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Reise unter Strom

E-Mobilität kämpft mit geringer Reichweite und dünner Lade-Infrastruktur. Wirklich? Wir überprüfen es anhand einer 485-Kilometer-Fahrt im BMW i3.

mid/Mst

Das Ziel ist klar definiert: Am eigenen Leib erfahren, wie sich ein Elektroauto im Alltag anfühlt. Nicht nur eine definierte Strecke bei einer Pressepräsentation eines Herstellers fahren, die innerhalb der Reichweite liegt. Nein, es soll ein bisschen komplizierter werden. Eine Challenge sozusagen.

So viel vorab: Die Tour wird eine Challenge, und zwar manchmal eine mit erhöhtem Frustrationspotenzial. Das Ziel ist in den Niederlanden, Koudekerke. Die Niederlande sind deshalb das favorisierte Elektroauto-Reiseland, weil dort die Lade-Infrastruktur, anders als in Österreich oder Deutschland, recht gut ist.

Das stimmt, wie sich im Selbstversuch zeigen wird: Selbst in kleinen Städten sind an vielen öffentlichen Parkplätzen Ladesäulen installiert, an denen man, sofern die Säule frei ist, während des Einkaufsbummels Strom tanken kann - zumindest ein paar kW. Denn es sind in der Regel keine Schnellladesäulen, die die Ladung des Akkus innerhalb von zirka 45 Minuten von Null auf 100 befördern, sondern Standard-Ladesäulen, an denen das vollständige Laden je nach Leistung rund acht Stunden dauert.

Vom Startpunkt Frankfurt aus sind 485 Kilometer zurückzulegen. Als Testwagen hat BMW einen i3 bereitgestellt. An Bord ist ein Akku mit 94 Amperestunden (Ah) Speicherdichte. Der i3 benötigt mit seinem 125 kW/170 PS starken E-Motor 7,3 Sekunden auf 100 km/h, sein Normverbrauch liegt bei 12,6 kWh pro 100 Kilometer. Die Reichweite beträgt auf dem Papier 300 Kilometer, realistisch sind es bis zu 220 Kilometer.

Aber nur mit Einschränkungen, im "Eco Pro Plus"-Modus. Das bedeutet: Keine Klimaanlage, Tempo 90 als Höchstgeschwindigkeit. Fahren wie in den 1970ern, nur mit Kopfstütze. Am Komfort des i3 gibt es im Übrigen überhaupt nichts auszusetzen. Das Fahrwerk ist fein abgestimmt, schluckt Bodenunebenheiten problemlos. Die Lenkung ist nicht zu weich. Die Sitze sind bequem, nur der Seitenhalt könnte ein bisschen besser sein.

Das Platzangebot (Kofferraum: 260 bis 1.100 Liter) ist für ein Auto mit Kleinwagen-Maßen (4 Meter lang, 1,78 Meter breit, 1,58 Meter hoch) völlig in Ordnung. Materialien und Verarbeitung sind top. Und BMW bringt ungewöhnliche Materialien zum Einsatz, die man so aus Autos nicht kennt.

Insbesondere das mit Eukalyptus-Holz verkleidete Armaturenbrett ist ein echter Hingucker. Man hat sofort das Gefühl, in einem Auto zu sitzen, bei dem Nachhaltigkeit und Leichtbau groß geschrieben werden, ohne den Eindruck zu bekommen, dass im Waldkindergarten Bastelstunde war.

Ein tolles Reiseauto also, dieser i3 - wäre da nicht eine Kleinigkeit: das Laden. Mit einem Elektroauto auf große Fahrt zu gehen, bedeutet, sich vorher mit der Materie auseinander zu setzen. Ins Auto springen und spontan irgendwohin fahren, ist nicht drin. Die Strecke muss geplant werden, Ladesäulen vorab gesucht und am besten auch Ausweichmöglichkeiten in der Nähe der vorgesehenen Route gecheckt werden.

