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Formel 1: News

Wo bleiben die Zweikämpfe?

Experten sowie die Piloten befürchten, dass die Formel 1 durch die neuen, schnell abbauenden Pirelli-Pneus zum reinen Zeitfahren wird.

"Wenn der Fernando von hinten drückt, fährt man, blöd gesagt, zur Seite und lässt ihn vorbei. Würde man mit ihm kämpfen, würde man nur Zeit verlieren." - Es sind Sätze wie dieser von Sebastian Vettel, die die aktuelle Reifensituation in der Königsklasse beschreiben, und die viele Fahrer, Experten und Fans mit Kopfschütteln reagieren lässt. Die zerbröselnden Pirelli-Reifen lassen den Fahrern oft keine Wahl, als sich kampflos seinem Gegner geschlagen zu geben.

Die beinharten Duelle von Ayrton Senna und Alain Prost oder zwischen Mika Häkkinen und Michael Schumacher - sie alle sind legendär. Keiner hat dem anderen auch nur einen freien Zentimeter auf der Strecke gegönnt. Und was durften die Fans in China erleben? Einen Sebastian Vettel, der seinem WM-Rivalen Fernando Alonso brav Platz macht und an die Seite rollt. Kein Kampf, kein Zeitverlust, kein packendes Duell.

Die Formel 1 verkommt in der heutigen Zeit immer mehr zum Zeitfahren. "Letzten Endes fährt man sein Rennen und versucht so schnell wie möglich zum Ziel zu kommen", beschreibt Sebastian Vettel. Gegner auf der Strecke sind dabei nur störende Hindernisse. Gut, das waren sie für den Dahinter fahrenden schon seit jeher. Doch selbst für den Vorausfahrenden sind sie störend - also macht er lieber Platz, um weiter sein Rennen gegen die Uhr fahren zu können.

"Wenn die Reifen wirklich so stark abbauen und jeder so sehr darunter leidet, dann versucht jeder bis zum Ende sein bestes Rennen zu fahren. Alles was dazwischen passiert sollte einen nicht aufhalten", weiß Vettel bestens Bescheid. Dabei wollte die FIA mit den abbauenden Pirelli-Pneus besseres Racing und mehr Überholmanöver generieren. Das mit den Überholmanövern ist zumindest in jedem Fall gelungen.

Zweistopp-Strategie im Nachteil?

"Die Frage ist, ob das eben echte Zweikämpfe sind", so der Red-Bull-Pilot. "Wenn man das Ende (in China; Anm. d. Red.) vergleicht, wo ich kurz vor Schluss in die Box fahre und fünf Sekunden schneller bin, dann habe ich keine Schwierigkeiten vorbeizufahren. Dann ist es kein Hexenwerk. Das kann ich praktisch in jeder Kurve machen. Es ist ein Überholmanöver, aber ob es eben ein echtes Überholmanöver ist, ist die Frage."

Besonders zwischen Piloten, die eine andere Strategie fahren, sind Überholmanöver häufig "wertlos". Da in China viele Piloten auf unterschiedlichen Strategien unterwegs waren, gab es auch viele Überholmanöver - oder besser gesagt ein Passieren auf der Strecke. Als einer von nur zwei Piloten, die in Schanghai auf eine Zweistoppstrategie gesetzt haben, weiß McLaren-Pilot Jenson Button sehr gut, was damit gemeint ist.

"Ich musste den Großteil des Rennens einstecken, denn wenn man weniger Stopps einlegt, ist man zumeist auf älteren Reifen unterwegs. Also überholen dich Leute die meiste Zeit", beschreibt der Brite sein letztes Rennen. "Das ist nicht sehr spaßig für mich, aber ich denke, wenn man eine Dreistoppstrategie gewählt hat, hat das Rennen viel Spaß gemacht." Denn die anderen 20 Piloten konnten seiner Meinung nach ziemlich hart pushen.

Gleiches musste auch sein Teamkollege Sergio Perez erleben: "Es ist sehr schwierig, irgendetwas mit alten Reifen auszurichten, wenn die Strategien unterschiedlich sind - wenn andere auf drei Stopps setzten und du auf zwei Stopps. Dann sollte man sich nicht um sie kümmern, denn wenn man gegen sie kämpft, dann werden sie einen ohnehin in der nächsten Kurve überholen", so der Mexikaner.

