Formel 1: In Memoriam Roland Ratzenberger | 30.04.2004
Das Leben nach der Katastrophe
Gerhard Kuntschik von den Salzburger Nachrichten blickt gemeinsam mit Rudolf Ratzenberger zurück auf die Jahre nach Rolands Tod..
Gastautor: Gerhard Kuntschik
Fotos: Christof Huber (www.roland-ratzenberger.at)
Der Salzburger Sportjournalist Gerhard Kuntschik ist seit Jahrzehnten mit der Formel 1 on Tour, berichtet für die Salzburger Nachrichten. Mit Roland Ratzenberger war Kuntschik gut befreundet. Er ist auch ein Freund der Familie Ratzenberger. Gemeinsam mit Vater Rudolf Ratzenberger blickt er zurück auf die zehn Jahre nach der Katastrophe von Imola. Gerhard Kuntschik hat uns freundlicherweise seinen Text zur Verfügung gestellt.
Der Grand Prix von San Marino an diesem Wochenende in Imola wird im Zeichen des Gedenkens stehen. Vor zehn Jahren verunglückten hier der Salzburger Roland Ratzenberger und der Brasilianer Ayrton Senna tödlich. Für die Kommentatoren war es das „schwarze Wochenende“ der jüngeren Rennsportgeschichte, für Sennas Ex-Teamkollegen Gerhard Berger „als wäre die Sonne vom Himmel gefallen“. Sennas engster Vertrauter, sein Physiotherapeut Josef Leberer, arbeitet auch heute noch in der Formel 1. Ratzenbergers Eltern erfahren ständig, dass ihr Sohn unvergessen ist.
Rudolf Ratzenberger, heute 71, pensionierter Beamter der Sozialversicherung, bekommt in diesen Tagen viel Post und viele Anfragen. Post von Formel-1-Fans, die die Erinnerung an seinen Sohn Roland lebendig halten. Anfragen von Medien um Interviews. „Sie stören mich nicht, ich versuche, allen zur Verfügung zu stehen. Weil ich es für Roland tue“, sagt der Vater. Er tat es, im Gegensatz zu seiner Gattin Margit (66), die sich zurückzog, auch vor zehn Jahren bis zur Grenze der persönlichen Belastbarkeit, als er zu TV-Talkrunden eingeladen worden war. Es freut Rudolf Ratzenberger, dass nun bei allen Senna-Gedenkfeiern rund um die Welt auch Roland nicht vergessen wird. Das merkt er auch an der Fan-Post. Zwölf dicke Ordner hat er, der sich bis zu Rolands Unfall überhaupt nicht mit Motorsport befasste, fein säuberlich seit 1994 zu füllen gehabt. Die meisten Schreiben stammen von Fans, die Roland gar nicht mehr gekannt oder jemals gesehen haben.
„Ja, der Unfall hat unser Leben total verändert“, sagt Rudolf Ratzenberger. Auch wenn Roland, der stets zielstrebig seinen Weg gegangen und von den Eltern nicht zu beeinflussen war, sich früh von der Familie abgenabelt hatte und ins Ausland gegangen war: Deutschland, England, Japan. Rudolf Ratzenberger: „Wir hätten Roland von nichts abbringen können. Sein einziges Berufsziel von Kindheit an war Rennfahrer. Wir haben es gar nicht versucht, ihn umzustimmen.“ Der Vater kam ein einziges Mal zu einem Formel-1-Rennen, nach Imola ein Jahr danach, zu den Gedenkfeiern und zum Niederlegen von Blumen in der Villeneuve-Kurve, wo Rolands Bolide mit über 250 km/h wegen eines weggebrochenen Frontflügels zerschellt war.
Die Eltern Ratzenberger bewohnen seit Jahren jenes schmucke Appartement, dass sich Roland für die Zeit nach dem Rennsport in Salzburg gekauft hatte. „Irgendwann komme ich zurück nach Salzburg, da will ich es schön haben“, hatte er einmal gemeint. In der Wohnung gibt es viele Erinnerungsgegenstände, aber sie ist kein Museum. Ein Mini-Modell seines letzten Rennwagens, des Simtek 01 („heute schon eine Sammler-Rarität“, weiß Rudi Ratzenberger), Helm, Overall, etliche Fotos. Viele Privatsachen Rolands waren nach dem Unfall auch für die Eltern nicht mehr auffindbar.
Als sie erstmals nach dem 30. April 1994 Rolands Apartment in Monte Carlo aufsuchten, war es teilweise verwüstet. Stattliche Reparaturkosten musste die Familie an die Hausverwaltung zahlen. Einen Schlüssel hatte Kadisha, das somalische Model, von dem sich Roland kurz vor dem Unfall getrennt hatte. Über sie wollen sich Rolands Eltern nicht mehr äußern. Das würde zu viele Emotionen auslösen.
Rudolf Ratzenberger greift zu einem dicken Album: „Unser Gästebuch.“ Viele Eintragungen, viele Fotos, zumeist von Leuten aus dem Rennsport. „Wir haben so viele Freunde und Bekannte unseres Sohnes erst später kennen gelernt. Manche sind auch für uns echte Freunde geworden.“
Wie Barbara Behlau, deutsche Gönnerin Rolands mit Wohnsitzen in Monaco und St. Gilgen, die mit ihrer Unterstützung seinen Platz bei Simtek für die erste Saisonhälfte 1994 garantiert hatte. Feiertags-Post gibt es immer wieder von Exweltmeister Sir Jack Brabham, der in Simtek investiert und seinem jüngsten Sohn David zu einem Formel-1-Cockpit an der Seite Rolands verholfen hatte. Auch David meldet sich regelmäßig. Und auch Betty Hill, Mutter von Damon und Witwe Grahams. Hin und wieder Simtek-Teamchef Nick Wirth. Und die Familie Salo, für den nachmaligen Formel-1-Piloten Mika Salo war Roland der beste Freund in gemeinsamen Japan-Jahren. Der dritte Vorname seines kleines Sohnes ist Roland.
Auch die Japaner haben Roland nicht vergessen – Shin Kato, sein Teamchef bei Sard-Toyota, und Shin Fukui von Stellar. Rolands Jugendfreunde Hermann Wallner, der Vater Rudi nach dem Unfall nach Imola begleitet und auch nachher der Familie beigestanden hatte, und Gerald Lachmaier, mit dem „Roland the Rat“ in der Formel Ford begonnen hatte, kommen immer wieder vorbei. Mit Rolands deutscher Exfreundin Elisabeth gibt es ständigen Kontakt und mit Bente, seiner Kurzzeit-Gattin.
„Wenn ich zurückblicke, meine ich, dass die Unfälle von Imola doch etwas bewirkt haben. Die Sicherheit der Fahrer wurde seither massiv verbessert. Das ist doch positiv“, sagt Rudolf Ratzenberger. Doch seine Stimme ist emotionslos.