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Natürliche Evolution

Der Van ist tot, lang lebe das SUV. Renault ist freilich nicht der erste Autohersteller, der sich zugunsten des aktuell so stark nachgefragten Sports Utility Vehicles vom als „fad“ in Verruf geratenen Family-Van abwendet, beweist mit dem neuen Espace aber gleichzeitig, dass das nicht in jedem Fall etwas Schlechtes sein muss.

Dafür sei erst einmal der Vergleich zum Vorgänger – also einem Van – bemüht. Obgleich optisch nämlich durchaus wuchtig, wurde der Espace beim Bauformwechsel tatsächlich um 14 Zentimeter kürzer als sein Vorgänger und misst nun zumindest ein bisserl Parkplatzsuche-freundlichere 4,72 Meter. Der Fahrgastraum soll zudem mit 2,48 Meter Gesamtlänge auch üppiger ausfallen als zuvor, obgleich nur ums österreichisch formulierte "Euzerl". Zudem wurde er auch stolze 32 Millimeter niedriger, was sich im Innenraum im direkten Vergleich zwar durchaus merken lässt, aber immer noch für angenehme Kopffreiheit in allen drei Sitzreihen gut ist. Die Kniefreiheit in Reihe Zwei ist wiederum fürstlich, in Reihe Drei bei Standardanordnung aber doch mit nur zwölf Zentimetern arg knapp. Zum Glück bietet die 2:1 geteilte Rückbank aber nicht nur die Möglichkeit, ihre Lehnen umzuklappen oder um bis zu 31 Grad zu neigen, sondern auch sie in mehreren Stufen um bis zu 220 mm längszuverschieben. Sofern die Passagiere in Reihe Zwei und Drei also halbwegs miteinander auskommen, sollte sich ein guter Kompromiss finden lassen, dass alle halbwegs bequem sitzen.

Obgleich wir prinzipiell zu einer Aufteilung „Kinder ganz hinten, Erwachsene davor“ raten würden. Zumindest, sofern besagte Knirpse bereits mindestens im Kindergartenalter sind. Isofix-Positionen gibt es ganz hinten nämlich nicht. Nur zwei auf der Rückbank und eine am Beifahrersitz. Apropos: Ja, vermutlich auch zur stärkeren, internen Abgrenzung zum optisch und technisch eng verwandten Renault Austral rollte der neue Espace serienmäßig als Siebensitzer vom Band. Erst optional kann die dritte Sitzreihe weggelassen werden - ohne Aufpreis, versteht sich.

Das bringt uns zum Stauraum. Sind die beiden Sitze in Reihe Drei ausgefahren, stehen dahinter noch 159 Liter Stauraum zur Verfügung. Reicht fürs Nötigste, beim Familienurlaub muss dann aber freilich eine Dachbox her (eine Dachreling ist immer Standard). Als 5-Sitzer und mit ganz nach vorn geschobener Rückbank stehen sodann 777 Liter zur Verfügung. Ein guter Wert, der sich durch Umlegen der Fondlehne sodann aufs Maximum des neuen Espace von 1.818 Liter hochzwirbeln lässt. Es sei aber schon angemerkt, dass alle halbwegs vergleichbar großen Vans hier mit Werten mit einer 2 vor dem Tausenderpunkt aufwarten konnten. Und nicht nur die. Realistischerweise muss sich der neue Espace nämlich mit anderen Konkurrenten messen. Etwa den circa gleich großen SUV mit ebenfalls sieben Sitzen vom Schlage eines Skoda Kodiaq. Der ganz konkret übertrumpft den Franzosen recht mühelos in Sachen Kofferraumvolumen. Andere Marktbegleiter wie der Hyundai Santa Fe oder Nissan X-Trail bieten hingegen bei ähnlichen Außenmaßen weniger Platz. Alles in allem braucht sich der Franzose also nicht zu verstecken.

