Rallye-News | 17.07.2003
Schattendasein
Co-Piloten haben's nicht immer leicht, medial finden die Beifahrer der Rallye-Piloten wenig Beachtung, ihr Job ist dennoch immens wichtig.
Ein Robert Reid, Timo Rautiainen oder Daniel Elena gelten als verkannte Persönlichkeiten, weil sie grundsätzlich im Erfolgsschatten ihrer erheblich bekannteren Chauffeure Richard Burns, Marcus Grönholm oder Sébastien Loeb.
Dabei sind Beifahrer generell nicht nur einfache Teammitglieder, sondern ebenso Freund, Psychologe, Beichtvater, Manager und Müllabladeplatz für sportlichen Frust. Alle diese elementar wichtigen Jobs erfüllen Copiloten in Personalunion und zudem in relativer Anonymität für ihre hoch geschätzten Lenkrad-Virtuosen.
Kein Wunder, denn nach dem Start zur Sonderprüfung hilft nur noch tiefes Fahrervertrauen in den Beifahrer – und beten. Allerdings mehr ein Vorbeten, denn der Copilot rasselt für Outsider merkwürdige Sprüche aus dem branchenintern als „Gebetbuch“ bezeichneten Streckenaufschrieb herunter: „100 – Rechts über Kuppe voll – Achtung slip – 80 – Rechtseingang für links 3 minus, cut – 50 – Links 2 macht auf, lang, lang.“ Dieses Stakkato hämmert der Co via Gegensprechanlage deutlich in die Piloten-Ohren.Verplappern oder Verhören kann fatal sein.
Gebetbücher werden meist nach dem Allwetter-System 1 bis 5 aufgeschrieben, das sich auf den Kurvenradius und keineswegs auf erzielbare Kurvengeschwindigkeiten bezieht. Die 1 bezeichnet zum Beispiel eine Spitzkehre, die 2 einen rechtwinkligen Abzweig und die 3 eine 75-Grad-Kurve. Die erste flottere „Pistenbiege“ trägt also die Ziffer 4 – leichtes Abbremsen ist angesagt.
Bei der 5 geht der Pilot nur kurz vom Gas. Erst bei Ansage „5 max“ wird voll durchgetreten, wobei Minus- oder Plusangaben zu den Ziffern zusätzliche Differenzierungen erlauben. Für die rund 395 Bestzeit-Kilometer der ADAC Rallye Deutschland 2003 schrieb zum Beispiel Daniel Elena beim offiziellen Abfahren der 22 Wertungsprüfungen akribisch genau rund 400 DIN-A4-Seiten (!) mit weichem Bleistift voll.
Zigtausend Angaben – beim SP-Training erstellt und gecheckt – beten die Beifahrer trotz rasantem Wettbewerbstempo und extremen Drifts seelenruhig runter. „Ohne meine Halskrause könnte ich bei den enorm hohen Seitenkräften meine Augen nicht mehr auf den Aufschrieb fixieren“, erklärt Manfred Hiemer seine Kopfstütze und stützt so unerschütterlich Armin Schwarz.