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Toyotas Schummelei 1995 Toyota verwendete am Celica GT-Four ST205 1995 illegale Restriktoren
Motorsport Images

Toyotas Schummelei 1995: So genial, dass selbst der FIA-Boss staunte

Illegaler Turbo-Restriktor am Toyota Celica GT-Four: Bei der Rallye Spanien 1995 fällt einer der ausgeklügeltsten Betrugsversuche der Motorsporthistorie auf

Rund 50 PS mehr, ein unglaublicher Vorsprung bei der Rallye Spanien, Konkurrenten und FIA gleichermaßen verblüfft. Letztlich wurde das Toyota Team Europe doch überführt: Am 25. Oktober 1995 fiel bei der technischen Nachkontrolle der illegale Turbo-Restriktor am Celica GT-Four auf.

Die Schummelei war so genial, dass Max Mosley persönlich und alle Gegner mehr Respekt zollten, als dass sie verärgert gewesen wären. Dennoch: Betrug ist Betrug, und so wurde Toyota hart bestraft. Die Geschichte um den vielleicht genialsten Schummelversuch in der Geschichte des Motorsports.

Hintergrund: Warum die Restriktoren eingeführt wurden

Nach dem Aus der Gruppe-B-Boliden kehrte nach einer hitzigen Saison 1986 erst einmal Ruhe ein. Die anfangs im direkten Vergleich zu ihren Vorgängern ziemlich erbärmlichen Gruppe-A-Autos waren deutlich langsamer und führten zu einem rapiden Popularitätsverlust des Rallyesports, von dem er sich nie wieder erholte.

Ein FISA-Beschluss empfahl einen Richtwert von 300 PS für Spitzen-Rallyefahrzeuge. Doch die technische Entwicklung Ende der 1980er-Jahre war rapide. Das führte dazu, dass ab Anfang der 1990er-Jahre schon wieder Leistungen von 400 PS erzielt wurden.

1989 war zudem ein besonders tödliches Jahr in der WRC. Fünf tote Fahrer/Beifahrer bei Weltmeisterschaftsläufen in einem Jahr waren sogar desaströser als die schlimmsten Gruppe-B-Jahre. Ab 1990 wurden daher Luftmengenbegrenzer für den Turbolader (nicht den Motor) mit zunächst 40 Millimeter Durchmesser eingeführt.

Ab 1992 wurde der Restriktor auf 38 Millimeter reduziert. Das brachte aber auch nicht den gewünschten Effekt. Hinzu kam, dass 1993 die Mindeststückzahl von Homologationsfahrzeugen von 5.000 auf 2.500 abgesenkt wurde, was kompaktere Autos wie den Ford Escort Cosworth, Subaru Impreza und Mitsubishi Lancer ermöglichte, die die großen Limousinen (Sierra, Legacy, Galant) ablösten.

Jedenfalls wurden die Boliden schon wieder zu schnell. Zur Saison 1994 wurde weiter auf 36 Millimeter reduziert. Im Fallout des tödlichen Formel-1-Wochenendes in Imola trat die FIA dann in allen Motorsportarten massiv auf die Bremse. Max Mosley stellte das Thema Sicherheit über alles andere, und das nicht nur in der Formel 1. Und Sicherheit hieß damals: langsamer werden um jeden Preis.

1995 wurde im Zuge der Maßnahmen - unter massiven Fahrer-Protesten - der Luftmengenbegrenzer von 36 auf 34 Millimeter verkleinert. Die 300 PS wurden von der FIA nun ernst genommen wie nie zuvor. Es war eine Philosophie, die bei allen Folge-Reglements beibehalten wurde. Erst zur Saison 2017 sollten wieder stärkere Motoren erlaubt werden.

Hintergrund: Der Toyota Celica GT-Four ST205

Toyota löste 1990 Lancia als dominierende Marke im Rallyesport langsam ab. Carlos Sainz gewann mit dem Ur-Modell des Celica GT-Four (ST165) 1990 den WM-Titel und 1992 mit dem Nachfolgemodell ST185 noch einmal. Als Toyota mit Castrol zusammenging, verließ Sainz Toyota wegen eines Sponsorenkonflikts, da er von Repsol gesponsert wurde.

So stießen die Lancia-Flüchtlinge Juha Kankkunen und Didier Auriol zu Toyota und bildeten dort ein Dreamteam. Kankkunen wurde 1993 Weltmeister, Auriol holte 1994 den verpassten Titel von 1992 nach, den er damals auf unglaubliche Weise verspielt hatte.

"Für seine Zeit war der ST185 das beste Auto, das ich in meiner Karriere je gefahren bin", sagt Kankkunen im Podcast mit Beifahrer-Legende Nicky Grist, mit dem er damals zusammenarbeitete.

Es gab nur ein Problem: Der Celica ST185 wurde schon seit 1993 nicht mehr verkauft. Japanische Automarken lösten Baureihen damals sehr schnell wieder ab. Schon seit 1994 verkaufte Toyota die Nachfolgeversion ST205, charakteristisch mit dem Vier-Augen-Gesicht.

