Formel 1: Exklusiv | 03.05.2005
"Die Autos waren höchst gefährlich!"
Teil 2 des Exklusiv-Interviews mit Andrea de Cesaris: Über die Erfolge mit Alfa Romeo, die Begegnung mit Michael Schumacher in Spa 1991 und die rasante Entwicklung der Formel 1-Boliden.
Michael Noir Trawniczek
Fotos: Andreas Wiesbauer, Station 68/motorline.cc
Aber du warst zum Beispiel in Monaco immer ziemlich erfolgreich. Ein Crashpilot würde dort kein Podium sehen. 1982 warst du als Dritter in der Fürstenloge. Und danach noch zwei vierte Plätze in Monte Carlo. War Monaco eine deiner Lieblingsstrecken?
Andrea de Cesaris: Ja, meine Lieblingsstrecken sind Monte Carlo und Spa-Francorchamps. Ich mag diese Strecken sehr, denn mein Fahrstil und meine Herangehensweise passen gut zu diesen Circuits.
Wie gefallen dir die neuen Strecken in Bahrain oder Shanghai?
Andrea de Cesaris: Ich weiß es nicht, da ich dort noch nie gefahren bin. Aber ich denke, man versucht einfach, Strecken zu bauen, die das Überholen erleichtern. Die Formel 1 ist ja an einem Punkt angelangt, an dem sie sehr langweilig wurde und daher muss man sich etwas einfallen lassen.
Man denkt ja auch immer wieder daran, die Aerodynamik zu reduzieren - einfach um es wieder zu ermöglichen, ungestraft an den Vordermann ranfahren zu können. Wie groß war die Dirty Air zu deiner Zeit?
Andrea de Cesaris: Man hatte auch damals einen Slipstream - den hat man immer, so lange man Flügel am Auto hat. Das ist nicht zu verhindern. Ich erinnere mich daran, als ich mit den Schürzen-Autos gefahren bin - da war das besonders ausgeprägt.
Aber ich glaube nicht so sehr, dass es an den Strecken liegt, dass so wenig überholt wird. Es liegt am Geld. Je mehr Geld investiert wird, je anspruchsvoller und hochgestochener die Autos sind, desto weniger Überholmanöver werde ich haben.
Die letzten Rennen waren...
Andrea de Cesaris: ...langweilig? Ich hab in diesem Jahr noch kein Rennen gesehen...
Nein, ganz im Gegenteil. Imola war wirklich elektrisierend, Schumacher's Aufholjagd auf Alonso war auch ohne Überholmanöver spannend. Und auch die ersten Saisonrennen waren gut. Im letzten Jahr gab es nur auf den Tilke-Strecken tolle Rennen, der Rest bestand großteils aus Prozessionen.
Andrea de Cesaris: Ja, die ersten Saisonrennen fanden ja auch auf neuen Strecken wie Malaysia oder Bahrain statt. Es ist einfach wichtig, dass man vor den Geraden keine schnellen Kurven hat, sondern langsame. Denn in schnellen Kurven kannst du dich nicht an das Heck des Vordermanns saugen, denn da verlierst du an Abtrieb. Man braucht langsame Kurven am Ende der Geraden.
1991 bist du für Jordan gefahren - und nachdem Bertrand Gachot ausfiel, kam in Spa ein gewisser Michael Schumacher als dein Stallkollege ins Team. Hast du da sofort gespürt: Das ist der kommende Superstar?
Andrea de Cesaris: Nein, nein, nein - es war andersrum. Für mich war das ein großes Problem. [lacht, d. Red.] Als er kam, war er sehr, sehr schnell. Und er kam das erste Mal nach Spa - und Spa ist ja eine der anspruchsvollsten Rennstrecken der Welt - und er war wirklich schnell unterwegs!
Im Training war er um einen Hauch schneller als ich. Das Team kam zu mir und man fragte mich [verstellt die Stimme, d. Red.]: 'Wie ist das möglich? Der Typ ist sehr jung - und er scheint ein sehr schneller Fahrer zu sein." Naja und du kannst dir vorstellen: Ich war besorgt, ich grübelte: 'Wie ist das nur möglich?'
Im Rennen warst du dann aber doch vor Schumacher, auf Platz 2 - bevor du ausgefallen bist.
