MOTORSPORT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

NASCAR goes Europe

Amerika zeigt mit der NASCAR-Serie, wie guter Motorsport gemacht wird. Wenn die Amis ihr Konzept nach Europa bringen, wird's eng für die FIA...

Johannes Gauglica

Gentlemen, start your engines: das 24-Stunden-Rennen am Daytona International Speedway (DIS) am 5./6. Feber war der Auftakt der amerikanischen Rennsaison. In Europa haben die 24 Stunden einen ungleich höheren Stellenwert als in Amerika selbst, wo soeben das Daytona 500, das „Great American Race“ der Stock Cars am 20. Februar über die Bühne ging.

Dennoch hat das Sportwagenrennen heuer die Aufmerksamkeit der gigantischen NASCAR-Gefolgschaft auf sich gezogen wie nie zuvor. Der Grund dafür war die große Zahl an Stars aus der Nextel Cup Series, die heuer in den verschiedensten Autos teilgenommen haben – dies trotz des von Fans wie Fahrern immer wieder betonten Unverständnisses für „europäische“ Rundstreckenrennen. Sie können, wenn sie wollen, beziehungsweise wenn sie müssen. Denn die Grand American Road Racing Series, die das „Rolex 24“ austrägt, ist zwar offiziell kein Teil der NASCAR-„Familie“, hat aber mit NASCAR eine enge Allianz.

Dies ist eine Facette der Motorsport- und Marketingmaschinerie, die die France-Familie während eines halben Jahrhunderts aufgebaut hat und die sogar die allmächtige „Max & Bernie Show“ etwas alt aussehen läßt. In Nordamerika haben Mr. Ecclestone und seine Bambini nichts zu bestellen. Gründervater Bill France sr. erschuf aus bescheidenen Anfängen das Imperium „ North American Stock Car“ und legte mit dem Bau des DIS – bescheidene Selbsteinschätzung: World Center of Racing - den Grundstein für die International Speedway Corporation (ISC).

Heute gehören der ISC elf der bedeutendsten Rennstrecken der USA. Für die Show auf diesen Strecken, und einigen anderen, sorgen die zahlreichen von NASCAR sanktionierten nationalen und regionalen Stock-Car-Meisterschaften – ein perfektes Geschäftsmodell. Teams und Fahrer können als Profis ihr Geld verdienen, ohne die NASCAR-Welt je zu verlassen.

Sie hätten dazu auch kaum Gelegenheit, denn die Stock-Car-Rennsaison dauert lang: 40 Wochenenden des Jahres mit mehreren Rennen, vom Halbmeilenoval rund um die Landwirtschaftsmesse bis zum Superspeedway. Vor allem in den letzten 20 Jahren hat das NASCAR-Flaggschiff, der Nextel Cup mit einer mächtigen PR-Offensive alle anderen Motorsportserien an Beliebtheit weit überflügelt und rangiert heute unter den drei populärsten Zuschauersportarten überhaupt – eine Akzeptanz, von der der Motorsport in Europa nur träumen kann.

Mit mehr Sitzfleisch als seinerzeit Helmut Kohl haben die Frances zugesehen, wie ihre Konkurrenten sich Fehler um Fehler erlaubt haben oder an ihrem Erfolg gescheitert sind; inzwischen wurde geduldig am Format gefeilt und das eigene Haus in Ordnung gehalten. Die Technik ist weitgehend standardisiert, aber das stört die Fans ebenso wenig wie die oft mutwillig eingestreuten Gelbphasen zur Steigerung des Unterhaltungswertes. Was hier betrieben wird, ist „Sports Entertainment“.

Die Kasse stimmt: volle Tribünen und hohe Einschaltquoten garantieren hohes Sponsorinteresse. Geworben wird für alles, vom Waschmittel zur Schrotflinte. Alkohol, Zigaretten, Viagra – kein Problem. Sämtliche Waffengattungen der US-Streitkräfte lassen es sich etwas kosten, ganze Autos zu sponsern.

