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Rallye-WM: News

VW-Motorsport-Chef Jost Capito im Interview

Der VW-Motorsport-Chef fasst die ersten 12 Monate zusammen. Jost Capito über den Unterschied zu Ford und die allgemeine Entwicklung.

Der große Erfolg in der Rallye-Weltmeisterschaft kam schneller als erwartet für Volkswagen. Vor einem Jahr trat der neue Motorsport-Direktor Jost Capito seinen Dienst an der Ikarusallee in Hannover an, um das Team in die WRC zu führen. Vieles hat sich geändert. Zeit eine Bilanz zu ziehen. Wie ist es Jost Capito in seinem neuen Job im vergangenen Jahr ergangen? Der Volkswagen-Motorsport-Direktor steht Rede und Antwort.

Frage: "Herr Capito, ein Jahr im Amt - was beschäftigt Sie derzeit am meisten?"

Jost Capito: "Mir kommt es eher vor wie eine Woche. Das Jahr ist so schnell verflogen, weil es sehr interessant war und es extrem viel zu tun gab. Am meisten beschäftigen mich das aktuelle WRC-Programm und viele bürokratische Dinge: Wir haben Prozesse geändert und viele neue Abläufe in Gang gesetzt, um vom Dakar-Engagement auf die WRC umzustellen."

Frage: "Was haben Sie am Team optimiert?"

Capito: "Es ist wichtig, dass das Team motiviert ist. Das macht einen großen Anteil des Erfolges aus. Wir realisieren das unter anderem über eine sehr offene interne Informationspolitik. Die Hierarchien sind durchlässiger geworden. Wenn alle auf dem gleichen Sachstand sind, macht das viele Dinge einfacher. Jeder kennt die Auswirkungen seiner Arbeit auf die Tätigkeitsbereiche der anderen Teammitglieder. Die Mannschaft muss auch dann homogen funktionieren, wenn ich selbst nicht vor Ort sein kann."

Frage: "Was ist jetzt anders als vorher?"

Capito: "Wir sind weg von einem autoritären Führungsstil. Ich habe meine direkten Ansprechpartner und gebe ihnen Kompetenzen, ihre Abteilungen zu führen und Dinge umzusetzen. Dieser Wechsel braucht Zeit, bis die Mitarbeiter sich daran gewöhnen. Es geht nicht nur darum, Kompetenz zu haben, sondern auch Verantwortung zu übernehmen und Autorität zu entwickeln. Im Gegensatz zur Dakar laufen bei der Rallye alle Prozesse parallel, weil es insgesamt 13 WM-Läufe gibt. Man baut ein Auto nicht über ein Jahr auf, sondern muss es konsequent über das gesamte Jahr weiterentwickeln."

Volkswagen mit anderer Philosophie als Ford

Frage: "Was unterscheidet die Arbeitsweise von Volkswagen Motorsport im Vergleich zu Ford?"

Capito: "Zunächst, dass ich immer Volkswagen sagen muss (lacht). Die Philosophie in einem deutschen Unternehmen ist anders, als in einem amerikanischen: Die deutschen Unternehmen sind wesentlich mehr "Engineering-orientiert". In erster Linie zählt das Produkt und dann geht es ums Geschäft. In Amerika ist es in der Regel umgekehrt: Das Produkt entwickelt sich aus dem Geschäft. Beide Wege sind aber gangbar. In einem deutschen Unternehmen, speziell bei uns, haben wir aber wesentlich mehr individuelle Freiheiten, um gesteckte Ziele zu erreichen. Man muss dieses Vertrauen rechtfertigen und ist natürlich auch für das Ergebnis verantwortlich."

Frage: "Was haben Sie zu Beginn Ihrer Tätigkeit als größte Herausforderung gesehen?"

Capito: "Ich kam als Neuling in diese eingespielte Mannschaft und die Frage war: Schaffe ich es, das Team und die ganze Firma hinter mich zu bringen? Das Vertrauen zu gewinnen, war die größte Herausforderung. Erfolgreich zu sein, ohne Leute auszutauschen. Und mit neuen Leuten zusammen zu arbeiten, aus ihnen eine funktionierende Einheit zu formen, ist spannend."

