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Mercedes: Jetzt muss die Kettensäge ran! Platz drei beim Saisonauftakt war für den Mercedes W13 schmeichelhaft
Motorsport Images

Viel besser, aber nicht gut genug: So packt Mercedes die Probleme an

Lewis Hamilton rechnet für Saudi-Arabien nicht mit einer wesentlichen Steigerung, und Toto Wolff kündigt an, warum Updates für Mercedes nicht Priorität haben

"Porpoising", Übergewicht, zu viel Luftwiderstand: Die Probleme, die Mercedes in den Griff bekommen muss, um in der Formel-1-Saison 2022 zu alter Stärke aufzulaufen, sind vielfältig - und in nur einer Woche zwischen Bahrain und Saudi-Arabien nicht aufzuholen: "Ich glaube nicht, dass wir dort konkurrenzfähiger sein werden", befürchtet Lewis Hamilton. "Aber wir haben diese Woche viel gelernt."

In erster Linie darüber, wo die Probleme des F1 W13 E Performance liegen. Da wäre zunächst das "Porpoising", von manchen Medien auch als "Bouncing" bezeichnet. Beim Bahrain-Test ist der Mercedes noch wie ein nervöser Hase über die Start-Ziel-Gerade gehoppelt, so übel war der blitzschnelle Wechsel zwischen "Ground-Effect" und Strömungsabriss am Unterboden.

"Aber das wurde von Session zu Session besser", analysiert Marc Surer in einem Interview auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de (heute exklusiv und werbefrei für Kanalmitglieder, ab Mittwoch frei für alle User). "Die haben in die richtige Richtung gearbeitet." Dem Formel-1-Experten ist aufgefallen: "Am Anfang, mit vollem Tank, haben sie richtig gut mitgehalten. Je leichter das Auto wurde, desto mehr haben sie verloren."

Auch Hamilton findet, dass das "Porpoising" in Qualifying und Rennen "viel besser" war: "Beim Testen war es Killer. Man hat bei vielen gesehen, wie sie auf und ab hüpfen, aber bei uns war's wahrscheinlich noch ein bisschen übler. Dafür haben wir eine ganz gute Performance herausgequetscht. Ich hoffe, dass wir das noch besser hinkriegen."

Die Arbeiten dafür laufen auf Hochtouren. Der Schlüssel dazu liegt - anders als in der Vergangenheit - nicht beim Flügelwerk, das jeder sehen kann; sondern in den Venturikanälen unter dem Auto. Nur wenn die Ingenieure an den seitlichen Enden des Unterbodens tüfteln, kann man das von außen erkennen.

Mercedes testet unterschiedliche Unterbodenvarianten

Beim Barcelona-Test, also noch vor dem radikalen Seitenkasten-Facelift, zierten noch mehrere Wellen jenen Bereich des Unterbodens, der sich ungefähr auf Höhe des seitlichen Lufteinlasses befindet. Beim Bahrain-Test waren die Wellen weg, dafür eine Stufe da. Diese Spezifikation wurde auch im Rennen gefahren.

Im Freitagstraining hatte Hamilton eine ähnliche, aber marginal veränderte Variante getestet - und danach offenbar wieder verworfen. Im Nachhinein fällt auf: Das war der Teil des Wochenendes, in dem man das "Porpoising" des Mercedes am eindeutigsten erkennen konnte.

Für die alten Hasen des Formel-1-Engineering ist das komplexe Spiel mit dem "Ground-Effect" nicht neu. Surer erinnert sich, wie seine Techniker das Problem früher gelöst haben: "Wir haben irgendwelche Seitenteile verkürzt. Das war eine Möglichkeit. Oder Löcher reingebohrt, die wie ein Ablassventil wirken, damit es keinen übermäßigen Sogeffekt gibt."

Motor: Ferrari hat "einen Schritt vorwärts" gemacht

Problem Nummer 2: der Topspeed. Im Qualifying fehlten Hamilton acht, George Russell sogar neun km/h auf den Honda-gepowerten Red Bull. Ferrari und Red Bull seien "auf den Geraden sehr schnell" gewesen, stellt Hamilton fest, "und ihre Performance in den Kurven ist leider auch ein bisschen anders als die unsere".