Alle erwähnten Alternativen haben dem Espace aber gemeinsam voraus, dass sie mehr Auswahl bei den Antrieben bieten. Wie schon beim kleinen Bruder Austral setzt Renault nämlich auch hier einzig und allein auf Vorderradantrieb, dafür aber in Kombination mit einem vermutlich ohnehin alle Eventualitäten abdeckenden, cleveren Vollhybrid-Antrieb. Dieser schöpft aus drei Zylindern und zwei E-Maschinen insgesamt 199 PS, die von einem technisch faszinierenden Getriebe ohne Kupplung, dafür aber mit zwei Fahrstufen für den E-Motor und vier Stufen für den Verbrenner ausstaffiert ist; vulgo Multi-Mode-Getriebe. Auf dem Papier sorgt diese Kombi für, in Relation zu Leistung und Fahrzeugmaßen, erstklassige Verbrauchswerte: 4,7 L auf 100 km im kombinierten WLTP-Zyklus, während die Mischung aus auf Wunsch tatsächlich sehr starker Rekuperations-Leistung und 1,7 kWh-Akku immerhin dazu taugt, im Stadtgetümmel den Großteil der Zeit rein elektrisch unterwegs zu sein.

Eine Frage der Technik
Auf der Straße wiederum fällt das System, das man übrigens auch schon aus dem kleinen Bruder Austral oder auch dem Megane Hybrid kennt, durch eine „interessante“ Charakteristik auf, die stellenweise an stufenlose Getriebe erinnert (was in diesem Fall als Kompliment gemeint ist), dann und wann aber doch recht ruppig daherkommt. Will heißen: Die meisten der zwangsweise passierenden Schaltvorgänger spürt man nicht, manchmal aber kommt das System etwas aus dem Tritt und führt zu kuren Ansätzen von „Head-Bangen“ bei allen Insassen.

Doch Fahreindrücke entstehen freilich nicht durch den Antrieb allein. Gehen wir den Rest also flux durch. Fahrwerk? Das Setup ist prinzipiell komfortorientiert und mit Fokus auf Sicherheit ausgelegt. Heißt: Obgleich kurze Stöße durchaus durchkommen (was sicher auch an den großen Felgen der Top-Trims liegt), bügelt der Franzose die meisten Unebenheiten ordentlich glatt und gibt sich souverän sowie in Kurven tendenziell untersteuernd, was die Elektronik aber bestens im Griff hat. Variable Dämpfer gibt’s keine. Lenkung? Keine Ausgeburt an Feingefühl, dafür gefühlt recht direkt, zumindest wenn die im Vergleich zu früheren Auftritten aufgepeppte Allradlenkung verbaut ist (Serie bei den zwei höheren der drei verfügbaren Ausstattungslinien – dazu später mehr), die jetzt maximal fünf statt 3,5 Grad Einschlagwinkel der Hinterräder erlaubt und den Wendekreis des Familienschiffs von 11,6 auf 10,4 Meter reduziert. Das ist wohlgemerkt Clio-Niveau. So verlieren nicht nur Innenstädte, sondern vor allem auch enge Garageneinfahrten etwas an Schrecken. Bremsen? Kommen selten zum Einsatz, da die über die Schaltpaddles justierbare, bereits erwähnte Rekuperation bei vorausschauender Fahrweise tatsächlich viel Verzögerungsarbeit übernehmen kann. Der Übergang zur phsykalischen Verzögerung gelingt sodann aber ebenso unmerklich. Zur Standfestigkeit hingegen können wir an der Stelle nichts sagen. Bei unseren Testfahrten in den Bergen rund um Porto fielen sie nie negativ auf. Und mehr werden sie wohl auch nie leisten müssen. Man kann wohl immerhin schwer davon ausgehen, dass der Wagen auch im sportlichen Espirt Alpine-Trim nie auf eine Rennstrecke losgelassen wird.