Daß die Welt davon erfährt, dafür garantieren die Medienprofis des ISC-Ablegers Motor Racing Network (MRN), die fixfertige Radioprogramme produzieren, und die TV-Präsenz im Fox-Network und auf dem mittlerweile fast völlig vereinnahmten Sportsender SpeedTV. Auf fünf Kanälen werden die insgesamt 99 Rennen der drei wichtigsten Meisterschaften der NASCAR (Nextel Cup, Busch Series, Craftsman Truck Series) heuer komplett live übertragen. Eine weitere konzerneigene Firma erzeugt die Fanartikel, die bei den Rennen, in den eigenen Shops und über das Internet eifrig verklopft werden. Lizenzgebühren für Freizeitzentren und Lokale mit NASCAR-Thema sorgen für weiteres Körberlgeld.

Nichts, aber auch gar nichts wird in dieser börsennotierten Geldmaschine dem Zufall überlassen, das merkt man leider auch den stereotypen Interviews der disziplinierten Fahrer oft an. Niemand beißt gern die Hand, die ihn füttert. Mit dieser Strategie und auch mit dem oftmaligen Ausspielen der nationalen Karte - überall flattert das Sternenbanner – sind die Stock Cars beim amerikanischen Publikum von 8 bis 80 zum Inbegriff des Motorsportes geworden. Amerika ist nascarisiert - jetzt hat man Muße und Kapital, sich den restlichen Racing-Markt unter den Nagel zu reißen.

Ein anderer mächtiger Clan sitzt in Indiana. Die Hulmans kontrollieren das Indy 500 und dessen Schrein, den Indianapolis Motor Speedway. Aber auch dort kommt man ohne NASCAR-Dollars nicht aus. Die Indy Racing League (IRL) ist ein Joint Venture des cleveren Hulman-Sprosses Tony George und der ISC. Vor neun Jahren vom IndyCar-Establishment als Rebellenserie belächelt, hat sie mittlerweile von der damals weltberühmten CART World Series fast alles übernommen - viele Topteams, Fahrer, Hersteller und Sponsoren, und auch die Probleme.

Die Kosten eskalieren, in der anfangs betont amerikanisch ausgerichteten Meisterschaft gewinnen die US-Boys wiederum nur selten, und nach schweren Unfällen mehren sich die Sicherheitsbedenken. Bislang nur auf Ovale (mehrheitlich die der ISC) konzentriert, wagt sich die IRL heuer auf Straßenkurse, um der bei den Zuschauern immer noch beliebten CART-Serie den endgültigen Todesstoß zu versetzen. Die NASCAR-Executives in Daytona werden nicht ohne Häme beobachtet haben, wie der zähe Konkurrenzkampf die IndyCar-Szene ausgeblutet hat - divide et impera.

Ein ähnliches Spiel, nämlich die Verdrängung der international ausgerichteten Konkurrenz, läuft auf dem Sportwagensektor ab. Genau wie die IRL rund um das Indy 500, hat sich 1998 um die 24 Stunden von Daytona die Grand American Road Racing Series (GrandAm) formiert, im Management sitzt etliches ISC-Personal. Wo die Stock Cars für Spektakel sorgen und die IRL den Hi-Tech-Freund anspricht, ist GrandAm die Spielwiese für den vermögenden Sportfahrer und macht ihre Punkte vor allem über die auf Techik- und Kostenstabilität ausgelegten Regeln.

Homologationswahnsinn à la Maserati MC12, der die FIA-GT-Serien alle paar Jahre implodieren lässt, kommt hier (noch) nicht vor. Technisch nicht innovative, aber berechenbare und für den zahlenden Gentleman beherrschbare Rennwagen, die ohne gröbere Veränderungen 4 oder 5 Jahre einsetzbar sind: für die Klein- und Mittelbetriebe im Rennbusiness eine reizvolle Vorstellung. Nur die Techniker gähnen gelangweilt.

Nachdem die mit dem ACO verbandelte American Le Mans Series momentan knieweicher denn je dasteht, könnten die spöttisch Dippies (= DPs, nach ihrer offiziellen Bezeichnung „Daytona Prototypes“) genannten Rennwagen bald in Le Mans selbst auftauchen. Alteingesessene Sportwagenfans stören sich an den betont einfach gestrickten (und auch relativ hässlich geratenen) Autos, aber Promoter Roger Edmondson tut locker kund, dass er auf den klassischen Sportwagenfan eigentlich gar keinen Wert legt.