Eine Theorie ist, dass Mercedes die Branchenführerschaft im Motorenbereich an Ferrari verloren haben könnte. Wolff räumt ein, dass Ferrari "einen Schritt vorwärts" gemacht hat, schränkt aber ein: "Es ist noch zu früh für ein Urteil darüber, ob uns Leistung fehlt. Ich glaube nicht, dass die Unterschiede zwischen den Powerunits groß sind."

Wenn dann trotzdem Topspeed fehlt, kann das eigentlich nur am Set-up liegen. An Anpressdruck fehlt es dem W13 nicht. Also möglicherweise zu steil konfigurierte Flügel, zu viel Luftwiderstand? Das sei einfacher als Anpressdruck finden zu müssen, "denn dafür nimmst du einfach eine Kettensäge und schneidest was vom Heckflügel ab", scherzt Wolff.

Er kündigt an: "Das werden wir für Dschidda tun." Und sagt: "Für uns ist diese Situation neu, denn wir befinden uns irgendwo im Niemandsland zwischen P3, P4 und P6. Da kann und muss man mehr experimentieren. Wir sind im Rennen die harten Reifen gefahren, ganz anders als die anderen. Daraus haben wir gelernt."

Budgetgrenze: Die Zeit der Updateschlachten ist vorbei

Und genau das - den W13 so, wie er ist, besser zu verstehen - sei im Moment das A und O. Gerade in Zeiten der Budgetdeckelung und steigender Inflation ist es keine kluge Strategie, auf Teufel komm raus Updates in den Windkanal zu schmeißen und abzuwarten, welche davon anschlagen und welche nicht. Die Ressourcen wollen anno 2022 sorgfältig verplant werden.

"Es geht nicht so sehr darum, irgendwelche Teile zu bringen", nickt Wolff. "Es geht darum, genau zu verstehen, wie wir die Performance herausholen können, von der wir glauben, dass sie im Auto steckt. Oder besser gesagt: hoffen - das ist ein besseres Wort. Viel sinnvoller als wahllos Teile zu entwickeln. So sehe ich das."

Seitenkasten-Konzept wird nicht in Zweifel gezogen

Zumal zumindest bisher noch niemand das radikale Grundkonzept mit den praktisch nicht mehr vorhandenen Seitenkästen ernsthaft in Zweifel zieht. Auch Wolff nicht: "Wir haben uns auf dieses Konzept festgelegt, und wir sind der festen Überzeugung, dass wir uns für den richtigen Weg entschieden haben", sagt er.

Surer stimmt zu: "Dieser Seitenkasten muss aerodynamisch ein Vorteil sein. Das ist ja logisch, weil die Luft da einfach besser durchströmen kann. Aber da sie ihr Hüpfen nicht wegbekommen, mussten sie Downforce opfern, und das Auto war dann halt nicht auf dem Niveau, wo es sein könnte."

Hamilton ist mit dem Verlauf des Saisonauftakts im Rahmen seiner Erwartungen zufrieden: "Das Auto war sehr schwierig zu fahren, aber es könnte immer noch schlimmer sein. Ich hoffe, dass wir bis zum nächsten Rennen Verbesserungen finden. Aber es ist ein fundamentales Problem, das, befürchte ich, ein bisschen länger dauern wird."

Wolff ist deswegen unbesorgt - noch. Er hatte von Anfang an betont, dass er von Beginn bis Ende des neuen Regelzyklus Verschiebungen erwartet und es darauf ankommen wird, wer seine Lektionen am besten lernt. "Wenn ich langfristig sage, dann meine ich zehn Jahre", sagt er im Hinblick auf die Weiterentwicklung der technischen Plattform.

"Selbst wenn ich an die gesamte Saison denke: Wir haben bis 2026 stabile Regeln. Da geht es vor allem darum, wer am besten lernt. Darum sehe ich dieses erste Rennen als Test. Wir verstehen jetzt besser, wo wir noch Rückstand haben. So ziemlich in jedem Bereich. Jetzt müssen wir uns dieses verlorene Land Zentimeter für Zentimeter zurückerkämpfen."

Motorsport-Total.com

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