Apropos „Esprit Alpine“
Drei Ausstattungslinien werden insgesamt angeboten. Techno, Iconic und Espirt Alpine. Dabei ist schon die ab 44.390 Euro startende Basis-Version durchaus appetitlich ausgestattet und bringt bereits eine E-Heckklappe, LED-Scheinwerfer und 19-Zöller mit. Auch das auf den Innenraumbildern zu sehende Open Link R-Infotainmentsystem, bestehend aus einem 12,3 Zoll großen, digitalen Tacho und einem hochkant stehenden 12“-Touchscreen mit Google-Integration ist hier bereits Serie.

Darüber rangieren dann quasi parallel „Esprit Alpine“ und „Iconic“. „Quasi“ deswegen, weil ihr Fokus sehr unterschiedlich ist, rein nach dem Preis gesprochen das sportliche Alpine-Paket aber mit 47.690,- Euro Startpreis noch knapp unter dem um 49.990 Euro startenden Iconic-Trim rangiert, das sich ganz auf Luxus konzentriert. Während beim Alpine-Paket also ein Kühlergrill mit Rautenmuster außen und viel Alcantara und Zier-Genähe in den typischen Alpine-Farben innen einen auf sportlich macht, warten im Iconic Einlagen aus Eschenholz, eine gesteppte Lederpolsterung, elektrisch verstellbare Sitze und 360°-Kameras. Nicht, dass man vieles davon nicht auch nachträglich in Esprit Alpine oder auch Techno hinein-konfigurieren könnte. Doch verrennen wir uns nicht in Details, sondern weisen lieber noch auf ein spezielles (und immer extra zu zahlendes) Extra hin, auf das Renault besonders stolz ist: Das Panorama-Glasdach (leider nicht öffenbar) mit stolzen 1,33 x 0,84 Metern Fläche, was es zu einem der größten am Markt macht. Der Haken: ein entsprechend dimensioniertes Sonnen-Rollo war anscheinend nicht aufzutreiben. So muss man sich, bei allem, durchaus willkommenem Licht im Innenraum, einfach drauf verlassen, dass die UV-Beschichtung auf der Innenseite auch im heißen Sommer die Hitze tatsächlich ausreichend reflektieren kann und der Innenraum nicht zum Backofen wird.

Quality of Life
Egal für welche Ausstattung man sich entscheidet, der Qualitätseindruck im Innenraum ist immer ausgezeichnet. Kaum ein Hersteller hat hier in den letzten Jahren so gravierende Fortschritte gemacht wie Renault. Materialien, Verarbeitung, Geräuschkulisse, Ausstattung, Technologie … bei ihrem Vorhaben, sich Markt-aufwärts zu bewegen leisten sich die Franzosen in keiner einzigen Hinsicht Schnitzer. Vor allem in der Iconic-Version, in der wir die meiste Zeit verbringen durften, kommt tatsächliches Oberklasse-Feeling auf. Sowohl haptisch und optisch, aber auch in Sachen Nutzen. Ablagen etwa sind nicht nur zahlreich vorhanden, sondern auch üppig dimensioniert. Auch das zunehmend wichtige Thema (gerade für Familienausflüge) Stromversorgung externer Geräte wird adäquat abgedeckt: kabelloses Laden vorn, zwei USB-C-Anschlüssen in jeder Sitzreihe und zusätzlich noch zwei 12V-Steckdosen.

Technologisch wiederum hinterließen die insgesamt 32 Fahrassistenzsysteme, die hier mittels Active Driver Assist auch Level 2-teilautonomes Fahren bieten, ebenso einen soliden Eindruck wie das schnell reagierende und natürlich OTA-Update-fähige Infotainment-System, mit dem erstere auch eng zusammenarbeiten. Heißt: Der Espace nutzt auch Kartendaten, um etwa auf Landstraßen ohne Fahrbahnmarkierungen ebenfalls arbeiten zu können. Auch der Antrieb selbst übrigens nutzt die von Google gelieferten und folgerichtig immer aktuellen Straßendaten für seine „Entscheidungen, wie sich E-Motor und Verbrenner die Arbeit möglichst effizient aufteilen können. Immer auch unter Berücksichtigung des aktuell eingestellten Fahrmodus, versteht sich. Vier davon gibt es: Eco, Sport, Comfort und Perso. Diese beeinflussen sodann aber nicht nur Antrieb und Lenkung, sondern auch die Ambientebeleuchtung, die in insgesamt 48 unterschiedlichen Farben leuchten kann.

