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Über Paydriver & Rookie-Abwurfmaschine

Der zweite Teil des motorline.cc-Talks mit Gerald Enzinger dreht sich um die Probleme der F1-Rookies, Mathias Lauda und Christian Klien.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Sportwoche, G. Enzinger privat

Im ersten Teil unseres Gesprächs für die motorline.cc-Serie "F1-Backstage - Österreichs Formel 1-Reporter" [In der Navigation rechts unter "Gerald Enzinger, teil 1" zu finden, d. Red.] ging es um den von Gerald Enzinger (Sportwoche, Sportmagazin) definierten Begriff "Austro-Komplex" - also um die Tatsache, dass die Österreicher in der Formel 1 an den Spitzenleistungen der erfolgreichen Vorgänger Jochen Rindt und Niki Lauda gemessen werden. Und um die Probleme des Patrick Friesacher...

Der zweite Teil des Gesprächs dreht sich rund um jene Probleme, mit welchen die Nachwuchspiloten in diesen Tagen zu kämpfen haben. Dabei ist auch Red Bull ein Thema - und natürlich auch Christian Klien und Mathias Lauda, der sein Glück in der GP2 versucht.

Bleiben wir beim Austro-Komplex. Ist das den österreichischen Piloten wie Alex Wurz auch bewusst? Dass man hier doch an den Spitzenleistungen eines Lauda oder Rindt misst?

Gerald Enzinger: Das wird dem Wurz auch schon bewusst gewesen sein. Es ist ihnen bewusst und sie leiden auch darunter. Andererseits ist das ein normales Phänomen, das in jedem Land auftritt. Es ist im Tennis in Österreich genauso, weil wenn der Herr Melzer Siebenter der Weltrangliste sein würde, dann würde er immer noch an Thomas Muster, der Erster gewesen ist, gemessen werden. Der hat genau das gleiche Problem wie es die Herren Klien oder Friesacher haben.

Das ist in Deutschland noch viel schlimmer - der Maßstab Michael Schumacher ist ja nahezu unerreichbar.

Gerald Enzinger: Das wird in Deutschland nicht anders sein. Man hat es ja jetzt schon gesehen - mit den Leuten, die aus der gleichen Generation wie der Michael Schumacher kommen. Dass nämlich ein Heinz Harald Frentzen und ein Ralf Schumacher genauso wenig ernst genommen werden. Wenn der Frentzen zehn Jahre früher gewesen wäre, wäre er ein Superstar in Deutschland gewesen.

Ralf Schumacher ja auch?

Gerald Enzinger: Ja natürlich. Von den Ergebnissen her schon.

Jetzt tut er sich ja ein bisschen schwer bei Toyota...

Gerald Enzinger: Ich habe das ehrlich gesagt erwartet, weil ich den Trulli für sehr unterschätzt halte. Trulli ist ein sehr guter Qualifyer und die Formel 1 entwickelt sich ja leider immer mehr dorthin, dass das Qualifying das wahre Rennen ist bzw. im Qualifying das Rennen entschieden wird. Es war jedenfalls zu befürchten, dass der Ralf schwer untergeht.

Es ist heuer überhaupt das Phänomen, dass es selten so klare Teamduelle gegeben hat wie in diesem Jahr. Was, so glaube ich, damit zu tun hat, dass die Trainings-Form, die Art des Trainings, einer bestimmten Art von Fahrern zugute kommt. Der Coulthard zum Beispiel - er war ja nie so ein schlechter Qualifyer, das ist er ja erst geworden, seit es das Einzelrunden-Qualifying gibt.

Zu Red Bull....

Gerald Enzinger: Das Problem bei Red Bull ist irgendwie, dass sie die Fahrer auch relativ unselbständig machen, dass sie die Fahrer also mit 15 oder 16 Jahren übernehmen und dass ihnen dann wirklich alles abgenommen wird. Die Gefahr ist dabei, dass sie dann ohne Red Bull total hilflos sind, weil sie nie die Gelegenheit hatten, sich als Mensch und Sportler zu entwickeln und sich selbst aufzustellen. Das ist das Problem an dieser Red Bull-Geschichte: Wenn du rausfliegst, bist du wirklich auf der Straße gelandet.

