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Erinnerungen an Le Mans

Helmut Zwickl wirft in seiner Kolumne einen Blick auf das 24-Stunden-Rennen von Le Mans in den 60er Jahren, 1965 gewann ein gewisser Jochen Rindt...

von Helmut Zwickl

1965 fuhren wir das erste Mal nach Le Mans: Alois Rottensteiner, der die ersten Sprossen einer aussergewöhnlichen Karriere als Racing-Fotograph betrat, und ich, freier Motorsport-Mitarbeiter beim Kurier.

Die bewilligten Spesen deckten nicht einmal die Spritkosten für unseren Ford Taunus 12M. Wir nahmen uns einen ganzen Rucksack Schmalzfleisch-Konserven aus Wien mit, schliefen im Auto und waren froh, dass wir nach stundenlangem, demütigem Warten, eine Pressekarte ausfassen durften.

Jochen Rindt fuhr plötzlich auch mit, was gar nicht geplant war. Für einen Einsatz im North American Racing-Team hatte man ihn nach Le Mans geholt. Sein Co-Pilot in einem Ferrari LM war Masten Gregory, ein bebrillter Ami, der wie ein College-Student aussah, und viel mehr Rennerfahrung als Rindt besaß.

Rindt: "Um 22 Uhr ist die Kiste hin und wir können schlafen gehen...

Jochen hatte wenig Lust, das 24 Stunden Rennen «auszufahren», er sagte zu Masten Gregory «wir hauen rein, wie bei einem Grand Prix, um 22 Uhr ist die Kiste hin und wir können schlafen gehen...»

Aber «hin» waren die Werks-Ferrari, und nicht der LM des North American Racing-Team. Nach Mitternacht wurden die Werks-Ferrari von einem nie zuvor erlebten Debakel mit den vorderen Scheibenbremsen heimgesucht. Bei einem neuen, ventilierten Typ, traten Materialrisse auf.

Ferraris Chefingenieur Mauro Forghieri tobte durch die Nacht, als ein Wagen nach dem anderen zum Bremsscheiben-Wechsel an die Box kam. Irgendwann ging Ferrari der Vorrat an Bremsscheiben aus, worauf Forghieri die Scheiben aus den privaten Straßen-Ferrari ausbauen liess, die im Fahrerlager herumstanden.

Mit dem Debakel der Werks-Ferrari wurden Rindt/Gregory systematisch an die Spitze gespült, ausserdem fuhren sie tatsächlich im Grand Prix-Stil.

Nix war mit Schlafengehen. Sonntag Nachmittag standen sie als Sieger am Podest. Ich wartete eine Stunde auf ein Telefongespräch zum Kurier.

Schmalzfleisch-Konserven & Zeltromantik

Im Jahr drauf kamen wir mit einem Zelt nach Le Mans und sparten auf dem Campingplatz Hotelkosten.

Wie verpflegten uns wieder mit Schmalzfleisch-Konserven und französischem Stangenbrot, und stellten uns nachts bei der Feldküche von Ford an, die im Fahrerlager aufkochte. Mit unseren Goodyear Racing-Jacken fielen wir in der Schlange nicht weiter auf.

Der Autokonzern hatte noch mehr Resourcen für das Unternehmen «Le Mans-Sieg» freigemacht, nachdem der Plan Ferrari aufzukaufen, im Jahre 1963 fehlgeschlagen war. Ford zahlte wahnsinnig viel Lehrgeld, aber 1966 zogen Chris Amon/Bruce McLaren für die Amis den Le Mans Sieg im dritten Anlauf an Land.

9 Millionen Dollar hatte das Unternehmen bisher dem US-Giganten gekostet, eine Summe, die nicht so weit von jener Summe weg lag, die man 1963 Enzo Ferrari geboten hatte. Doch 10 Millionen Dollar waren Ferrari zu wenig, und die 18 Millionen, die er anfänglich forderte, waren Ford zuviel.

1967 wurden aus Los Angeles und Charlotte nicht weniger als sieben Prototypen nach Paris geflogen. Fords Luftbrücke für Le Mans bestand aus 53 Tonnen Ersatzteile und 270 Menschen.

Mario Andretti hatte uns sofort begeistert

Dan Gurney war da und der sagenhafte A.J.Foyt, weiters Bruce McLaren, Mark Donohue, Lloyd Ruby, Dennis Hulme, Roger McCluskey, und wir lernten Mario Andretti kennen.

