr im Spiel bist, dann ist es viel leichter und schöner. .
Michael Noir Trawniczek: Dass man also bildlich betrachtet durch den Vordereingang wieder verschwindet und nicht durch den Hinterausgang hinaus befördert wird…
Jacky Ickx: Ja, wenn du unbedingt bleiben willst, dann wirst du irgendwann ans Ende des Feldes gespült. Und was passiert dann? Dann wirst du rausgetreten. Das ist das Problem. Man muss realistisch bleiben. Als ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr hundertprozentig motiviert bin, dass ich nicht mehr Vollgas geben will, bin ich gegangen beziehungsweise habe mir andere Rennserien ausgesucht. Du musst realistisch und intelligent sein – und mehr als alles musste du realisieren, dass dir die Zeit davon läuft.
Michael Noir Trawniczek: Sicher eine sehr harte Entscheidung oder?.
Helmut Zwickl: Nein, keine harte Entscheidung..
Jacky Ickx: Für mich, wenn du meine Chancen und meine Platzierungen anschaust – ich habe sogar die CanAm-Serie gewonnen – wie kann ich auch nur für einen Moment unglücklich gewesen sein? Du musst einfach nur akzeptieren, dass nichts garantiert, dass nichts für immer ist. Du nimmst, was du bekommst – und du bist glücklich damit. Ich hätte ja auch ein Tankwart sein können.
Michael Noir Trawniczek: Aber du bist im Motorsport geblieben, in anderen Positionen.
Jacky Ickx: Nein, so würde ich das nicht sagen. Ich lebe einfach von der Dividende meiner Karriere, die im Jahr 1985 zu Ende gegangen ist. Das ist natürlich fantastisch – ich arbeite derzeit für die Volkswagen Gruppe, da bin ich eine Art Botschafter und ich bin sehr stolz darauf, ein Mitglied dieser Gruppe zu sein.
Aber ich lebe von der Dividende einer 30 Jahre andauernden Motorsportkarriere in der Top-Liga. Mit der Formel 1, Dakar, Sportwagen, CanAm, Formel 2 und was auch immer – mit schönen Momenten und auch sehr traurigen Momenten. Weil du so im Motorsport lernst, deinen Weg zu gehen.
Aber eine solche Karriere ist ein Privileg. Daher bedaure ich auch nichts, ich trauere nichts nach. . Wenn du dich umschaust, all die anderen Piloten, die ähnlich viele Rennkilometer abgespult haben – wie viele Überlebende gibt es denn da? Wenn du in den verschiedenen Rennkategorien, egal auf welchem Belag, immer Vollgas gibst – und du stirbst dabei nicht, dann ist das keine Frage des Talents, sondern einfach nur Glück.