Gut, dass ist ein allgemeiner Trend. Wenn man daran denkt, welch abenteuerliche Dinge ein Niki Lauda oder ein Nigel Mansell unternommen haben, um überhaupt mit dem Motorsport beginnen zu können.

Gerald Enzinger: Beim Lauda gibt es ja ganz tolle Geschichten, wie er hinter dem Rücken des Vaters begonnen hat. Da gibt es ganz abenteuerliche Geschichten - sicher ist, dass Leute wie Lauda oder Berger sicher selbständiger waren. Und man wird es in der aktuellen Formel 1 in zwei Jahren auch merken, dass es einen ziemlichen Unterschied gibt zwischen den Leuten, die sich selbst nach oben gearbeitet haben und jenen, die ein ganzes Organisationskomitee hinter sich haben.

Die Formel 1 hat sich zu einer Rookie-Abwurfmaschine entwickelt - von den Neuen blieb ja fast niemand drinnen...

Gerald Enzinger: Da gibt es noch die goldene Generation, der Alonso, Räikkönen und Webber angehören, und dann kam ja fast nichts. Das Problem: Es gibt kaum noch Teams. Der Trend hin zu jungen Fahrer ist gestoppt worden, man möchte jetzt wieder halbwegs erfahrene Piloten.

Und vor allem möchte man gut zahlende Piloten. Der Geldkoffer ist wichtig. Die wirklich schnellen Piloten aus den Nachwuchsformeln - die kommen nur rein, wenn sie einen Geldkoffer in der Hand haben. Die wirklich schnellen kamen eigentlich nicht. Augusto Farfus oder Sebastien Bourdais zum Beispiel.

Gerald Enzinger (lacht): Ja, die hat man schon wieder vergessen. Ein Problem ist ja auch, dass die Teams immer mehr dazu neigen, ihre Fahrer selbst heranzuzüchten - dass sie aber dann, wenn diese Fahrer quasi ausgeschult sind, nichts mit ihnen anfangen können. Zum Beispiel Franck Montagny oder Heikki Kovalainen, bei ihnen weiß Renault glaube ich auch heute noch nicht, was man mit ihnen tun soll. Beim Montagny ist es bereits wieder vorbei, fürchte ich. Der Kovalainen wird halt irgendwann mal verliehen werden zu Minardi oder zu einem anderen Team. Man sieht es auch bei Red Bull - die haben ein super Nachwuchsprogramm und in Wahrheit würde ich nicht ausschließen, dass am Ende des Jahres der zweite Fahrer neben Coulthard kein Red Bull-Fahrer ist, weil es dann halt einer ist, den es auf dem freien Markt gerade gibt.

Wäre es da nicht gescheiter, wenn man gleich sagen würde: Leute, machen wir drei Autos pro Team. Der Mosley möchte ohnehin mehr Autos.

Gerald Enzinger: Ja, oder ein Junior-Team. Oder ein Junior-Auto. Das wäre sicher ein interessanter Vorschlag: Zu sagen, sie müssen drei Autos bringen. Dann habe ich mehr Action auf der Strecke und es gibt quasi in jedem Team einen Rookie-Driver, der halt ein Mindestalter oder besser ein Maximalalter haben muss.

Denn im Moment verglühen halt schon extrem viele junge Piloten. Es ist ja fast schon traurig, wenn man sieht, dass ein Sebastien Bourdais in der Formel 3000 total gut fährt, nach Amerika geht und dort alles niederreißt und in der Formel 1 nicht einmal ansatzweise ein Mensch auf die Idee kommt, ihn zu holen. Obwohl man ihn als Franzosen brauchen würde.

Dafür kommen immer wieder Piloten in die Formel 1, bei denen man sich denkt: Woher kommt der überhaupt?

Gerald Enzinger: Der Gerhard Berger hat mir vor Jahren einmal etwas gesagt, da ging es um Friesacher. Berger sagte sinngemäß: 'Der nächste Österreicher wird kommen, bevor wir ihn kennen.' Also nach dem Motto: Leute, die ewig in der Warteschleife sind, kommen nicht, sondern es kommen Leute wie Räikkönen oder Massa - also die, die dann wirklich plötzlich und aus heiterem Himmel heraus da sind.