Der Bestellstart für den neuen Espace ist bereits erfolgt, die ersten Kundenauslieferungen werden für den Spätsommer erwartet. Natürlich haben wir auch nachgefragt, ob denn noch weitere Varianten geplant sind; etwa eine mit Allradantrieb oder anderen Motorisierungen. Die Antwort: Vorerst nicht. Man möchte sich auf diesen Vollhybrid-Antrieb konzentrieren.

FAZIT
Renault betonte während der Präsentation des neuen Espace oft die Van-Vergangenheit des starken Markennamens. Verständlich; Am Ende erweisen sich die Franzosen dabei aber trotzdem und ganz unnötig einen Bärendienst. Immerhin limitiert man damit bis zu einem gewissen Grad selbst die Unterhaltung auf Vergleiche der Platzverhältnisse. Und hier zieht der neue doch immer den kürzeren. Und das sowohl im Vergleich zu seinen eigenen Vorgängern, als auch zu den zugegeben rar gewordenen Alternativen aus dem Gehege der Vans oder Hochdachkombis und zu so manchen tatsächlich vergleichbaren SUV-Kontrahenten gleichermaßen. Doch das ist am Ende relativ egal. Denn das für sich allein stehende Gesamtpaket "neuer Espace" ist durchaus gelungen. Für die Fahrzeugklasse "SUV im D-Segment" ist das Platzangebot gut. Gleichzeitig ist der Wagen technologisch auf der Höhe der Zeit (Stichworte Allradlenkung, Vollhybrid, etc.) und sieht mit Verlaub einfach toll aus; in manchen Augen wohl sogar noch ein Stück stimmiger als der im Vergleich gestaucht wirkende Austral, mit dem er sich quasi 1:1 das erstklassig verarbeitete und gestaltete Interieur teilt, das eines der besten Infotainment-Systeme beheimatet, das es aktuell überhaupt in einem Neuwagen zu kaufen gibt (danke Google). Und das alles zu einem, vielleicht "für einen Renault" selbstbewussten, aber angesichts des Gebotenen mehr als fairen Tarif. Am Ende ist der neue Espace also eindeutig kein "klassisch würdiger Nachfolger" für seine Ahnen, aber genau der richtige für die Zeit, in die er hineingeboren wurde.

Technische Daten:
Renault Espace E-Tech Full Hybrid 200
Hubraum | Zylinder:
1.199 cm3 | 3
Leistung Verbrenner 131 PS (96 kW)
Drehmoment Verbrenner 205 Nm bei 1.750/min
Leistung E-Motor 68 PS (50 kW) (+ Generator mit 25 PS / 18 kW)
Drehmoment E-Motor 205 Nm
System-Leistung 199 PS (146 kW)
0–100 km/h | Vmax 8,8 s | 175 km/h
Getriebe | Antrieb Aut. | Vorderrad
Ø-Verbrauch | CO2 4,7 l S | 105 g/km (EU6d)
Kofferraum | Zuladung 5-Sitzer: 581-1.818 / 7-Sitzer: 159-1.714 L | 468-662 kg
Basispreis | NoVA 44.390 € (inkl.) | 1 %

Das gefällt uns: Design und Qualitätseindruck rundum
Das vermissen wir: Allrad und weitere Antriebsvarianten
Die Alternativen: Skoda Kodiaq, VW Tiguan Allspace, Hyundai Santa Fe, etc.

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