Räikkönen kommt gut zurecht

Doch abgesehen davon gibt es aus Fahrersicht nicht nur kritische Stimmen gegenüber den stark abbauenden Pirelli-Reifen. Einer, dem das meistens ziemlich egal ist, ist Kimi Räikkönen. Der Finne kümmert sich wenig um die Reifendiskussion, sondern versucht einfach, das Beste aus der jeweiligen Situation zu holen. "Die Formel 1 hat sich in den zehn Jahren, in denen ich dabei war, nicht so sehr verändert", findet der Lotus-Pilot. "Sicher konnte man in einigen Jahren schneller fahren, doch da musste man mehr Stopps einlegen und fuhr mit weniger Sprit kürzere Stints."

"Wenn man zu der Zeit 50 Kilogramm mehr Sprit im Tank hatte, musste man auch mehr auf die Reifen aufpassen. Es hat sich nicht wirklich was verändert", ergänzt er. Räikkönen findet die ganze Diskussion übertrieben: "Man kann es nie allen recht machen. Pirelli hat also keine einfache Aufgabe. Was auch immer sie machen, es wird Teams, Fahrer und Leute geben, die damit nicht zufrieden sind."

Doch neben Dauernörglern und den ewig Gleichgültigen gibt es in der Königsklasse auch Fahrer, die die aktuelle Situation gutheißen - weil sie davon profitieren. Das betrifft vor allem die Fahrer aus den Mittelfeldteams. "Wenn es unvorhersehbar ist, ergeben sich Chancen", weiß Paul di Resta. Der Force-India-Pilot erinnert sich an den letztjährigen Bahrain-Grand-Prix, wo er mit einer anderen Strategie den Konkurrenten ein Schnippchen schlug. "Wir hatten definitiv nicht das Auto, das es verdient hätte, Sechster zu werden."

"Aber wir haben das geschafft und einen großen Erfolg eingefahren", erzählt der Schotte. Und auch Daniel Ricciardo ist ein Freund der aktuellen Regeln. Mit seinem Toro Rosso hätte der Australier im Normalfall keine Chance auf vordere Platzierungen, doch in China durfte er sich über den siebten Rang freuen. "Natürlich würde ich gerne immer 100 Prozent pushen", so Ricciardo, "gleichzeitig ist es aber auch wirklich schön, wenn man sieht, dass der Kerl vor einem plötzlich Reifenproblem kriegt und man eine Sekunde pro Runde aufholt."

Chance für die langsameren Teams?

"Ich schätze, dass es davon abhängt, auf welcher Seite du stehst - ob du der unter abbauenden Reifen leidest oder nicht", urteilt der Toro-Rosso-Pilot. Für ihn persönlich gestaltet sich durch das schwierige Reifenmanagement das Rennfahrerleben interessanter: "Das spielt sich im Kopf ab - man sagt: Wenn ich um so und so viel pro Runde langsamer fahre, dann kann ich vielleicht drei oder vier Runden länger fahren. Das ist eine Rechnerei, und ein anderer Teil des Sports, der es interessant macht. Ich würde nicht sagen, dass es für Langeweile sorgt. Es trägt etwas bei - sorgt für mehr Optionen. Man kann das Rennen wirklich steuern."

Mit dieser Kalkulation kommt zwar ein taktischer Faktor als Schwierigkeit hinzu, allerdings ginge auch viel an fahrerischem Faktor verloren, so der Australier. Doch das ist ja eigentlich das, was die Formel 1 ausmachen sollte: Die schnellsten Fahrer, die sich Rad an Rad auf der Strecke duellieren. Doch Schnelligkeit spiele nicht mehr die große Rolle: "Auf eine gewisse Art und Weise muss man wirklich sagen, dass es das ganze etwas einfacher macht - vor allem auf die Distanz", sagt Ricciardo.

"Wenn man mit Jenson über sein Wochenende spricht, dann wird er wahrscheinlich sagen, dass er das gesamte Rennen lang nie pusht und einfach versucht, sauber und ruhig zu fahren. So gesehen muss man vielleicht kein absoluter Top-Formel-1-Pilot sein, um die Reifen zu schonen. Das passt vielleicht nicht ganz zur Formel 1", zieht Ricciardo ein abschließendes Resümee, nicht aber ohne eine Idealvorstellung zu liefern: "Es wäre schön, wenn wir immer noch das Extrem der Formel 1 hätten, aber es ist jetzt eben so wie es ist."

Doch zwischen den Worten Rechnerei, steuern und Kopf bleiben andere Begriffe auf der Strecke: Zweikampf, Duell, Überholmanöver. Alle drei gehören in der modernen Formel 1 nicht mehr zum Idealzustand des vorher analysierten Rennens. Selbst wenn Daniel Ricciardo das Rennen für sich spannender findet, am Ende bleibt es ein Kampf gegen eine virtuelle Uhr anstatt einen realen Gegner.

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