Formel 1: News | 29.06.2005
US-Farce: Michelin-Teams vor dem FIA-Kadi
In Paris wird am Mittwoch seitens der FIA über eine Verurteilung der sieben Michelin-Teams und somit indirekt die Zukunft der Formel 1 entschieden.
Am Place de la Concorde in Paris fällt Mittwoch Nachmittag die Entscheidung über eine mögliche Bestrafung der sieben Michelin-Teams für deren effektiven Nichtantritt beim Großen Preis der USA am 19. Juni 2005. Angesichts der politisch heiklen Lage in der Formel 1, samt der Gruppierung FIA/Ferrari (die bereits das neue Concorde Agreement unterschrieben haben) auf der einen Seite und den neun anderen Teams sowie den Herstellern der GPR (Ex-GPWC) auf der anderen Seite, könnte - dramatisch ausgedrückt - bei einer falschen Entscheidung das Ende der Formel 1 eingeläutet werden.
Was ist das FIA World Motor Sport Council?
Da die meisten Formen des internationalen Motorsports von Landvehikeln mit mehr vier oder mehr Rädern in den Einflussbereich der FIA fallen, trägt der FIA World Motor Sport Council die Verantwortung für alle Aspekte des Motorsports.
Die Hauptaufgaben des Weltrates liegt darin die Sicherheitsstandards aller Motorsportarten zu verbessern, den internationalen Motorsport zu administrieren, die Aufnahme neuer Regeln in allen Motorsportarten der Welt durchzuführen und neue Motorsportformen, besonders im Bereich der Jugend und in Entwicklungsländern, einzuführen.
Wer sitzt im FIA World Motor Sport Council?
Die gewählten Mitglieder des FIA World Motor Sport Council kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Die folgenden 23 Mitglieder sitzen in Paris: Max Mosley (FIA-Präsident), Marco Piccinnini (stellvertr. Präsident), Bernie Ecclestone (FOM-Chef), Jean Todt (Vertreter der Hersteller), Derek Ledger (Jordan), Hermann Tomcyzk (GER), Jacques Regis (FRA), Mumtaz Tahincioglu (TUR), Michel Boeri (MC), Carlos Gracia (E), Nazir Hoosein (IND), John Large (AUS), Burdette Martin (USA), Raphael Sierra (RA), Jacek Bartos (POL), Morrie Chandler (NZ), Vassilis Despotopoulos (GR), Henry Krausz (Dom. Rep.), Radovan Novak (CZ), Lars Osterlind (SWE), Katsutoshi Tamura (JAP), Antonio Vasconcelos Tavares (POR) und Vincent Caro (Repräsentant der internationalen Kart-Organisation).
Was wirft die FIA den Teams vor?
In sieben identischen Schreiben an die ebenso vielen Michelin-Rennställe wirft die FIA den Teams einen Verstoß gegen den Artikel 151c des Internationalen Sporting Codes vor, welcher vor allem eine Schädigung "des Interesses einer Veranstaltung, in diesem speziellen Fall des US Grand Prix 2005, und/oder des allgemeinen Interesses des Motorsports" beinhaltet.
Dies geschah laut der FIA:
- da man nicht sicherstellte, dass eine ausreichende Verfügbarkeit von passenden Reifen für das Rennen vorhanden war
- da man fälschlicherweise sich weigerte das Rennen zu bestreiten
- da man fälschlicherweise sich weigerte zu starten und eine Geschwindigkeitsreduzierung zu akzeptieren
- da man zusammen mit anderen Teams eine die Formel 1 schädigende Demonstration durchführte, als man gemeinsam vor dem Start des Rennens in die Boxengasse fuhr
- und da man die Stewards nicht über die Absicht im Rennen nicht an den Start zu gehen nicht informierte und somit einen Regelbruch nach dem Artikel 131 des Sportlichen Reglements der FIA beging.
Welche Strafen drohen den Teams?
"Wir werden uns die sieben Team anhören. Jede Geschichte hat zwei Seiten. Die vorgeladenen Teams müssen die Möglichkeit bekommen, ihre Sichtweise zu erklären", beschreibt FIA-Präsident Max Mosley die Vorgehensweise. "Die Atmosphäre wird ruhig und höflich sein. Die Mitglieder des Motorsport-Weltrates kommen aus der ganzen Welt. Sie werden ein Urteil fällen, das fair und ausgewogen ist."
