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Unterschiedliche Ansichten betreffend Kundensport Mit den Le-Mans-Daytona-Hybrid-Boliden soll auch eine neue Kundensport-Ära eingeläutet werden
Andreas Beil

LMH und LMDh: Wie sieht es nun mit Kundenautos aus?

Toyota sieht Perspektiven, Le-Mans-Hypercars and Kunden zu geben - Acura hat das für seinen LMDh gar nicht erst auf dem Radar - Ein Blick auf die Marktlage

Die Frage, ob die kommenden Jahre in der Le-Mans-Szene ein ähnliches "Goldenes Zeitalter" wie einst die Gruppe-C-Zeit sehen werden, hängt mit davon ab, ob die Hypercars in Kundenhand gegeben und von diesen eingesetzt werden können. Allerdings vertreten die Hersteller sehr unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema.

Das LMDh-Reglement ist ausdrücklich in der Absicht geschrieben worden, auch Nicht-Werkseinsätze zu ermöglichen - etwas, das mit den LMP1-Hybriden der jüngeren Vergangenheit schlicht nicht möglich war. Porsche hat bereits Nägel mit Köpfen gemacht und vier 963 an Kunden verkauft.

LMDh: Erste Kundenautos ab April

Zwar werden Jota, JDC-Miller und Proton noch bis April warten müssen, um ihre LMDh-Boliden in Empfang zu nehmen. Doch der Deal steht schon einmal. Porsche hat auf diesem Spielfeld also die Nase vorn und will 2024 weitere vier Kundenautos auf den Markt bringen.

Cadillac hat sich zu dem Thema noch nicht öffentlich geäußert, aber in der Vergangenheit Kundeneinsätze in der IMSA SportsCar Championship mit seinem DPi-Boliden ermöglicht. Bei den Einsätzen von Action Express und Ganassi hat sich General Motors in den vergangenen Jahren hingegen immer stärker werksseitig involviert.

BMW hat Kundeneinsätze in Aussicht gestellt, ist aber momentan erst einmal damit beschäftigt, die Werksprogramme in der IMSA 2023 mit RLL und der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) 2024 mit WRT zu stemmen. Danach ist alles möglich.

Ein Dementi kommt derweil von Acura. "Unser [LMDh-] Business-Modell ist nicht der Kundensport, sondern Werkseinsätze", sagt Kelvin Fu, Sportchef von Honda Performance Development (HPD), gegenüber 'Sportscar365'. "Das sind hochkomplizierte Autos, die einen Schritt über DPi liegen."

HPD gab einst in der amerikanischen Le-Mans-Serie Autos in Kundenhand, hat sich aber schon zu DPi-Zeiten auf Werkseinsätze mit Penske, Wayne Taylor und Meyer Shank Racing konzentriert. Das liegt auch daran, dass sich die Szene stark verändert hat. LMP1-Fahrzeuge waren unter den 2014er-Regluarien nicht mehr für Kunden vorgesehen, die Tür in die LMP2 war ab 2017 für HPD ebenfalls geschlossen.

Während Porsche bereits über eine weltweite Infrastruktur für Kundensport aus seinen GT3- und GTE-Projekten verfügte, hat HPD eine solche nie aufgebaut. Die Einsätze der GT3-Boliden in Nordamerika (für den Rest der Welt ist JAS zuständig) konzentrieren sich auf einen kleinen Kern. Außerdem redet der Hersteller immer mit.

"Porsche hat da ein völlig anderes Modell", bestätigt Fu und fragt rhetorisch: "Was ist denn Kundensport überhaupt noch? Man schaue sich mal die Porsche-Kundenteams an. Wie viel Porsche-Support bekommen sie? Wir sind bei Shank und Wayne Taylor voll involviert und halten das für den besten Weg, um zu gewinnen."

Eine Hintertür lässt er dennoch offen: "Vielleicht irgendwann mal, wenn wir das Auto und die Software verstehen. Wenn dann ein wirklich gutes Kundenteam kommt, das die Fähigkeiten mitbringt... Und da ist viel Kompetenz gefragt, um auch nur die Basics hinzukriegen. Wenn sie von sich aus solche Kompetenz mitbringen, dann können wir reden."