Frage: "Was entwickelte sich im vergangenen Jahr aus Ihrer Sicht besser als erwartet?"

Capito: "Die Ergebnisse in der WRC sind weitaus besser, als wir erwartet haben. Die Entwicklung des Polo R WRC und die Entwicklung des Teams sind schneller vorangeschritten, als ich gedacht habe. Die Fehlerquote bei kritischen Service-Stops in der WRC ist weitaus geringer, als angenommen. Die Mannschaft arbeitet in einem beispielhaften Stil, von dem sich gestandene Teams eine Scheibe abschneiden können. Es sind bislang keine wesentlichen Fehler passiert, die Einfluss auf die Rally-Ergebnisse hatten."

Frage: "Wo sind Sie noch nicht soweit in der Entwicklung bezüglich Ihrer Vorstellungen/Ziele?"

Capito: "Der neue Führungsstil ist noch nicht komplett umgesetzt. Es sind noch nicht alle gewohnt, mit der neuen Verantwortung und der Kompetenz umzugehen. Da müssen wir noch nachschärfen."

Frage: "Der Polo R WRC übertrifft die Erwartungen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg des Autos?"

Capito: "Es gibt zwei Philosophien: Wir mussten das neue Auto nicht im laufenden Wettbewerb erproben und weiterentwickeln, sondern konnten außerhalb der Rallye ein Jahr lang intensiv testen. Das minimiert zwar die Ausfallquote in der ersten 'echten' Saison, verpflichtet aber gleichermaßen, auch aufs Podium zu fahren. Unser Weg war richtig. Glück haben wir mit Sebastien Ogier gehabt, der als Fahrer zum ersten Mal ein Auto entwickelt hat. Dabei standen ihm mit Carlos Sainz und Dieter Depping zwei gestandene Rallye-Asse mit viel Erfahrung und wertvollen Ratschlägen zur Seite."

"Das Trio 'Ogier-Depping-Sainz' hat ein hervorragendes Auto zustande gebracht. Seb hat dabei die Führungsrolle übernommen, was für einen jungen Fahrer bemerkenswert ist. Das rechne ich ihm hoch an. Einen weiteren großen Anteil hat natürlich auch das 'Engineering'. Ein weiterer Erfolgsfaktor hierbei ist die Zusammenarbeit vom 'FX' (Francois Xavier Demaison) und Willy Rampf. Da kommen viele Rallye-Erfahrungen mit Erfahrungen aus der Formel 1 zusammen."

Frage: "Die Zielsetzung des Teams muss nach den ersten fünf WRC-Läufen überdacht werden. Welche Ziele sind nun für die kommenden drei Jahre definiert?"

Capito: "Dieses Jahr ist unser Ziel, bis zum letzten Rennen um den Fahrer-WM-Titel zu kämpfen. Die Ziele für die Jahre 2014 (Rallye Gesamtsiege) und 2015 (Weltmeister-Titel) können wir nun nicht mehr zurückschrauben. Die aktuellen Ergebnisse machen uns mehr Druck für die kommenden zwei Jahre."

Capito sieht großes Potenzial in Andreas Mikkelsen

Frage: "Andreas Mikkelsen hatte einen sehr starken Auftritt in Portugal und eine noch souveränere Leistung in Argentinien. Was erwarten Sie über die gesamte restliche Saison von ihm?"

Capito: "Ich erwarte, dass er seine Lernkurve weiter steigert. Als junger Fahrer hat er die wenigste Erfahrung mit dem Polo. Wir werden seine Rolle von Rallye zu Rallye neu definieren. Als drittes Fahrzeug kann er in unserer Strategie ein entscheidender Faktor sein. Wir erwarten von ihm, bis zum Ende der Saison in der Lage zu sein, anderen Teams Punkte abzunehmen."

Frage: "Hat er Potenzial, in die Klasse von Ogier und Latvala vorzustoßen?"

Capito: "Ja, davon bin ich überzeugt."