Es ist wiederum das NASCAR-Publikum, von dessen Kaufkraft er sich ein Stück für seine Meisterschaft abzweigen will. Auch hier kommen einige ISC-Strecken zum Zug (darunter der frühere Sportwagen-WM-Klassiker in Watkins Glen). Das Aufgebot an Stars in Daytona 2005 gibt ihm recht. Einige werden es bei diesem Gastauftritt bewenden lassen, viele haben aber den permanenten Wechsel bereits vollzogen. Umgekehrt kommen der American Le Mans Series die Starter abhanden. Nach einigen armseligen Jahren trägt also auch in der GrandAm das Konzept Früchte.

Auf welch clevere Art diese Satellitenmeisterschaften „von oben“ gesteuert werden, zeigt das Beispiel Toyota. Einer der Marktführer in Amerika, möchte der japanische Autogigant gerne bei den prestigeträchtigen Stock Cars mitspielen. Bevor allerdings der erste Craftsman Truck mit Japan-V8 vom Stapel gelassen werden durfte, war es Zeit für Gegenleistungen. So killte Toyota sein CART-Motorenprogramm zugunsten der IRL, mit dem Zusatznutzen des Indianapolis-Sieges 2003, und liefert unter dem Namen der Nobeltochter Lexus Motoren für die GrandAm-Prototypen.

Damit ist die Eintrittskarte für den Nextel Cup gelöst. Dort engagieren sich auch große IRL-Teams wie Ganssi und Penske, umgekehrt tauchen Nextel-Namen mit „Zweigstellen“ in der der GrandAm auf; NASCAR-Urviecher wie beispielsweise die Brüder Labonte firmieren als Teameigner. Sponsoren auf dem Sprung in den Nextel Cup lassen ihr Geld in der GrandAm und IRL liegen. Die Verflechtungen sind unübersehbar, man hilft sich gegenseitig aus, das Geld bleibt in der Familie.

Nach der Attacke auf andere Rennsportformen (hier soll in Zukunft noch mehr passieren) ruht der Blick der NASCAR-Strategen auf dem bislang wenig „bedienten“ lateinamerikanischen Markt. Einerseits gibt es in Nordamerika einen genügend großen spanischsprachigen Kundenkreis, der die vermehrte Zuwendung mit harten Dollars honoriert, andererseits stehen Expeditionen nach Mittel- und Südamerika auf dem Programm.

Die IRL mit ihrer großen Zahl an brasilianischen Fahrern hat seit Längerem ein Rennen in Rio, die GrandAm geht heuer nach Mexiko (ein Plan, den die ALMS vor 2 Jahren versiebt hat) und mit einem kleineren Rennen in die dominikanische Republik. MRN und dessen Indy-Pendant IMS Network sprechen bereits fließend spanisch und portugiesisch; in der GrandAm werden Fahrer wie z.B. die Kolumbianerin Milka Duno mitsamt ihren Sponsoren groß hofiert und publiziert.

Auch etliche europäische Fahrer drängen in die Stock-Car-Szene. Deutsche, Briten, Franzosen im Nextel Cup? Für die global denkenden Rennprofis gibt es dort Chancen auf Jobs in einem engen Arbeitsmarkt. Ein französischer oder deutscher Sieg in einem Nextel-Cup-Rennen würde zwar momentan wütende Reaktionen auf den Tribünen auslösen (unparteiische Zurückhaltung ist nicht die Stärke der NASCAR-Fans); aber Europa ist für die ISC und ihren Troß spätestens nach Abdeckung des amerikanischen Kontinentes ein logischer neuer Markt.

Wiederum werden es wohl die Satellitenserien IRL und GrandAm sein, die mit Gastauftritten den Boden bereiten für ein mögliches großes Stock-Car-Festival auf einem der zwei derzeit existenten europäischen Superspeedways Rockingham (GB) und Lausitzring (D). Davon abgesehen ist sicher auch der eine oder andere von Ecclestone ausgesteuerte F1-Streckenbetreiber zu einem Flirt mit der IRL bereit.

Was hätte das europäische Establishment dem entgegenzusetzen? Die FIA ist nicht im „Sports Entertainment“-Geschäft. Das merkt man den Meisterschaften unterhalb bzw. neben der Formel 1 leider auch an. Da wird die Bewerbung des Produktes zu oft den Serien- oder auch Veranstaltungspromotoren überlassen, die diese Aufgabe dann je nach Disposition eine mehr oder weniger gut lösen.

