Harley-Davidson LiveWire - im Test | 15.12.2019
Kaum Sound, viel Fun
Die Harley-Davidson LiveWire zoomt sich mit 106 PS in verhalten surrenden drei Sekunden auf 100 km/h. Wir testen die erste Elektro-Harley.
Rainer Unruh / mid
Viel Sound, viel Fun. Das gilt auf jeden Fall für die herkömmlichen Harleys, die bei denen es nur so sonor blubbert, wenn der Zündschlüssel gedreht und die Maschine angeworfen wird. Aber gilt das auch für die Harley-Davidson LiveWire, die neue und erste Elektro-Harley? Nein, natürlich nicht. Abgewandelt könnte man jedoch sagen: kaum Sound und trotzdem Fun.
Um Gottes Willen, Harley und Elektro - geht das? Dieser Gedanke kommt automatisch, wenn man den Harley-Schriftzug sieht und den fehlenden Auspuff bemerkt. Ausgerechnet die Mutter aller Big Bikes baut ein E-Motorrad. Die Antwort ist nach dem ersten Blick klar: das geht!
Die LiveWire soll junges Publikum begeistern und aufs Motorrad bringen. Harley 3.0 sozusagen. Nichts da mit Schrauben im Wohnzimmer, wie der Kumpel in der Parterre-Wohnung das Anfang der 1980er jeden Winter gemacht hat. Möbel im Wohnzimmer umgerückt, stattdessen Harley reingeschoben und geschraubt, bis es wieder Frühling wurde. An der LiveWire schraubt man nicht - keine Benzingespräche. Schade, dass der Kumpel nicht mehr in der Paterre-Wohnung lebt. Was der wohl zur E-Harley sagen würde?
Die LiveWire erinnert ein wenig an die Buell, die ehemalige Schwestermarke, sie sieht jedoch viel futuristischer aus. "Mir fehlt der V-Block", werden einige Harley Fans wohl sagen. Aber mal ehrlich, so wie der Elektromotor jetzt in den Leichtmetall-Gussrahmen der LiveWire eingepasst ist, das hat auch was ziemlich Cooles.
Unter der Tankverkleidung als schwarzer Monolith der Akku mit 15,5 kWh Kapazität, darunter der raketenförmige, silberfarbene, flüssigkeitsgekühlte Permanentmagnet-Elektromotor. Das sieht alles leicht und puristisch aus, als habe der Designer sich nachmittags ins Café gesetzt und den Zeichenstift einfach mal so laufen lassen. Dabei wiegt die E-Harley fette 250 Kilo.
Sobald der Startschalter gedrückt ist, erwacht die LiveWire zum Leben. Im Display erscheint ein grünes Signal. Am Hintern spürt man eine kleine Vibration, die sich wie ein zarter Herzschlag anfühlt und ab diesem Zeitpunkt ist klar: Wer jetzt volle Kanne am rechten Handgriff dreht, zischt in drei Sekunden von 0 auf 100. Und apropos Lautstärke: Die Harley LiveWire ist nicht tonlos, sondern gibt einen gut wahrnehmbaren Düsenjet-Sound ab, natürlich hundertmal leiser als die herkömmlichen Motorräder.
Für die Fahrt können sieben Modi gewählt werden, etwa Regen oder Sport. Drei davon können auf dem 4,3 Zoll großen Touch-Display individuell programmiert werden. Das alles am besten vor der Fahrt. Es lässt sich übrigens eine ganze Menge einstellen und daher muss man sich ein wenig einfuchsen, um dann nicht während der Ausfahrt ran zu müssen und abgelenkt zu sein. Die weiteren Einstell-Knöpfe sind unterhalb der Lenkergriffe platziert, einer davon als eine Art Joystick. Alles ist ein wenig fummelig zu bedienen. Das ist aber erst einmal der einzige, kleine Kritikpunkt.
Die Tour mit der LiveWire macht eine Höllenfreude. Der Schwerpunkt der Maschine liegt dank schwerem Akku und E-Motor tief und mittig, das erdet das e-Motorrad in gewisser Weise. Raufsetzen - und ab geht's zum Kurvenfressen. 106 PS, 117 Newtonmeter Drehmoment, das passt. Genauso wie der bequeme, sportliche Sitz. Dank ABS und besagter Fahrmodi lässt sich die E-Harley von Jederfrau und -mann beherrschen.
Den rechten Griff durchgezogen immer am Limit, heissa, das macht Spaß - in so einem Extremfall ist aber der Akku schon nach einer halben Stunde leer. Harley gibt die Reichweite mit 158 Kilometern auf Schnellstraßen oder Autobahnen an. Bis zu 235 Kilometer Reichweite sind bei zahmer Fahrt in der City und deren Umland insgesamt drin im Akku.
Geladen wird am Schnellladegerät in rund 40 Minuten auf 80 Prozent und in einer Stunde auf 100 Prozent. An der Haushaltssteckdose dauert die Volladung zwischen acht und zehn Stunden. Das Kabel dafür steckt direkt unter der klappbaren Sitzbank. Der Schnelllade-Anschluss befindet sich - Überraschung - unterm Tankdeckel. Die erste elektrische Harley-Davidson lässt sich leicht, angenehm und sportlich fahren. Die LiveWire ist definitiv ein zeitgemäßes Bike.
Nur ein Problem gibt es mit der amerikanischen Maschine aus Pennsylvania (nein, nicht aus Milwaukee): Sie kostet gut 33.000 Euro und kaum ein junger Mensch, der gerne E-Motorrad fahren möchte, kann sich das wohl leisten.
Technische Daten Harley-Davidson LiveWire
Zweisitziges Motorrad mit flüssigkeitsgekühltem Permanentmagnet-Elektomotor, Leichtmetall-Gussrahmen, Upside-Down-Gabel vorne, Mono-Shock-Schwinge hinten, zwei Scheibenbremsen (300 mm) vorn, eine Scheibe hinten, ABS, TraktionskontrolleLeistung: 78 kW/106 PS bei 11.000 U/min
Drehmoment: 116 Nm bei 0-5000 U/min
Gewicht fahrfertig: 249 kg
Zuladung: 181 kg
Reifenbreite vorn: 120 mm, hinten: 180 mm
Akku-Kapazität: 15,5 kWh
0-100 km/h: 3 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit: 178 km/h
Reichweite nach World Motorcycle Test Cycle (WMTC): 158 km, nach MIC-Combined-Test: 235 Kilometer
Österreich-Preis: ab 33.390 Euro (Deutschland: ab 32.995 Euro)