Frage: "Die Fahrer-Duos Ogier/Ingrassia und Latvala/Anttila harmonieren nicht nur in den Autos. Auch das Miteinander abseits der Piste scheint zu passen. Welches Geheimnis steckt dahinter?"

Capito: "Im Moment ist es noch relativ einfach. Beide sind unterschiedliche Charaktere. Sie sind Fahrer, die unbedingt gewinnen wollen. Da ist der Teamkollege der erste, den man schlagen will - diese gesunde Teaminterne Konkurrenz ist normal. Die Kunst dabei ist, den individuellen Drang so zu kanalisieren, dass das Team dabei nach vorne gebracht wird und nicht nur die Einzelnen."

Frage: "Wie machen Sie das?"

Capito: "Indem man sie mit einer gewissen Autorität führt. Das man sie immer wieder auf den Boden zurückholt, sie wie Mitarbeiter behandelt und nicht wie Stars. Zusätzlich arbeiten wir eng mit den Co-Piloten zusammen, denn sie haben einen sehr großen Einfluß auf die Fahrer. Sportcamps, bei denen die Besatzungen gemeinsam Zeit verbringen, dienen dazu, sich gegenseitig zu akzeptieren. Dann ist der gegenseitige Respekt etabliert und sie können in der Rallye auch füreinander fahren."

Frage: "Wen sehen Sie aktuell als 'härtesten Gegner' aus fahrerischer Sicht?"

Capito: "Es gibt viele junge Fahrer wie Mads Ostberg, Thierry Neuville oder Jewgeni Nowikow. Sie sind in der Lage, Spitzenergebnisse einzufahren. Auch sie lernen mit jeder Rallye dazu. Mikko Hirvonen und Dani Sordo haben einen relativ schlechten Saisonstart gehabt und sind unter Wert geschlagen worden. Die kommen sicher noch und werden uns das Leben schwer machen."

Volkswagen, Citroen und Ford auf "gleichem Niveau"

Frage: "Der Polo R WRC dominiert aber doch recht deutlich."

Capito: "Alle drei Autos - der Volkswagen, der Citroen und der Ford - sind auf dem relativ gleichen Niveau, können den gleichen Speed fahren. In Portugal wurde das deutlich, als Sordo (Citroen) vor seinem technischen Problem auf dem Weg war, die Gesamtführung zu übernehmen. Das gleiche galt für Ostberg (Ford)."

"Klar ist: Wenn man ein sehr gutes Auto baut, ist man konkurrenzfähig. Es spricht für das WRC-Regelement, dass man mit einem neuen Auto schon in der ersten Saison erfolgreich sein kann. Das sollte vielleicht auch andere Hersteller ermutigen. Was vor allem zählt, ist die Zuverlässigkeit der Autos und ein eingespieltes Team."

Frage: "Die Fans würden jubeln und dem Sport würde es gut tun. Sind Sie der Meinung, dass Citroen seinen Star-Fahrer Sebastien Loeb vielleicht doch noch einmal umstimmen kann, um ein bis zwei Saisons dranzuhängen?"

Capito: "Citroen hat Volkswagen sicherlich unterschätzt. Das ehrt uns schon einmal. Wenn sie nun versuchen, ihre Titelserie der vergangenen neun Jahre fortzusetzen, ist es das einfachste, wenn Sebastien Loeb im Auto sitzt."

Ich gehe davon aus, dass Citroen alles versuchen wird, dass Sebastien Loeb noch so oft wie möglich im Rallye-Auto sitzen wird, um die Chancen auf den Weltmeistertitel so groß wie möglich zu halten. Ich würde es genauso machen. Je öfter Loeb fährt, desto besser ist es für die Rallye-Weltmeisterschaft als Sport, auch wenn es uns das Leben schwerer macht. Denn im ersten Jahr gegen einen Sebastien Loeb zu verlieren, ist keine Schande."

Frage: "Das Team steht für den Erfolg. Wie oft üben Sie Service-Stopps in der Ikarusallee?"

