MOTORSPORT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

Vom Berg- zum Weltmeister

Der 32jährige Tourenwagen-Champion aus Guernsey ist nicht nur ein schneller Fahrer, sondern auch ein Taktiker - und das selbst während des Rennens.

Johannes.Gauglica@motorline.cc

“Ich bin fast überwältigt von Gefühlen“, meinte der alte und neue Weltmeister nach dem zweiten Lauf in China der Saison, „der Druck auf mich war massiv. Das zweite Rennen war das härteste, das ich je gefahren bin!“ – und der bisherige Höhepunkt einer steilen Tourenwagenkarriere. In seinem vierten Jahr als internationaler Tourenwagenfahrer gelang ihm bereits der dritte Titel.

Sein Medien-Lächeln wirkt etwas gezwungen, er sagt routiniert die richtigen Dinge zur richtigen Zeit, die Person versteckt sich manchmal hinter der Profi-Fassade. Unter allen FIA-Weltmeistern ist er momentan der "große Unbekannte".

Wer also ist Andy Priaulx?

Werdegang eines Weltmeisters

1974 wurde Andy Priaulx in eine Racing-begeisterte Familie geboren und lotete bald die motorsportlichen Möglichkeiten seiner engeren Heimat aus. Nach Erfolgen im Jugend-Motocross, wie dem Titel des Channel Islands Champion, wechselte er für kurze Zeit aufs Wasser und fuhr Offshore-Powerbootrennen (natürlich denken wir Österreicher da sofort an einen anderen Ex-Europameister mit Motorboot-Vergangenheit namens Dieter Quester). Vom Meer in die Berge: Der 21jährige Andy holte sich ungeschlagen die britische Meisterkrone 1995.

Es folgte eine harte Zeit in den Nachwuchsformeln: 1999 wiederholte Priaulx das Kunststück der Bergmeisterschaft in der Renault Spider Trophy mit 13 Siegen und 13 Pole Positions in 13 Rennen. Daneben bekam er auch die Härten des Geschäftes zu spüren, in dem Talent ohne Sponsorgelder sich nur mühsam durchsetzt. Seine Formel-3-Zeit endete letztlich auch wegen Budgetmangel.

Vom F3-Underdog zum Tourenwagenstar

Die erste Bekanntschaft mit den Tourenwagen gab es 2001, im Jahr darauf folgte eine Saison in der britischen Meisterschaft auf einem Honda Civic Type R, mit einem Sieg und drei Pole Positions. Die BTCC war damals bei schlechter Gesundheit, also wechselte Priaulx - wie später auch seine Landsleute Rob Huff und James Thompson - ab 2003 in die internationale Szene, zum Team Carly Motorsport in die ETCC. Und hatte 2004 mit dem belgischen Team Racing Bart Mampaey (RBM) schon den großen Erfolg: Europameister!

2005 brachte neben dem Weltmeistertitel auch einen Sieg beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring und Testfahrten im Formel-1-Williams. Und 2006 also die WM-Titelverteidigung, die erste überhaupt – denn Roberto Ravaglia hatte 1988 keine Chance dazu. Damals wurde die WM nach nur einem Jahr wieder abgeblasen.

Mit der so typischen Konstanz gelang es Andy Priaulx 2005, in 16 von 20 WTCC-Läufen Punkte zu sammeln. Diese Beständigkeit wurde auch belohnt - ein Jahr darauf genügte bloßes Durchkommen aber nicht mehr.

2006: Neue Priaulx-ritäten

Es war klar, dass aufgrund des erhöhten Zusatzgewichts von bis zu 80 Kilogramm mit geringem Ballast so viele Punkte wie möglich gesammelt werden müssen, nach dem Motto: Alles auf Sieg. Bereits beim Saisonauftakt in Monza setzte der BMW-UK-Fahrer dieses Vorhaben in die Tat um. Er fuhr im neuen BMW 320si auf die Pole Position und sicherte sich den Sieg im ersten Rennen.

Vier weitere Triumphe in Magny-Cours, Oschersleben, Curitiba und Macau folgten; nicht selten machte sich Priaulx dabei die umgekehrte Startreihenfolge im zweiten Rennen zunutze: Für den zweiten Lauf werden in der WTCC nämlich die ersten acht Plätze umgedreht. So entwickelte sich Priaulx 2006 vom konstanten Punktesammler zum Seriensieger. Kein Pilot gewann heuer mehr Läufe als er.

Nach dem Training oder Qualifying sieht Priaulx seine Arbeit noch lange nicht als erledigt an. Stundenlang brütet er mit seinem Renningenieuren und Teamchef Mampaey über den Telemetriedaten, akribisch arbeitet er daran, das Auto noch besser zu machen. Und dieser Aufwand hat sich auch 2006 gelohnt: Das Team war schon früh in der Lage, den 320si auf das hohe Handicapgewicht von maximal 80 Kilo so abzustimmen, dass Priaulx schnelle Zeiten erreichen konnte - ein unschätzbarer Vorteil.

"Vor dem Rennen" ist immer

Zuhause auf der sonnigen Atlantikinsel ist Andy Priaulx als erfolgreichster "Exportartikel" seit Jahren ein echter Star, seine Landsleute haben ihn bereits zum Sportler des Jahres gewählt. Abschalten kann er nur im Kreis seine Familie. Bei jedem Interview schickt er artig Grüße an seine beiden Kinder daheim in Guernsey - seine Tochter mußte zum dritten Mal in Folge ihren Geburtstag ohne Papa feiern.

Ehefrau Joanne ist bei den meisten Rennen dabei und freut sich über jeden Sieg ihres Mannes, als wäre es sein erster. „Aber selbst, wenn ich mit meiner Frau zuhause sitze und wir aufs Meer blicken“, sagt Priaulx, „grüble ich manchmal über Verbesserungen an meinem Auto nach.“ Das macht den Tourenwagen-Weltmeister aus.

News aus anderen Motorline-Channels:

Weitere Artikel:

"Wie hirnlos muss man sein?"

Wolff fassungslos über Red-Bull-Vorwurf

Red Bull warf Andrea Kimi Antonelli offen vor, Lando Norris in Katar absichtlich vorbeigelassen zu haben, doch da platzt Mercedes-Boss Toto Wolff die Hutschnur

Geheimplan für 24h Nürburgring?

Verstappen testet Mercedes-AMG GT3

Warum Max Verstappen in Estoril einen AMG-Boliden mit Red-Bull-Logos testete, wie sein Mercedes-Plan für die Nordschleife aussieht und wovon der Start 2026 abhängt

Formel 1 Katar: Sprint

Piastri siegt und holt auf Norris auf

Es wird wieder enger in der Formel-1-Fahrerwertung: Oscar Piastri gewinnt den Sprint in Katar und reduziert seinen WM-Rückstand auf Lando Norris

Helmut Marko: Abschied bahnt sich an

Marko und Red Bull: Zeichen stehen auf Abschied

Helmut Marko steht vor dem Rückzug aus seiner Funktion als Motorsport-Berater von Red Bull in der Formel 1 - trotz eines ursprünglich bis 2026 laufenden Vertrags