Es war zwar üblich, ältere Modelle zu diesem Zeitpunkt noch einzusetzen, weil erst die 2.500 Homologationsfahrzeuge produziert werden mussten. Reglements, bei denen eine motorsportliche Nutzung schon vor der Produktion der Homologationsautos zum Modellwechsel möglich war, kamen erst in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre auf.

Trotzdem: Der Modellwechsel musste her, zumal das Gruppe-A-Reglement nur noch bis Ende 1996 gültig sein sollte, ab 1997 wurde auf World Rally Cars umgestellt. Außerdem gab es teaminterne Dynamiken, an die Nicky Grist sich erinnert: "Es gab einen Ingenieur, der besessen davon war, die Überlegenheit des ST205 unter Beweis zu stellen. Und sein einziger Weg war am Ende, zu schummeln."

Kankkunen hat eine klare Meinung: "Wenn wir vom ST185 direkt zum Corolla übergegangen wären, wäre es besser gewesen. Der ST185 war immer schneller [als der ST205]. Unter allen Bedingungen." Nick Grist merkt an: "Das war für dich wirklich anstrengend." Kankkunen bestätigt: "Oh ja, das war es."

Der ST205 kam mit einer revolutionären Aufhängung daher, der sogenannten Super-Strut-Suspension - eine Weiterentwicklung der MacPherson-Aufhängung mit zusätzlicher Lenkerführung, um Antriebseinflüsse im frontgetriebenen Basis-Serienmodell zu reduzieren.

In der Serie setzte sich diese Aufhängung wegen des hohen Teileverschleißes nicht durch, im Rallyesport bereitete sie den Fahrern Kopfschmerzen. "Du hast gekurbelt ohne Ende, bevor das Ding überhaupt eingelenkt hat", erinnert sich Grist. Kankkunen bejaht nur: "Ja, genau."

Das zeigte sich an den Resultaten. Nach drei WM-Titeln in Folge stürzte Toyota 1995 ab. Lediglich Didier Auriol gelang als amtierenden Champion ein Sieg bei seiner Heimrallye auf Korsika. Das war für das erfolgsverwöhnte Team viel zu wenig.

Dennoch hielt sich Kankkunen mit konstanten Ergebnissen im WM-Kampf, während die Gegner immer wieder Nuller schrieben, bei nur acht WM-Läufen (Rotationskalender). Der Celica war kein schlechtes Auto, er war nur nicht mehr die Benchmark wie in den Jahren zuvor. So fand sich Toyota im WM-Kampf wieder, musste aber etwas tun. Schließlich wurde das kontroverse Teil bei der Rallye Australien verbaut.

Der legendäre Schummel-Restriktor

Das Prinzip des Restriktors lässt sich kurz beschreiben: Er war von außen absolut legal mit 34 Millimetern Durchmesser, und nur im eingebauten Zustand illegal. Der Luftmengenbegrenzer war allerdings komplett im Turbogehäuse eingeschlossen und somit von außen nicht sichtbar.

Er wurde über drei Schlauchschellen gehalten. Eine dieser Schellen konnte, wenn sie fester gezogen wurde, den kompletten Restriktor um fünf Millimeter nach hinten verschieben. Dadurch öffnete sich ein Bypass-Kanal, durch den weitere Luft in den Kompressor geleitet werden konnte. So erschlich sich Toyota rund 50 zusätzliche PS.

Dieser Kanal ließ sich vom Cockpit aus aktivieren, wie Grist erzählt: "Gerd Dicks [damaliger Motorentechniker bei Toyota] kam zu uns und sagte: 'Fünf Sekunden vor dem Start legt ihr bitte diesen Schalter um.' Wir wussten von gar nichts. Wir sollten einfach nur fahren."

Nachdem die Sache aufgeflogen war, sagte FIA-Präsident Max Mosley: "Das ist die ausgeklügeltste und genialste Apparatur, die ich in 30 Jahren Motorsport je gesehen habe. Und das gilt auch für alle anderen Mitglieder der FIA, die Technischen Kommissare und die technischen Experten."

Das Perfide an dem System: Um den Restriktor auszubauen, mussten alle drei Schlauchschellen gelöst werden, wodurch er automatisch wieder in seine ursprüngliche Position zurückrutschte. Der Mechanismus mit Membranfedern war dermaßen unscheinbar, dass er zunächst gar nicht auffiel und Gegner wie Motorsport-Weltverband gleichermaßen völlig im Dunkeln tappten.

Wie die Sache aufflog

So genial die Ingenieursleistung war, so amateurhaft war die Umsetzung: Da nur einzelne Personen im Team überhaupt über das Teil bescheid wussten und Teammanagement und Fahrer im Dunkeln gelassen wurden, gab es keine Strategie, wie das System eingesetzt werden sollte.

Und so schoss sich Toyota komplett ins Knie, als die Zusatzleistung gleich auf der allerersten Prüfung bei der Rallye Australien 1995 publikumswirksam abgerufen wurde. Es handelte sich um eine Zuschauerprüfung im Langley Park in Perth, deren Start auf einer Hunderte Meter langen Asphalt-Straße lag.