Gut - Räikkönen oder Button waren ja in ihrer Nachwuchsformel wirklich schnell, auch wenn sie nicht lange dort fuhren. Aber Leute wie Nicolas Kiesa zum Beispiel...

Gerald Enzinger: Das sind halt die klassischen Paydriver.

Das könnte man mit einer Leistungspyramide verhindern. Indem man sagt, man muss gewisse Erfolge in den Nachwuchsserien erzielen. Sprich: Siege in der zweithöchsten Nachwuchsserie, also Formel 3000 oder heute eben GP2.

Gerald Enzinger: Das Problem dabei: Man müsste dann auch beispielsweise Massa verbieten, der ja keine Erfolge in einer internationalen Nachwuchsklasse hatte, weil er ja quasi aus der "italienischen Landesliga" gekommen ist.

Da hätte man damals schon so eine strikte Leistungspyramide einführen und gewisse Serien wie Formel 3 oder GP2 als Sprungbrett in die Formel 1 definieren müssen.

Gerald Enzinger: Das Problem dabei ist aber, dass es auch in den Nachwuchsserien wie der GP2 darauf ankommt, in welchem Team du fährst. Christian Klien zum Beispiel hatte in der Formel 3 auch das ideale Auto. Wenn so ein Team dann im nächsten Jahr aber im nirgendwo agiert, wäre das für Klien fatal gewesen, wenn er noch ein Jahr Formel 3 gefahren wäre, wie ihm viele geraten haben. Dann hätte er das gleiche Problem gehabt wie ein Lechner oder ein Wurz, die in ihrer zweiten F3-Saison zurückgefallen sind, weil das Auto nicht top war..

Es ist halt eine Prinzipfrage, dass man sagt: In der Königsklasse sollten nur die erfolgreichsten Piloten antreten.

Gerald Enzinger: Gut - in diesem Jahr sieht es da gar nicht so schlecht aus. Der Karthikeyan hat in der Formel Nissan Rennen gewonnen, der Monteiro auch, der Friesacher hat in der Formel 3000 Rennen gewonnen und Albers war in der DTM gut. Alex Yoong beispielsweise war wiederum so ein typischer Paydriver. Und hat Kiesa nicht einmal durch Glück in der Formel 3000 das Rennen in Monaco gewonnen?

Ja ich glaube, das war so. Gut, hat er ein Rennen gewonnen. Ich würde da schon nach der Endwertung gehen. Dass man beispielsweise in den Top 3 der Jahreswertung in den Nachwuchsformeln landen muss, um in die F1 aufsteigen zu können.

Gerald Enzinger: Wichtig wäre, wenn man das Fahrerfeld in der Formel 1 erhöhen könnte. Dass man statt 20 Autos - oder haben wir nur mehr 18? (Gelächter)

Nein, derzeit haben wir satte 20 Boliden...

Gerald Enzinger (lacht): Zeitweise hatten wir nur sechs Autos. Naja, wenn man statt 20 halt 26 Autos hat, dann schaut das Ganze schon wieder anders aus. Wenn du dir die aktuelle GP2-Generation ansiehst - da sind sicher sechs Leute, bei denen man sagen kann, dass sie reif wären, Formel 1 zu fahren.

Stichwort GP2: Was sagst du zu Mathias Lauda?

Gerald Enzinger (schmunzelt): Ich glaube, dass er durchaus Potential hätte. Aber dass er wahrscheinlich das Problem hat, dass er einfach zu spät angefangen hat. Und dass diese fehlenden Lehrjahre kaum noch aufzuholen sind.

Warum?

Gerald Enzinger: Weil ich denke, dass diese Kart-Schule so wichtig ist. Ich muss sagen, dass ich schon überrascht von seiner Entwicklung bin, er ist auch ganz sicher nicht schlecht. Aber diese GP2 ist halt vom Niveau her schon sehr weit oben. So wie der Herr Nico Rosberg, der seit zehn Jahren ein Profi ist - und sich mit denen zu messen, ist einfach schwierig.

Es ist sicher unfair, Lauda mit einem Rosberg zu vergleichen, weil die eine völlig unterschiedliche Ausbildung haben. Da geht es auch um die Abstimmung und so weiter. Ich muss sagen, wenn ich ein Sponsor wäre, würde ich Lauda auch interessant finden, weil man ihn gut vermarkten kann.