Das lässt sich mithilfe des Navis machen, allerdings nicht intuitiv. Die Möglichkeit, einen Filter zu setzen, so dass nur Schnell-Ladesäulen des BMW-Partners ChargeNow angezeigt werden, ist in einem Untermenü versteckt. Das ist mühsam, stellt sich diese Funktion während der Fahrt doch als "überlebenswichtig" dar.

Den Fokus muss man deshalb auf die Partner-Säulen richten, weil - das ist das große Manko an der Ladeinfrastruktur - andere Ladesäulenbetreiber andere Zahlsysteme nutzen. Der E-Auto-Fahrer ist also auf Ladesäulen angewiesen, die zum Partnernetz gehören, bei BMW zu ChargeNow. Oder Säulen finden, an denen kostenfreies Laden möglich ist.

Das stellt sich während des Tests in Deutschland als äußerst unkompliziert heraus. Entlang der A3 finden sich mehrere Raststätten mit kostenfreien Schnellladesäulen. Während der Frühstückspause an der Raststätte Fernthal nach 132,6 Kilometern kann der i3 Strom tanken. Nach 40 Minuten sind Magen und Akku voll, weiter geht's Richtung niederländische Grenze.

Doch nach dem Grenzübertritt gehen die Probleme überraschenderweise los. Die ausgeguckte Schnellladesäule in Urmond, von Fernthal aus sind das 159 Kilometer, akzeptiert die BMW-ChargeNow-Karte nicht - die hätte für die Niederlande freigeschaltet sein müssen. Der freundliche BMW-Händler in rund 25 Kilometer Entfernung hilft mit seiner Karte aus.

Die nächste Strom-Tanke ist um die Ecke, aber leider defekt. Also 25 Kilometer zurück zum Ausgangspunkt, der Akkustand liegt inzwischen bei einer Restreichweite von neun Kilometern. Säule frei, Glück gehabt, der Angstschweiß trocknet, der Akku lädt. Zeitverlust, nachdem der i3 wieder voll im Saft steht: knapp drei Stunden.

Die letzte Etappe bis Koudekerke läuft problemlos, allerdings muss zehn Kilometer vor dem Ziel noch mal ein Ladestopp her, damit das Auto für die Tour am nächsten Tag nahezu vollgeladen vor der Haustür steht. Gesamtzeit für die 485 Kilometer lange Strecke: 13,5 Stunden, inklusive dreimal Laden, was rund 2 Stunden 15 Minuten gedauert hat.

Dazu kommt das Schneckentempo auf der Autobahn, um Akku zu sparen und die Umwege und Wartezeiten wegen der Probleme mit der Ladekarte. Entspanntes Reisen sieht anders aus. Der problemlose und stressfreie Rückweg war nach immer noch beachtlichen achteinhalb Stunden geschafft - hier hat sich vor allem die Routine mit dem Auto bemerkbar gemacht. Zeigt der Ladestand 50 Kilometer Rest an, kann man sich darauf verlassen, sofern man die Regeln bezüglich V-max und Klimaanlage einhält.

Der Selbstversuch hat gezeigt: Auch Langstrecken sind machbar, kosten aber derzeit noch Nerven. Doppelt so viel Reichweite und ein vereinheitlichtes System zur Nutzung der Ladesäulen sind unumgänglich, damit E-Autos alltags- und wirklich langstreckentauglich sind. Und auch die Ladezeiten sind zu lang - denn rund 45 Minuten je Ladestopp mit dem i3 sind der Idealfall - vorausgesetzt die Säule ist nicht belegt. Es gehört also auch ein bisschen Glück dazu. Ebenfalls eine E-Auto-Hürde ist der hohe Anschaffungspreis. Der i3 kostet mit dem getesteten 94 Ah-Akku mindestens 38.400 Euro (Deutschland: 39.450 Euro).

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