Nur zögernd näherten wir uns dem American-Hero, doch der war völlig normal, nicht abgehoben, nicht unnahbar und sehr freundlich und er hat sogar mit uns geredet. Wir waren sofort von ihm begeistert.

Ford hatte sich in einer von Neonlicht überfluteten Peugeot-Garage mit all seinen Ersatzteil-und Werkszeugkisten einquartiert. Man hatte Aircraft-Technologie an Bord, Gummitanks aus Kampf-Hubschraubern und spezielle Kunststoffe in den Rumpfschalen. Beim Vortraining im April war in einem der Prototypen ein 70.000 Dollar teurer Computer zur Datenaufzeichnung eingebaut.

Das Ford-Team hatte eine eigene Küche in der Garage, überall standen Kaffee-und Cola-Automaten, man arbeitete in Tag– und Nachtschichten, man lebte wie auf einem Flugzeugträger.

Ferrari hatte sich mit seinen herrlichen P4 Prototypen, denen 3 Liter Hubraum auf die Ford fehlten, wie immer in einem alten Bauerngehöft verschanzt, drinnen war es dunkel und es roch nach Stallmist. Das Ganze sah aus wie ein Geheimversteck der Mafia. Chaparral war da, mit seinen utopischen Heckflügel-Boliden.

Und die 7-Liter Ford Mark IV Prototypen liefen 343 km/h Spitze auf der Hunaudieres-Geraden, die hubraumschwachen Ferrari kamen da nicht mehr mit, sie waren um 36 km/h langsamer. Der Siffert/Herrmann Porsche erreichte hingegen sensationelle 295 km/h Topspeed.

Im Morgengrauen passierte einem Ford-Mechaniker am Andretti/Bianchi Wagen ein verhängnisvoller Fehler, er steckte einen Bremsklotz verkehrt in die Zange. Als Andretti die erste Vollbremsung
ausführte, schleuderte der Wagen gegen einen Erdwall. Im nächsten Moment kamen zwei weitere Ford-Piloten und knallten in die Andretti-Straßensperre.

Gegen 9 Uhr früh war die 7-Wagen-Phalanx von Ford auf zwei Autos zusammengeschrumpft. Um 16 Uhr war alles vorüber: mit Gurney/Foyt gewannen zwei Amerikaner auf einem amerikanischen Wagen mit einem Schnitt von 218 km/h.

Unvergesslich: Die Nächte von Le Mans

Die Nächte von Le Mans bleiben unvergesslich. Wenn Männer und Frauen in dicken Jacken bei Taschenlampenbeleuchtung Rundentabellen führen und gleichzeitig Dutzende Stoppuhren bedienen.

Wenn vor Mitternacht bereits das große Drama ausbricht, wenn Motoren rauchen, Lichtmaschinen abbrennen, Keilriemen und Radträger reissen, die Getriebe immer mehr Gänge verlieren, Türen und Motorhauben sich aufblähen und immer wieder mit Klebebändern bandagiert werden müssen, damit sie nicht davonfliegen.

Wenn der Regen kommt, und die Fahrer mit glasigen Augen aus dem Cockpit steigen um abgelöst zu werden, wenn sie von brennenden Wagen auf der Mulsanne-Geraden berichten, und von Nebelfetzen in Maison Blanche, wenn die Motoren sich vom Auspuff trennen, die Leistung immer weniger, und der Ölverbrauch immer größer wird, wenn Mechaniker beim Bremsenwechsel in die Glut greifen, wenn der Morgen nie kommen will, und es stiller wird auf der Piste, aber eine halbe Million Menschen im Vergnügungs-Park kein Auge zumacht: dann war man in Le Mans.

Gegen Le Mans ist das Münchner-Oktober-Fest eine intime Gartenparty. Als Mario Andretti vor ein paar Jahren bei der Ennstal-Classic war, haben wir über Le Mans geplaudert und Mario offenbarte: «Ich wollte immer Le Mans gewinnen, aber in neun Anläufen ist es mir nicht gelungen...»

Autor Helmut Zwickl ist Veranstalter der Ennstal-Classic, alle Infos dazu finden Sie unter www.ennstal-classic.at

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