Capito: "Relativ selten. Entscheidend ist, zu wissen, wie lange es dauert, bestimmte Teile zu wechseln. Die Bedingungen in der Rallye sind stets anders. Unsere Mechaniker kennen das Auto in- und auswendig. Die wissen, was zu tun ist und treiben sich selber an. Sie sind genauso competitive wie die Fahrer. Das sieht man bei den Service-Stopps. Wenn sie erfolgreich waren und das Auto wieder topfit auf die Strecke gehen kann, ist das für sie wie ein Rallye-Sieg."

Frage: "Ist dieses Jahr noch ein viertes Auto geplant?"

Capito: "Nein. Und auch für kommendes Jahr ist kein viertes Auto geplant."

Frage: "Vor welcher noch anstehenden Rallye haben sie den größten Respekt?"

Capito: "Respekt haben wir vor jeder Rallye. Griechenland und Sardinien werden für das Material die härtesten WM-Läufe. Vor Finnland hat man immer Respekt, weil diese Rallye so unglaublich schnell ist - bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von 160 km/h über Schotterprüfungen im Wald. Das sind ganz andere Belastungen für ein Auto. Rallyes wie Australien sind extrem wichtig, um Punkte zu sammeln. Man darf keinen Lauf unterschätzen."

Frage: "Was unternimmt Volkswagen Motorsport, um den Rallye-Sport in Deutschland wieder mit Leben zu füllen, die Popularität zu steigern?"

Capito: "Es gibt verschiedene Aktivitäten. Wir versuchen, den Journalisten den Rallye-Sport nahezubringen, indem wir Lehrgänge anbieten. Dort zeigen wir, wie ein Aufschrieb erstellt wird und welche Herausforderungen sich für die Besatzungen in einem WRC-Auto ergeben. Auf der anderen Seite ist Volkswagen ein deutscher Hersteller, der sich einem Top-Sport erfolgreich behauptet. Damit können sich Volkswagen-Kunden und Fans identifizieren. Und mit Sepp Wiegand haben wir einen deutschen Fahrer, den wir zusammen mit Skoda langsam aufbauen."

Frage: "Das würde aber den Einsatz eines vierten Autos bedeuten."

Capito: "Es bleibt abzuwarten, was passiert. In der WRC als Fahrer nach vorne zu kommen, braucht seine Zeit. Wenn man da einen Jungen zu früh reinsetzt, dann wird er innerhalb eines halben Jahres zerrissen, wenn er nicht die Leistung bringt. Da sollte man sich hundertprozentig sicher sein, dass er die Leistung bringen kann."

"Der Druck ist für einen Deutschen in einem Volkswagen bei einem WRC-Lauf natürlich enorm. Ein Fahrer braucht sehr viel Selbstbewusstsein, um eine gute Rallye zu fahren. Da muss er sich hin entwickeln und dann wird er auch eingesetzt. Ob das dann mit einem vierten Auto sein wird oder anders, wird man sehen."

Formel-1-Gerüchte haltlos

Frage: "Die 'ewige alte' Gerüchteküche: Volkswagen in die Formel 1. Was ist dran?"

Capito:"Nichts."

Frage: "Volkswagen ist mit Motorsport-Aktivitäten weltweit vertreten. Wie können Sie die vielen verschiedenen Rennserien von Hannover aus koordinieren?"

Capito: "Es ist eine Frage des Führungsstils. Man kann nicht alles autoritär steuern. Die global verteilten Bereiche arbeiten weitestgehend autark. Wir unterstützen die Aktivitäten in den jeweiligen Ländern und stellen unser Wissen zur Verfügung. Dadurch kommt man zu einer globalen Motorsport-Strategie. Volkswagen bietet seine Autos weltweit an, da liegt der Vorteil auf der Hand. Hierfür sprechen wir mit den Rennteams und auch mit den Behörden vor Ort. Man muss verstehen, was die Behörden wollen und welche Erwartungshaltung es in den jeweiligen Ländern gibt. Wenn wir sehen das ein Engagement sinnvoll und professionell ist, bieten wir Unterstützung und Kooperation."

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