Hier kam der Leistungsüberschuss von fast 20 Prozent voll zum Tragen. Und weil bei einer Superspecial zwei Autos gegeneinander fuhren und die Prüfung auch noch live im Fernsehen übertragen wurde, war das Beschleunigungsvermögen der Toyota Celica GT-Four für jeden sichtbar.

"Der ganze Servicepark hat zugeschaut, als wir davon geschossen sind", sagt Grist. "Hätten wir das auf jedweder anderen Prüfung gemacht, hätte es niemand bemerkt. Aber dadurch ist der Stein ins Rollen gekommen."

Danach ging es auf Schotter, wo Leistung eine geringere Rolle spielte. Kankkunen beendete die Rallye Australien nach Aufhängungsproblemen am vorletzten Tag als Dritter. Bei der anschließenden Überprüfung der Fahrzeuge wurden keine Ungereimtheiten festgestellt.

Als nächstes stand die Rallye Spanien auf dem Programm, eine reine Asphalt-Rallye. Und hier kam der Vorteil voll zum Tragen: Kankkunen fuhr eine Minute Vorsprung an den ersten beiden Tagen heraus, selbst für die 90er-Jahre ein ungeheurer Vorteil. Am letzten Tag hatte er aber einen Unfall wegen einer falschen Pacenote, was den WM-Kampf für ihn beendete.

Während die Öffentlichkeit sich mit der Subaru-Kontroverse um eine Teamorder befasste, war hinter den Kulissen ob Kankkunens Überlegenheit der Teufel los. Wie die FIA dem Trick letztlich auf die Schliche kam, ist bis heute unklar. Die gängigste (und einzig logische) Erklärung ist ein Maulwurf aus dem Toyota-Lager.

Somit wussten zu wenig Leute Bescheid, um den Trick auf den Wertungsprüfungen vernünftig zu kaschieren, aber zu viele, um ihn geheim zu halten.

Die Konsequenzen

Teamchef Ove Andersson und sein Vize Dieter Bulling wurden am 25. Oktober im Anschluss an die Spanien-Rallye zu den Stewards zitiert. Die Enttäuschung über den Kankkunen-Unfall war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verdaut, da bekamen beide ein viel größeres Problem. An Didier Auriols Toyota war die Schummelei, von der beide nichts wussten, festgestellt worden.

Der Franzose wurde deshalb von der Rallye Spanien disqualifiziert. Der Wertungsausschluss wurde anhand von drei Punkten ausgesprochen:

1. Der Restriktor wurde nicht verplombt, sodass er bewegt werden konnte
2. Luft kann nicht nur durch den Luftmengenbegrenzer geleitet werden
3. In seiner weitesten Position überschreitet der Restriktor die vorgegebene Maximallänge von 55 Millimetern

Ove Andersson beschrieb in einem ersten Statement das Teil an Auriols Celica als "Produktionsfehler". Das wahre Ausmaß kam erst in den nächsten Tagen zum Vorschein, alles hinter verschlossenen Türen. Toyota blickte nun ernsthafteren Konsequenzen entgegen, als sich herausstellte, dass es sich nicht um ein fehlerhaftes Teil, sondern einen systematischen Betrug handelte.

Am 3. November 1995 traf sich der FIA-Motorsport-Weltrat zu einer außerordentlichen Versammlung in Paris, um die Sanktion zu beschließen. Das Toyota Team Europe wurde von der Rallye-Weltmeisterschaft 1995 ausgeschlossen und zudem mit einem zwölfmonatigen Bann belegt. Faktisch konnte das Werksteam die Saison 1996 also nicht bestreiten.

Dennoch gelang es Toyota, 1996 über Privatteams, die lokal genannt waren, bei fast jedem WM-Lauf präsent zu sein. Da allerdings wechselnde Fahrer zum Einsatz kamen, war eine Jagd auf den WM-Titel aussichtslos. Auch 1997 kehrte Toyota nicht zum Saisonstart zurück, obwohl der Bann mittlerweile abgelaufen war, weil der Corolla WRC noch nicht fertig entwickelt war.

Das werksseitige Comeback erfolgte erst bei der Rallye Finnland 1997. Ein Jahr später verpasste Carlos Sainz den WM-Titel knapp aufgrund des legendären Ausfalls 400 Meter vor der Ziellinie. Manche sprachen von einem üblen Fall von Karma. Toyota zog sich nach der Saison 1999 wegen des bevorstehenden Formel-1-Einstiegs aus dem Rallyesport zurück.

Die heutigen WRC-Einsätze werden von Toyota Gazoo Racing Finland verantwortet, das auf die von Tommi Mäkinen aufgebaute Struktur zurückgeht. Das Kölner Werksteam existiert als Toyota Gazoo Racing Europe weiter und ist für die Le-Mans-Einsätze des Toyota GR010 Hybrid in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) verantwortlich.

Motorsport-Total.com

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