Er ist ja auch bereitwillig für Klien bei dem Stefan Raab-Juxrennen eingesprungen und hat sich dort sehr cool präsentiert. Und wenn man mit ihm spricht, sagt er auch interessante Dinge...

Gerald Enzinger: Ja, er ist ganz sicher ein netter Kerl. Und ich würde mir wünschen, dass er es schafft. Vielleicht ist er ja nicht nur bescheiden, sondern auch beharrlich genug, um sich durchzusetzen.

Gehen wir zu Christian Klien. Wenn du in deine Kristallkugel schaust - ist der Christian 2006 wieder dabei?

Gerald Enzinger (überlegt): Sportlich ja. Von den sportlichen Kriterien her hätte er es verdient, dass er in der Formel 1 bleibt. Aber die Formel 1 ist inzwischen so geworden, dass diese Entscheidungen nicht mehr nur auf sportlichen Leistungen basieren, sondern dass, wie man bei Friesacher gesehen hat, viele andere Faktoren im Spiel sind.

Auf gut Deutsch: Wenn ich ein Österreicher bin und nicht so ein extravagantes Auftreten wie der Herr Liuzzi habe, dann muss ich das halt auf der Strecke mit Zehnteln gutmachen. Und ob dem Christian das gelingt, werden wir in den nächsten Rennen sehen. Zutrauen würde ich es ihm auf jeden Fall.

Klien ist ein Typ, der Zeit braucht und mit der Zeit und der nötigen Konstanz immer besser wird - die Frage ist, ob ihm die Formel 1 diese Zeit geben wird. Er hat den Coulthard im Griff - das Problem, das alle Fahrer haben, ist, dass man den Coulthard quasi ständig bügeln muss, damit man eine Wildcard in der Formel 1 erhält.

Ist Red Bull nicht in irgendeiner Form moralisch verpflichtet, zumindest einen dieser Red Bull-Junioren zu behalten?

Gerald Enzinger: Moral. Moral gibt es in der Formel 1 nicht. Wenn Red Bull beispielsweise Kovalainen holen würde...

Das wäre doch irgendwie komisch, oder?

Gerald Enzinger: Das wäre schon komisch, ja. Das würde dann eigentlich die eigene Casting-Politik ein bisschen in Frage stellen. Aber ich glaube schon, dass man bei Red Bull die Lehren daraus zieht und ich glaube, dass man auch ein wenig überrascht ist, wie viele von den eigenen Leuten da jetzt rausgekommen sind, die vom Drive und vom Speed das Anrecht hätten, Formel 1 zu fahren.

Das ist ja wiederum ein Zeichen, dass ihre Auswahlkriterien nicht schlecht waren. Es soll nichts Schlimmeres passieren, als dass man zu viele Fahrer hat. Die Frage ist, ob sie die Geduld und die Zeit haben, darauf zu warten, dass neben dem Coulthard einer wachsen kann. Und die Frage ist: Welcher von den Dreien - Klien, Liuzzi oder Scott Speed - ist das dann?

Naja, bisher war eindeutig der Klien der Beste.

Gerald Enzinger: Ja schon. Wobei ich davon überzeugt bin, dass der Liuzzi heuer noch einmal eine Chance erhalten wird. Man könnte sagen: Klien hat Zwischenbestzeit von den Dreien. Die Frage wird sein, ob er diese Zwischenbestzeit auch ins Ziel bringen kann. Und ich nehme einmal an, dass er nur noch zwei Rennen zur Verfügung hat. Spätestens in Monza wird der Liuzzi fahren. Ich glaube auf jeden Fall, dass Klien das Potential hat - die Frage ist, ob er mit acht Rennen die Chance hat, dieses Magic Rennen zu liefern, sodass dann jedem klar ist: Den Klien brauche ich.

Das könnte aber jederzeit passieren...

Gerald Enzinger: Ja, das würde ich ihm auch zutrauen. Es gab ja auch solche Ansätze. Voriges Jahr in Bahrain, auch im Training. Oder Spa 2004.

Im dritten Teil des Gesprächs (am Donnerstag auf motorline.cc) geht es unter anderem auch um den A1-Ring oder besser den Red Bull-Ring in der Steiermark - dort, wo für Gerald Enzinger ja eigentlich alles begonnen hat...

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