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Der Rüstungswahnsinn treibt munter seine Blüten

Vom Sparen keine Rede. Bei den Wintertests wurden wieder Millionen ausgegeben. Angereiste Fans sehen Stellwände und verhüllte Boliden...

Michael Noir Trawniczek

Es wurde gejammert und kritisiert: Die Formel 1 wird immer teurer! Wir müssen sparen! Der Wahnsinn muss ein Ende haben! Vor rund einem Jahr hat dann FIA-Präsident Max Mosley seine langen Briefe und seine Regeländerungen respektive die Neuauslegung bestehender Regeln, die sogenannten neuen Verfahren, durchgeboxt. Immer mit der Begründung: Wir müssen sparen!

Im Nachhinein betrachtet muss man sagen: Die einschneidenden Maßnahmen haben zwar einen neuen Wochenendablauf, ein neues, den Sieg entwertendes und somit künstlich Spannung gebietendes Punktesystem, einige bunte Startaufstellungen und die für manche Formel 1-Fans spannende Unwissenheit betreffend des Tankinhalts im Qualifying gebracht – nur: Gespart wird noch immer nicht. Im Gegenteil: Es kommt die Frage auf, ob dieses Sparen überhaupt jemals wirklich im Vordergrund stand...

Die Aussagen und die Handlungen von Max Mosley beziehungsweise der Automobilsportbehörde FIA sind recht widersprüchlich. Einerseits sagt Mosley beispielsweise, dass die kolossale Geldverschwendung dann ein Ende nehmen würde, wenn nur noch eine Reifenfirma in der Königsklasse vertreten wäre, andererseits hat die FIA im „Sparefroh-Jahr“ 2003 erstmals den Gummigiganten erlaubt, für jedes Team separat quasi maßgeschneiderte Pneus zu entwickeln. Dass dies nicht billiger, sondern teurer ist, kann man nicht wirklich verleugnen...

Die selbe Situation also wie bei den elektronischen Fahrhilfen – theoretisch gibt man eine bestimmte Meinung vor, stellt sich auf die Seite der Fans und des Sports, in der Praxis aber werden Beschlüsse gefasst, welche nur einer Partei gerecht werden – der Automobil- bzw. der Reifenindustrie. Und die will, aus ihrer Sicht betrachtet verständlicherweise, in einem Hightechaufrüstungskrieg zeigen dürfen, wozu sie in der Lage ist. Ob die Fahrer dabei nur noch zehn Prozent der Performance ausmachen, ist den Konzernen herzlich egal, im Gegenteil: Je unwichtiger der Pilot, desto mehr Augenmerk wird den technischen Errungenschaften der Industrie geschenkt.

Daher wird auch kräftig weiter entwickelt. Daher werden weiterhin Milliarden in Windkanalstunden investiert, um winzige Details am Flügelwerk der Formel 1-Boliden auszutüfteln. Daher werden weiterhin sündteure Testfahrten abgehalten. Unsere Kollegen vom Schweizer Blick schätzen, dass bei den seit dem 7. Januar in Spanien, Frankreich und Italien abgehaltenen Testfahrten rund 80 Millionen Dollar verpulvert wurden. Zudem prangern die Kollegen zu Recht den bei den Tests immer noch erlaubten Verhüllungswahnsinn der gegenwärtigen Formel 1 an. Während Max Mosley die berühmten Stellwände vor den Boxen an den Grand Prix-Wochenenden verboten hat, sind sie bei den Testfahrten immer noch Usus.

Die wenigen Fans, die zu den Tests angereist kommen, sind wohl jene, die ein ganz großes Herz für die Königsklasse haben. Und was sehen diese Eingefleischten? Nichts. Denn die Teams haben Angst vor Spionage. Ihre neuen Renner, die großteils ohnehin aussehen wie die alten, könnten ja fotografiert werden. Dabei sind die Stellwände ohnehin nur Schnickschnack - ein „Verantwortlicher eines der drei Topteams“, wie der Blick zum Schutze des Mannes formuliert, erklärte den Kollegen: „Die Stellwände sind doch nur dazu da, damit man vorgeben kann, etwas zu verschleiern, was es gar nicht gibt, um so die paranoide Formel-1-Gesellschaft zu verunsichern.“

Nur das Schweizer Sauber-Team pfeift auf das Versteckspiel. Peter Sauber zu den Schweizer Kollegen: „Lächerlich. Bei uns kann jeder reinschauen. Aber wenn in der Formel 1 ein Team etwas macht, dann macht es das andere auch. Es ist wie im Kindergarten.“