Lamborghini und Alpine befinden sich mit ihren LMDh-Programmen noch in der Entwicklungsphase. Lambo verfügt über eine Kundensport-Infrastruktur und hat solche Einsätze bereits ausdrücklich in Aussicht gestellt. Alpine hatte im Sommer einen Deal mit Andretti an der Angel. Doch in die Formel 1 will Andretti nun mit Cadillac in Angriff nehmen und in der IMSA ist man mit Wayne Taylor (Acura) zusammengegangen.

LMH: Toyota sieht Möglichkeiten für Kundenfahrzeuge

Auf der anderen Seite stehen die Le-Mans-Hypercars. Aston Martin hat seinen Rückzug Anfang 2020 damit begründet, dass die LMDh-Boliden den Kundenmarkt für LMH-Boliden kaputtgemacht hätten. Außerdem ist der damals geplante Kunde R-Motorsport motorsportlich von der Bildfläche verschwunden.

Doch Toyota will das Argument nicht gelten lassen. "Es ist definitiv möglichen", sagt Technikchef Pascal Vasselon gegenüber unserem Schwesterportal 'Motorsport.com Global'. "Es ist momentan nicht unsere Strategie. Aber wäre prinzipiell möglich, Kundenteams mit einem LMH zu haben."

Ferrari hat mit dem 499P für die Zukunft Kundeneinsätze ins Visier genommen. Die Italiener verfügen über eine weltweite Kundensportplattform und auch reichlich Kundenteams. Risi Competizione hat bereits großes Interesse an IMSA-Einsätzen angekündigt. Doch für 2023 konzentriert sich Ferrari auf den Werkseinsatz in der WEC mit AF Corse.

Und auch Peugeot hat bereits ausdrücklich Kundeneinsätze mit dem 9X8 ins Gespräch gebracht. Allerdings erwies sich das Le-Mans-Hypercar bei seinen drei WEC-Einsätzen in Monza, Fuji und Bahrain 2022 noch als fehleranfällig, sodass dieses Thema erst einmal hintenansteht.

Glickenhaus will für 2022 eine zusätzliche Nennung bei den 24 Stunden von Le Mans unter der Bewerbung seines Vertriebspartners HK Motorcars eingereicht. Auch wenn der Einsatz natürlich in enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller erfolgt, ist es ein erster Schritt zu zeigen, dass der 007 LMH auch von Kunden eingesetzt werden kann. Zumal die komplexe Hybridtechnologie wegfällt.

Gleiches gilt für den Vanwall Vandervell LMH 680: Dieser ist ebenfalls im Hinblick auf mögliche Kundeneinsätze entwickelt und kommt ohne Hybridantrieb aus. Dass das Auto von Kunden eingesetzt werden kann, hat Colin Kolles im Interview mit 'Motorsport-Total.com' bereits bestätigt.

Dass die LMH-Fahrzeuge konkurrenzfähig geworden sind, liegt auch an Kostensteigerungen bei den LMDh-Boliden im Zuge der aktuellen Inflation. "Die Entwicklungskosten lagen höher als erwartet", gibt Fu (HPD) zu. "Bei den Einsatzkosten müssen wir noch sehen. Das meiste ist auf die Lieferkettenprobleme zurückzuführen."

Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach widerspricht jedoch. "Das würde ich so nicht sagen. Nicht generell. Es ist nicht teurer geworden als wir ursprünglich erwartet haben. Für mich ist LMDh ein guter Kompromiss zwischen Kostenkontrolle und der Freiheit, ein eigenes Auto zu bauen", sagt er ebenfalls gegenüber 'Motorsport.com Global'.

Die andere Seite: Besteht eigentlich Nachfrage?

Um die Angebotsseite ist es also gut bestellt. Natürlich bringt aber das beste Angebot nichts, wenn es keine Nachfrage gibt. Und das ist momentan eher der Knackpunkt. Porsche hatte beispielsweise bei Ankündigung des LMDh-Projekts weit mehr als 20 Anfragen von interessierten Teams auf dem Tisch liegen. Doch ebenso schnell wurden Interessenten aussortiert, weil sie nicht in der Lage gewesen wären, die LMDh-Boliden vernünftig einzusetzen.

Die letzte Stufe vor der Hypercar-Klasse ist die LMP2. Und die wird mittlerweile am oberen Ende stark abgegrast. Die Klasse, die wahrscheinlich vor ihrer letzten WEC-Saison steht, offenbart fast ausschließlich Teams, die bereits Hypercar-technisch "vergeben" sind.

