
Formel 1: Saisonvorschau 2008 | 06.03.2008
Harte Vorgabe für die "besänftigte F1"
Was darf man von der Formel 1-WM 2008 erwarten? Kann die Dramatik des Vorjahrs überboten werden? Oder droht die Suppe ein wenig auszukühlen?
Michael Noir Trawniczek
Das vergangene Jahr wird als ein dramatisches in die Geschichte der Formel 1 eingehen. Die Spionageaffäre, natürlich. Aber auch vier gleichwertige Piloten in zwei Topteams. Vor allem der Kampf zwischen dem Doppelweltmeister Fernando Alonso und dem "Rekordrookie" Lewis Hamilton bei McLaren-Mercedes, der an Dramatik nichts zu wünschen übrig ließ.
Für 2008 wurde der Zündstoff ein wenig herausgenommen: Heikki Kovalainen sitzt nun an der Seite von Lewis Hamilton im Silberpfeil - die Experten erwarten, dass Hamilton bei McLaren das Zepter in Händen halten wird. Bei Ferrari erwartet Felipe Massa, weiterhin gleich behandelt zu werden. Fraglich ist nur, ob der Brasilianer auf Augenhöhe mit Räikkönen fahren wird können. Im Vorjahr musste sich der "Iceman" erst noch eingewöhnen - danach stand Massa doch im Schatten des Weltmeisters.
Spitze wieder spitz?
Vier Teams haben ihr Interesse an Siegen angemeldet - doch nur zwei werden tatsächlich siegfähig sein, zumindest am Beginn der Saison. Es wird so sein wie im Vorjahr - je nach Strecke wird einmal McLaren, dann wieder Ferrari die Nase vorne haben. Viele jedoch sehen den Kampf um den Titel nur noch als Duell zwischen Räikkönen und Hamilton.
Vielleicht erwartet Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo aus diesem Grunde eine "langweilige Weltmeisterschaft, aber immerhin ohne Magistratsabteilung und James Bond", wie er der Gazzetta dello Sport erklärte.
Doch auch im Vorjahr, im Jahr eins nach Michael Schumacher, wurde eine laue Saison erwartet - im Nachhinein betrachtet folgte die spannendste Saison seit langem. Wobei die Rennen selbst nur auf den neuen, extra auf die Bedürfnisse der modernen, überholunfreundlichen Formel 1 hin zugeschnittenen Rennstrecken wirkliche Spannung boten. Oder wenn der so genannte "Wettergott" das Seine beigetragen hat.
Keine Helferlein
Dank der neuen Einheitselektronik konnte endlich die leidige Traktionskontrolle verboten werden - die Piloten müssen nun wieder mit Gefühl auf das Gaspedal steigen, die Autos schwänzeln wieder am Kurvenausgang. Aber auch beim Bremsen war die Traction Control hilfreich (Stichwort Motorbremse). Natürlich können sich die Piloten, die auf diesem Level Motorsport betreiben, recht schnell auf das Fahren ohne Traktionskontrolle einstellen - jedoch allein das Verschwinden des hässlichen Knatterns, wenn die Traktionskontrolle einsetzt, ist ein großer Gewinn für die sogenannte "Königsklasse".
Im Regen könnte das Fahren ohne elektronische Abriegelung gefährlich werden, befürchten einige Piloten. Sie ernteten dafür die Häme eines Niki Lauda, er dazu nur sagte: "Sind die deppert? Wir mussten auch im Regen fahren, da gab es auch keine Traktionskontrolle." Bedingungen wie in Fuji im Vorjahr seien inakzeptabel, sagen einige Piloten - wegen der Sicht, wegen des Aquaplanings. Wie auch immer: F1-Rennen werden auch 2008 bei Regen abgehalten - sollten die Bedingungen einmal tatsächlich über der Grenze des Machbaren sein, so wird es an den Stewards liegen, dies festzustellen.
Keine F1 ohne Streit
Nicht völlig auszuschließen ist auch, dass allzu starke Piloten oder Teams unter Verdacht geraten könnten, trotz Standard-ECU eine Lösung zur Kontrolle der Traktion gefunden zu haben. Es wird dann erneut an der FIA liegen, hier für Klarheit zu sorgen. Genau das könnte ein Problem werden.
