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Wie höflich müssen Formel 1-Piloten sein?

Alonso war in Monaco außer sich. Im Zustand der höchsten Emotionalität siegt das Spontane über die Sprachhülsen des Corporate Behaviour der Formel 1.

Michael Noir Trawniczek

„Zunächst möchte ich mich bei meinem Team bedanken, welches das gesamte Wochenende über einen hervorragenden Job erledigt hatte. Und bei den Mechanikern und den Ingenieuren, die bis spät in die Nacht gearbeitet haben. Bei meinem Teamchef, der auch in schwierigen Zeiten an mich geglaubt hat. Und natürlich auch bei meinen Sponsoren, welche diesen Erfolg überhaupt erst ermöglicht haben. Und selbstverständlich auch bei meinen Eltern, ohne die ich gar nicht auf der Welt wäre...“ – eine x-beliebige und frei erfundene Aussage. Man kennt diese Sätze. Sie gehören in das Standardrepertoire eines Formel 1-Piloten der Gegenwart. Bernie Ecclestone sagte dazu vor rund einem Jahr nur lapidar: „Eure Danksagungen sind Mist.“

Die jungen Fahrer bekommen diese Standardfloskeln schon am Beginn ihrer Karriere eingetrichtert. Die Sponsoren müssen nicht nur eifrig bedankt werden, auch die Kappe darf nicht einfach so abgenommen werden. Die Logos der Sponsoren müssen erkennbar sein. Die Hersteller wollen Familienautos, die Sponsoren ihre beworbenen Produkte verkaufen. Es geht um viel Geld. Zugleich dürfen teaminterne Daten und Informationen nicht verraten werden. Ein Ausfallsgrund darf erst nach Rücksprache mit dem Team definiert werden. Oft wird dabei mehr um- als beschrieben. Unzufriedenheit mit dem Auto wird zwischen den Zeilen transportiert, in etwa so: „Das Auto ist nahezu perfekt. Es gibt noch Verbesserungspotential.“

Als Pilot weiß man also ganz genau, was man sagen muss und was man keinesfalls sagen darf. Was dabei übrig bleibt, sind eben die alt bekannten Sprachhülsen. Die Piloten haben wenig Spielraum. Sie müssen es allen Recht machen. Die Schuld liegt nicht bei ihnen. Sie kämpfen jahrelang um einen Platz in der Königsklasse, diesen wollen sie nicht verlieren. Sie sagen lieber zu wenig, als zu viel.

Ausnahmezustand: In der Hitze des Gefechts regiert das Gefühl

Doch es gibt einen Ausnahmezustand. Jenen der höchsten Emotionalität. In der Hitze des Gefechts regiert das Gefühl. Fernando Alonso hat in Monaco noch während er in seinem Auto dahinschleuderte seinen rausgestreckten Mittelfinger dem Kontrahenten Ralf Schumacher gezeigt. Er fühlte sich von Schumacher abgedrängt und wetterte: „Man sollte Ralf Schumacher aus der Formel 1 schmeißen.“ Für Ralf Schumacher waren die Aussagen des jungen Spaniers „einfach nur Mist“.

Nun gibt es Stimmen unter den Formel 1-Fans, welche ein solches Benehmen der Piloten nicht akzeptabel finden. Die Piloten der Königsklasse seien auch Vorbilder, man müsse solche Aktionen mit empfindlichen Geldstrafen ahnden. Im täglichen Leben könne man auch nicht ungeschoren fluchen, schon gar nicht in einer repräsentativen Position. Die Argumentation ist stimmig, nur: Wohin soll das führen?

Die Formel 1 beklagt schon seit längerem einen Verlust an Persönlichkeiten. Unter den Formel 1-Piloten würde man immer weniger Charakterköpfe finden, moniert Formel 1-Drahtzieher Bernie Ecclestone immer wieder. Ex-Pilot Eddie Irvine, wegen seinem unkonventionellen Auftreten selbst oft genug kritisiert, erklärte gegenüber der Gazetta dello Sport: „Es ist lächerlich, dass ein Jacques Villeneuve nicht mehr in der Formel 1 ist. Die Teams wollen Fahrer ohne Persönlichkeit. Sie wollen, dass die Autos die Stars sind, und nicht die Fahrer.“

Piloten wie Jacques Villeneuve sind für den Verkauf von Familien-PKWs nur wenig nützlich, ein David Coulthard ist der perfekte Schwiegersohn, mit ihm kann man tolle Werbefilmchen drehen. Die Piloten der Gegenwart wurden von den Herstellern zu austauschbaren Posten auf ihren Inventarlisten degradiert. Stars oder gar Starallüren sind da nicht gefragt. Wird jemand unbequem, wird er entfernt.

Dürfen F1-Piloten fluchen? Ja, denn sie haben es schwer genug, werden vom Corporate Behaviour der Hersteller sterilisiert...

Ein Tomas Scheckter hat seinen Testvertrag bei Jaguar verloren, weil er mit einem Freudenmädchen im Privatauto erwischt wurde. Ein Tomas Enge hätte beinahe seine Motorsportkarriere beenden müssen, weil er Marihuana konsumiert hatte. Ein Christian Klien wurde in Deutschland heftig gescholten, weil er sich erlaubt hatte, seine private Meinung über den ihm bislang nicht persönlich bekannten Michael Schumacher zu äußern. Ein Alex Wurz darf als McLaren-Testpilot keine eigene Homepage ins Netz stellen.

Alles muss perfekt in die Verkaufsstrategie des jeweiligen Automobilkonzerns passen. Die Fahrer stehen unter einem mächtigen Druck. Nur ja nicht zu viel sagen. Da kann es schon vorkommen, dass ein Felipe Massa in einer Pressekonferenz rund zehnmal die Floskel „I have learned a lot“ daherstammelt. Würde man die Fahrer nun für bestimmte Vergehen im Bereich des Betragens bestrafen, würde man sie noch weiter beschneiden.

Möchte man wieder Ikonen wie einen James Hunt, einen Gerhard Berger, einen Jacques Villeneuve, einen Ayrton Senna, einen Eddie Irvine oder jemanden wie Motorrad-Ass Valentino Rossi in der Formel 1 erleben, muss man den Charakteren auch jene Freiräume zugestehen, die für deren Entwicklung notwendig sind.

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