Im Hinblick auf das Strafmaß steht dem World Motor Sport Council laut Mosley die gesamte FIA-Palette vom WM-Ausschluss über Rennsperren bis hin zu Geldstrafen oder Rügen zur Verfügung. "Ich kann ein oder zwei Sperren nicht ausschließen", sagt Mosley. "Wenn sich herausstellen sollte, dass ein oder zwei Teams wirklich eine Schuld tragen, werden Sperren ausgesprochen. Aber es gibt auch verschiedene andere Möglichkeiten. Punkte, die abgezogen werden. Eine Geldstrafe. Oder eine Rüge. Ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Man wird es erst nach der Anhörung der Teams wissen."
Während Frank Williams eine Demontage der Teams erwartet und Patrick Head glaubt, dass Mosley die Teamchefs verabscheut, wird der FIA-Präsident diese Entscheidungen nicht alleine treffen: "Selbst wenn ich Sperren aussprechen möchte, werden es die anderen zwanzig Mitglieder wahrscheinlich nicht wollen."
Ein spezieller Fall ist in diesem Zusammenhang British American Racing, welches bekanntlich seit der Rennsperre in der Tankaffäre von Imola auf Bewährung fährt. Sollten die Teams tatsächlich bestraft werden, könnte dem amtierende Vize-Konstrukteursweltmeister sogar ein WM-Ausschluss für die zweite Saisonhälfte drohen.
"Meine persönliche Meinung ist, dass Michelin die Fans fair entschädigen sollte", gab Mosley eine private Randnotiz ab. "Danach sollten Tony George und Bernie Ecclestone zusammen die Austragung des USGP 2006 bestätigen und allen Besuchern dieses Jahres ein Freiticket versprechen. Aber das ist nur meine persönliche Meinung."
Mit der Bekanntgabe, sich finanziell an einer Entschädigung der US-Fans zu beteiligen und zudem 20.000 Freitickets für den 2006er Grand Prix bereit zu stellen, machte Michelin einen ersten Schritt in diese Richtung. Allerdings hat dies vordergründig keinen Einfluss auf die Verhandlung, da nicht Michelin, sondern dessen sieben Teams vor den Weltrat zitiert wurden. Dennoch betonten die Franzosen im Zuge ihrer großzügigen Geste, zu welcher man nicht verpflichtet sei, dass die Partnerteams den Indy-GP nicht boykottiert hätten.
Was sagen die Teams?
Viel hatten die sieben betroffenen Teams vor der Anhörung nicht zu sagen, weshalb sich alle Teams mit einem "kein Kommentar" aus der Affäre zogen und sich stattdessen lieber intern bei einem Treffen am Dienstag auf den großen Tag vorbereiteten.
Dennoch befürchtete Frank Williams eine Demütigung vor dem FIA World Motor Sport Council. "Es ist als ob man eine Burg nur mit Pfeil und Bogen erobern möchte", erklärte er. "Max möchte uns nur demütigen. Ich befürchte, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen können. Selbst Bernie wurde von Max am letzten Sonntag gedemütigt und nun sind wir dran."
Im Gegensatz zu den sieben Betroffenen, hatte Minardi-Teamboss Paul Stoddart wieder einmal sehr viel zu sagen. So sprach der Australier sogar von einem möglichen Boykott des Frankreich GP am kommenden Wochenende. "Alles ist möglich. Ich habe inoffizielle Berichte gehört - darüber, welche Strafen möglich sind. Das geht von einer 2,5 Millionen Dollar Buße bis zu einer befristeten Sperre, all diese Dinge sind möglich", so Stoddart, der die Teams bei mehr als einer Geldstrafe als unschuldige Opfer ansehen würde. "Ich würde hoffen, dass Max zur Vernunft kommt, aber wer weiß das schon?"
"Das World Council steht normalerweise immer hinter den Entscheidungen von Max Mosley, aber diesmal werden sicher nicht alle mit ihm gehen. Diesmal hat er den Sport fraglos beschädigt. Wenn er nicht nachgeben sollte und die Teams verurteilt werden, werden sie sagen: Wir können dich nicht abwählen, aber wir können dich mit unseren Füßen raus treten. Dann hätte er keine Chance", schießt Stoddart gegen Mosley, dem er seit dem Indy-GP schon mehrfach einen Rücktritt nahe gelegt hat.