Die „Tante“ dieses Hightech-Kindergartens, Formel 1-Drahtzieher Bernie Ecclestone, gab unterdessen gegenüber den Kollegen von Autosport einmal mehr die altbekannte Leier von sich: „Wir müssen die Kosten dramatisch reduzieren – es geht schlichtweg um das Überleben der Formel 1.“ Und: „Wenn wir die Kosten nicht reduzieren, werden die Leute, die in der Formel 1 top sind und all das Geld investieren, irgendwann einmal sagen: ‚Wir haben genug investiert und es ist besser, wenn wir gehen.’.“

Was Ecclestone meint: Die Geschichte hat gezeigt, dass Automobilkonzerne im Gegensatz zu den mit Haut und Haaren der Königsklasse verschriebenen sogenannten Bastlerbuden aus England die Formel 1 in erster Linie als Marketingvehikel instrumentalisiert. Hat man zu viele Jahre erfolglos zu viel Geld investiert, dreht der Vorstand das Projekt ab. Als Beispiel sei Peugeot genannt. Hat der Konzern viele Jahre viel Geld investiert und dabei einige Titel eingeheimst, legt der Vorstand schon mal eine kreative Pause ein – unter dem Motto: Wir haben alles gewonnen, unser Image ist top, wir können nur noch verlieren, daher eine Pause. Als Beispiel Renault. Die dritte Variante ist, den Geldhahn langsam immer kleiner zu drehen, als Beispiel dient Jaguar.

Die Kosten wurden ja auch nicht weniger, sondern sie sind sogar gestiegen. Die Entwicklung der Wochenend-Motoren hat zusätzliches Budget verbraucht. Die neue Lebensdauer verlangte unzählige Longruns bei den Testfahrten, der Reifenkrieg tobt wie schon lange nicht, die Kostenspirale ging also einmal mehr nach oben. Und: Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Privatteam und Konzernteam, wurde wieder um ein Stück größer. Teams wie Jordan und Minardi sind nur noch Feldauffüller ohne jegliche Chance auf Erfolg. Sie können bei dem Testwahnsinn nicht mithalten. Sie treten bereits beim ersten Saison-Rennen mit einem Manko an Testrunden und somit an Erfahrungswerten an...

Zudem droht 2004 eine neuerliche Verdächtigungsorgie im Bereich der Elektronik. Die von den Herstellern durchgesetzte Beibehaltung der Traktionskontrolle könnte ein Bumerang werden - dann nämlich, wenn es wieder heißt: Das Team X hat in seiner Traction Control eine unerlaubte Launch Control versteckt. Dann droht wieder das Eingeständnis der FIA, dies nicht kontrollieren zu können. Es wäre jedenfalls nicht verwunderlich, würde man dann wieder klein beigeben und ab Saisonmitte auch wieder die Startautomatik erlauben. Und als Draufgabe, als Belohnung für versprochene billige Kundentriebwerke beispielsweise, könnte man dann ja auch gleich wieder die in diesem Jahr verbotene Automatikschaltung freigeben. Dann allerdings müsste man diese Systeme wieder im Rahmen von unzähligen und teuren Testfahrten erproben...

Diesen Rüstungswahnsinn stoppen könnte lediglich die FIA. Doch dazu müsste sie gegen den Willen der Hersteller handeln. Die wiederum möchte man nicht vergraulen oder gar verlieren. Mosley hat, so macht es den Anschein, resigniert. Der Brite, der im letzten Jahr noch lange Briefe zum Thema Sparen und Imageverlust der Formel 1 - „Die Zuschauer interessieren sich für Fahrer und Sport, nicht für Elektronik“ - geschrieben hatte, erklärte unlängst lapidar: „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Teams zum Sparen zu bewegen.“

Man riskiert eher sinkende Einschaltquoten als den Abschied von den Konzernen. Der Sport steht nicht mehr im Vordergrund, die Fahrer werden immer unwichtiger. Der vielzitierte „Affe im Formel 1-Cockpit“ – einen solchen Vergleich hätte sich vor zwanzig Jahren niemand anzustellen getraut. Und da die Piloten respektive ihr Talent immer unwichtiger werden, sind es auch nicht die großen Sieger der Nachwuchsklassen, die in die Königsklasse aufsteigen, sondern eben jene Fahrer, die einen fetten Geldkoffer im Gepäck haben. Anstatt der Fahrkunst der „weltbesten Automobillenker“ steht heute die Hochtechnologie der weltgrößten Automobilwerke in der Formel 1-Auslage.

Den Herstellern jedoch sollte es eigentlich auch im eigenen Interesse ein Anliegen sein, dass spannende Rennen, elektrisierende Zweikämpfe und ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis für hohe Einschaltziffern sorgen. Dass es die neueste Traktionskontrolle und um 5 Prozent gestiegene Aerodynamikwerte sind, welche die Leute vor das TV-Gerät oder gar an die Rennstrecke locken, darf zumindest einmal bezweifelt werden.

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