Die laut Max Mosley zweitwichtigste Veranstaltungsreihe, das ehemals als Super Racing Weekend bekannte Tourenwagen/GT-Wochenende, fährt vor teilweise peinlich leeren Rängen und begnügt sich mit TV-Präsenz auf einem Spartenkanal. Die World Touring Car Championship schmeckt zudem etwas nach Größenwahn.

Die Formel-Welt unterhalb der Königsklasse hat sich spätestens heuer in ein Tollhaus der konkurrierenden Einheitsserien verwandelt, die sich unter dem allgemeinen Desinteresse des Publikums gegenseitig das Wasser abgraben. Und die Formel 1 selbst leistet sich einen gemessen am Gebotenen vielleicht nicht mehr zeitgemäßen Snobismus und hält ihre treuen Fans betont auf Distanz.

Außerhalb der FIA stellen wirklich gut promotete europäische Meisterschaften wie z.B. die DTM auch nur die Ausnahme dar, und auch die spürt durch die dünner gewordene finanzielle Decke den kühlen Hauch der Krise. Oval-Versuche wie die britische SCSA (ehemals ASCAR) ziehen zwar tapfer zahlende Gäste an, sind sportlich aber auf Heumarkt-Niveau anzusiedeln. Und der Automobile Club de l’Ouest wirkt außerhalb Frankreichs mit seiner Le Mans Endurance Series zeitweise etwas verloren.

Keiner der Genannten hat ähnliche finanziellen Reserven oder Krisenfestigkeit vorzuweisen. NASCAR hat die Ausdauer, auf einem neuen Markt ein paar magere Jahre zu „übertauchen“ und durch schiere Ausdauer die Konkurrenz zu zermürben.

NASCAR goes Europe - Verschwörungstheorie oder Zukunftsvision? Schreckgespenst oder Chance? Bei allem Unterhaltungswert von NASCAR & Friends lassen sich diese Rezepte nicht 1:1 auf den Patienten Europa anwenden. Wenn NASCAR clever genug ist, die Zauberformel etwas dem europäischen Geschmack anzupassen (der sich ja wiederum immer mehr dem amerikanischen Geschmack anpasst) und sich um europäische Hersteller bemüht, dann spricht auf längere Sicht nichts gegen European Stock Car Racing.

Das setzt natürlich eines voraus: dass der France-Clan und seine Alliierten wirklich nach Europa wollen. Sofern sie sich dieses Ziel setzen, gibt es bei uns niemanden, der sie aufhalten könnte. Der verkrusteten FIA und ihrer Formel Fad täte etwas ernste Konkurrenz ganz gut,

meint Ihr

Johannes Gauglica

News aus anderen Motorline-Channels:

Weitere Artikel:

Rallycross Wachauring: Bericht

Harte Zweikämpfe

Mit hochklassigen Rennen ging das AV-NÖ Rallycross von Melk über die Bühne. Dank der harten internationalen Konkurrenz der FIA Zentraleuropa-Meisterschaft hatten es die Österreicher schwer, Gerald Woldrich holte dennoch einen umjubelten Heimsieg.

GP von Bahrain: Qualifying

Piastri holt Pole vor Russell

Das war knapper als gedacht: Lando Norris im Sachir-Qualifying nur auf P6, Mercedes stärker als gedacht - aber Oscar Piastri liefert auf den Punkt ab und fährt auf P1

DTM: Die große Saisonvorschau

DTM 2025: Es ist angerichtet

Die DTM geht in ihre 41. Saison. Am Start sind 24 Fahrer mit 14 Nationalitäten, die Renner von neun unterschiedlichen Marken pilotieren und damit die optimalen Voraussetzungen schaffen für spannenden und Action-reichen Motorsport

GP von Saudi Arabien: Qualifying

"Magic Max" Verstappen erobert Saudi-Pole!

Die McLaren-Dominanz hat im Qualifying in Dschidda wieder nicht gereicht, um Max Verstappen zu schlagen - Lando Norris nach Q3-Unfall nur auf Platz 10

DTM-Rennen Oschersleben 2

Güven feiert seinen ersten DTM-Sieg

Ayhancan Güven feiert im spannenden Strategie-Poker in Oschersleben den ersten DTM-Sieg vor Mercedes-Pilot Jules Gounon & Manthey-Teamkollege Thomas Preining