Weil die Entwicklung der Standard-ECU an ein Konglomerat zwischen Microsoft und einer Tochterfirma von McLaren vergeben wurde, wird in dieser Hinsicht ohnehin ein neuer Streit befürchtet - vor allem dann, wenn McLaren-Mercedes dominieren sollte. BMW Sauber und einige andere Teams haben von Beginn an erklärt, es sei unverständlich, warum die FIA einen solchen Auftrag an einen Mitbewerber vergeben hat.
Auch der so genannte "Kundenautostreit" ist noch nicht beigelegt. Force India-Teamchef Colin Kolles hat in einem exklusiven Interview mit motorline.cc erklärt, er werde weiterhin gegen Super Aguri und die Scuderia Toro Rosso protestieren, die seiner Meinung nach "keine Konstrukteure" seien und Kundenautos von Honda respektive Red Bull Racing benützen würden. Toro Rosso und Red Bull verweisen freilich auf die Drittfirma "Red Bull Technologies", welche regelkonform die beiden RB-Teams mit Konstruktionen beliefert - da es lediglich untersagt ist, von einem im Wettbewerb stehenden Team ein Chassis oder Chassisteile zu beziehen. Der Protest kann sich bis zur Jahresmitte hinziehen - Kolles deutete an, er könne sich auch die Streichung der bis dahin eingefahrenen WM-Punkte von Super Aguri und Toro Rosso vorstellen...
Cityflair
Die Formel 1 zieht es in die City - gleich zwei neue Stadtkurse wurden dem Grand Prix-Kalender hinzugefügt - in Singapur und Valencia. Beide Strecken sind auffällig schnelle Layouts - Singapur erklärt stolz, den schnellsten Stadtkurs der Welt zu besitzen. Während also auf den modernen Rennstrecken "Sturzräume so groß wie die Kalahari-Wüste" (Zitat Helmut Zwickl) errichtet wurden, wird in Singapur und Valencia mit über 300 km/h an Betonmauern entlang gerast. Ein Widerspruch, irgendwie.
In Singapur wird zudem das erste Nachtrennen der Formel 1-Geschichte stattfinden. Die Mehrzahl der Piloten erwartet aufgrund der Hightech-Flutlichtanlagen keinen großen Unterschied zu Tageslicht. Lediglich die Schattenbildung könnte Probleme erzeugen, sind sich die Piloten mehr oder weniger einig.
Diätjahr
Aus österreichischer Perspektive betrachtet ist 2008 ein Diätjahr. Zwar sind in der Wagenburg des Wanderzirkus Formel 1 mit Alex Wurz und Christian Klien gleich zwei heimische Piloten vertreten - doch beide sitzen als Test- und Entwicklungsfahrer auf der Ersatzbank. Die sonntägliche Bühne, die Rennstrecke also, muss vorerst ohne einem Landsmann auskommen. Bleiben die beiden heimischen Teams, wobei nur Red Bull Racing tatsächlich mit österreichischer Lizenz fährt.
Das Produkt
Aufgrund der Spionageaffäre war die Formel 1 im Vorjahr über die Sportseiten hinaus vermehrt in den Medien vertreten - der Skandal hat der Formel 1 nicht nur geschadet. Im Jahr 2008 will jedoch keiner mehr ein neuerliches Aufflammen der Affäre oder gar eine neue Spionagestory sehen. So wird die "Königsklasse des Automobilrennsports" wohl wieder vermehrt an dem gemessen, was sie als Produkt liefert. Es sind letztlich immer noch die Rennen, die eine Rennserie ausmachen. Wegen des Verbots der Traktionskontrolle gibt es zum Teil hohe Erwartungen, was den Spannungsgehalt anbelangt.
Doch in Sachen Überholfreundlichkeit wurden nur minimale Schritte vorgenommen - auf Strecken wie dem Catalunya-Citcuit wird es daher auch 2008 nur auf die Strategie ankommen. Auf den modernen Strecken mit ihren engen, aber breiten Kurven können jedoch wieder gute Rennen erwartet werden. Vor allem auch dann, wenn BMW Sauber und Renault doch noch den Anschluss an die Spitze schaffen sollten oder gar das ambitionierte Williams-Team für die große Überraschung sorgen kann. Aber selbst dann wird wohl wieder die großteils im Rahmenprogramm der Formel 1 abgehaltene GP2-Serie der Geheimtipp für jene Motorsportfreunde bleiben, die auf Überholaction Wert legen.
Lesen Sie am Freitag auf motorline.cc: Saisonvorschau, Teil 2 - Teams & Fahrer