Andrea de Cesaris: Ja, ja ich lag hinter Ayrton Senna auf Platz 2. Aber was Michael Schumacher betrifft, wusste ich sofort, dass er ein sehr guter Fahrer ist. Ich hatte ja schon schnelle Fahrer aus allen Generationen als Teamkollegen - aber bei ihm war für mein Team sofort klar: 'Das ist ein fantastischer Fahrer.' Und dann kamen sie zu mir und sagten: 'Du warst scheinbar nicht schnell genug - denn dieser Typ fährt hier sein erstes Rennen...' Einerseits hatte ich großes Glück, dass er bei diesem Rennen mein Teamkollege war. Andererseits war es auch großes Pech, plötzlich einen Teamkollegen zu haben, der ein solch schneller Fahrer ist - und niemand hat damals gewusst, dass er der erfolgreichste Fahrer der Welt werden würde.
Warst du froh, dass ihn Flavio Briatore sofort nach Spa zu Benetton geholt hat?
Andrea de Cesaris: Hmmmm - no...
Oder wäre es eine große Herausforderung für dich gewesen?
Andrea de Cesaris: Ich denke, in einer gewissen Weise hatte ich großes Glück, diesen Fahrer kennen zu lernen - gut, es war nur ein Rennen und da kann man jemanden noch nicht wirklich kennen lernen. Es wäre jedenfalls interessant gewesen, ihn als Teamkollegen zu haben. Aber definitiv ist es trotzdem so: Wenn du einen derart schnellen Newcomer hast, ist das immer schlecht für den Fahrer im Team, der schon lange dabei ist. Von dem Newcomer wird nichts erwartet - niemand erwartet irgendwas.
Aber es hat dir scheinbar einen großen Kick gegeben, denn du lagst ja im Rennen auf Platz 2 vor dem Ausfall?
Andrea de Cesaris: Ja - ganz sicher. Aber wir waren davor ja auch schon vorn dabei mit Jordan.
Deine erfolgreichste Zeit - das waren gleich die ersten beiden Jahre nach dem McLaren-Lehrjahr - bei Alfa Romeo, 1982 und 1983.
Andrea de Cesaris: Ja - das Auto war sehr gut - man hätte mit ihm sogar Rennen gewinnen können, aber der Wagen war sehr unzuverlässig. Unglücklicherweise gab es damals nicht diese Herangehensweise wie man sie heute hat. Wo es ein Testteam und einen Testpiloten gibt, die jeden Tag an der Standfestigkeit arbeiten. Damals wurde der Wagen einmal kurz getestet und schon ging's ab zum Rennen. Daher war die Strandfestigkeit damals bei weitem nicht so gut wie heute.
Ihr hattet wenig Testfahrten in der laufenden Saison.
Andrea de Cesaris: Ja, sehr wenig. Ohne diese Ausfälle hätte ich Rennen gewinnen können.
Du bist einige Male in Führung liegend ausgefallen. Was mir noch aufgefallen ist: Am Beginn und am Ende deiner Karriere gab es Todesfälle in der Formel 1. Patrick Depailler starb 1980 ein halbes Jahr vor deinem Formel 1-Debüt in einem Alfa Romeo. 1982 Ricardo Palletti und Gilles Villeneuve. 1986 Elio de Angelis. Und dann 1994 - im letzten Jahr deiner Karriere - Roland Ratzenberger und Ayrton Senna.
Andrea de Cesaris: Am Beginn meiner Karriere waren die Autos total gefährlich. Wirklich höchst gefährlich!
Es gab keine Karbonröhre.
Andrea de Cesaris: Es gab kein Karbon. Die Füße waren vor den Aufhängungen gelagert, es gab für die Füße keine vordere Knautschzone, sie lagen praktisch frei an vorderster Stelle. Die Strecken waren auch sehr gefährlich. Ich denke, so ab 1982 oder 1983 wurden die Autos dann sicherer.
Mit dem Kohlefaser-McLaren.
Andrea de Cesaris: Ja, mit dem Karbon-McLaren. Es wurden Crashtests eingeführt. Es wurden viele Modifikationen eingeführt. Zwischen 1985 und 1995 kamen noch weitere zahlreiche Verbesserungen dazu. Und ich würde sagen - ab 1999 waren die Autos wirklich sichere Fahrzeuge.
Der Unfall von Ayrton war auch sehr unglücklich - er schlug mit dieser großen Geschwindigkeit in die Mauer ein - aber das Pech bestand darin, dass sich ein Aufhängungsteil durch seinen Helm bohrte, denn sonst wäre er unverletzt davongekommen. Ich denke, am Ende meiner Karriere waren die Autos schon relativ sicher. Und heute haben wir sehr sichere Fahrzeuge.
Lesen Sie morgen Mittwoch auf motorline.cc: Letzter Teil des Gesprächs: Warum die Formel 1 wieder menschlicher werden sollte und über die Chancen auf ein Comeback von Andrea de Cesaris - im Jahr 2006...
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