Jota macht Porsche, Vector will mit Isotta Fraschini zusammenspannen. Signatech Alpine steht vor einem Übergangsjahr, WRT bereitet sich mit BMW und Prema/Iron Lynx mit Lamborghini vor. So bleiben lediglich United Autosports und Inter Europol übrig.

Erstere würden nach jetzigem Stand nur in Kombination mit McLaren in die Topklasse wechseln, doch dort gibt es seit Jahren einen Zickzack-Kurs im Zuge klammer Finanzen und roter Zahlen. Und Inter Europol ist das kleinste der Teams, die in der stark professionalisierten LMP2 der WEC erhalten geblieben sind.

In der GTE-Klasse tummelt sich eine Reihe von Teams, die sehr bald entscheiden müssen, ob sie in der GT3-basierten Klasse bleiben wollen oder vielleicht doch zu den Hypercars wechseln möchten. Proton Competition hat den Aufstieg in die Topklasse schon für 2023 geschafft.

Natürlich sind die GT3 die sicherere Bank, denn diese Autos lassen sich überall einsetzen, auch außerhalb der ACO-Serien. Letztlich wird es von der Risikobereitschaft der Teamleitung abhängen, ob GT-Teams zu Hypercar-Kundenteams werden wollen. Natürlich sind auch zweigleisige Lösungen möglich.

Beim Blick in die europäische Le-Mans-Serie (ELMS) offenbaren sich mit Panis, Cool Racing und Idec Sport die professionellsten Mannschaften neben mehreren Teams, die auch in der WEC vertreten sind. In der IMSA ist die LMP2 stärker auf Amateure ausgerichtet, doch mit TDS Racing, Algarve Pro Racing (APR) oder High Class Racing sind auch hier namhafte Teams vertreten.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung muss stimmen

Allerdings wären in allen Fällen signifikante Aufstockungen beim Budget nötig, um ein Engagement in der Topklasse zu wagen. Womit sich bereits die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis stellt. Aktuell ist ein möglicher ELMS-Titel für Panis attraktiver, als für das mehrfache Geld um zweistellige Positionen in der Hypercar-Klasse der WEC zu kämpfen.

Vieles wird also davon abhängen, ob im Zuge der Prototypen-Renaissance der Markt wächst. Sollten WEC und IMSA ihren Marketing-Gegenwert in den kommenden Jahren erhöhen, ohne dass die Eintrittsschwelle nennenswert erhöht wird, könnte sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis in die richtige Richtung verschieben und mehr Kundenteams anlocken.

Um es mal mit den Worten von Sebastien Bourdais zu sagen, als es ums Thema IndyCar/ChampCar ging: Besser, man gibt 30 Millionen Euro pro Jahr aus und erhält einen Marketing-Gegenwert von 50 Millionen, als wenn man fünf Millionen ausgibt, aber der Gegenwert nur drei Millionen beträgt.

Bekanntermaßen treten solche Effekte allerdings erst mit Verzögerung ein. Sprich: Es wird ein paar Jahre brauchen, bis sich der sportliche Erfolg einer Serie auf kommerzieller Ebene widerspiegelt, etwa bei TV-Verträgen. Dann aber rennen die Boliden schon wieder dem Ende der geplanten Homologationsperiode entgegen, die nach momentanen Plänen 2027 enden soll.

Hoffnungen auf "Frischfleisch" gibt es allerdings: Der ACO hat in der Vergangenheit viel dafür getan, dass neue Teams sich über LMP3 und LMP2 empfehlen können. Es gibt eine funktionierende Leiter vom Le Mans Cup über die kontinentalen Le-Mans-Serien beziehungsweise der IMSA bis hin zur Topkategorie.

Das Angebot wird angenommen. Gerade im Le-Mans-Cup tummeln sich zahlreiche Teams, die vom erwarteten Boom des Prototypensports profitieren wollen. Natürlich sind LMP3-Teams noch mehrere Jahre davon entfernt, über die Kapazitäten zu verfügen, um ein Fahrzeug in der Hypercar-/GTP-Klasse einzusetzen.

Aber sollten IMSA und WEC auch wirtschaftlich einen Wachstumskurs in den kommenden Jahren fahren, dürfte auch auf Seiten der Nachfrage mit einem erhöhten Aufkommen zu rechnen sein.

Motorsport-Total.com

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