Formel 1: Interview | 07.09.2011
Charlie Whitings Kampf gegen Windmühlen
Seit 1988 versucht der technische Delegierte der FIA, Teams beim Schummeln zu erwischen; wie alles anfing, und warum es ein ungleicher Kampf ist.
Der Brite Charlie Whiting trägt den vielleicht verantwortungsvollsten Job der FIA. Er ist nicht nur der Mann, der am Start die fünf roten Lichter auslöst, bereits seit 1988 ist er technischer Delegierter und seit 1997 Sicherheitsdelegierter und Renndirektor der FIA. Als Sprungbrett diente seine Funktion als Chefmechaniker bei Bernie Ecclestones Brabham-Rennstall in den 80er Jahren, die ihm die Tür zur FIA öffnete.
1987 verließ Ecclestone Brabham – Whiting hörte auf den Rat des nunmehrigen Formel-1-Zampanos. "Er hat mir empfohlen, für die FISA zu arbeiten, da mir bekannt war, welche Möglichkeiten die Teams haben, um zu schummeln", erinnert sich der 58jährige gegenüber GPWeek. "Er dachte, dass ich möglicherweise gut dafür geeignet wäre, sie zu erwischen."
Ungleicher Kampf
Keine leichte Aufgabe, denn Whiting musste die dafür zuständige Abteilung neu formieren. "Zu Beginn assistierte ich Gabriele Cardringher, der damals Chefsekretär war. Die Arbeit wurde aber komplizierter, und wir mussten ein kleines Team aufbauen. Wir mussten Analytiker, Software-Spezialisten und so weiter engagieren – die Abteilung wurde immer größer."
Verglichen mit der Anzahl an Teams und Ingenieuren muss Whiting aber nach wie vor mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern auskommen, um möglichen Grenzgängen der Rennställe auf die Schliche zu kommen. "Wir sind nicht viele Leute", bestätigt er. "Wir können nicht alles, was an jedem Auto zum Einsatz kommt, überprüfen. Wir müssen uns auf die abschreckende Wirkung einer möglichen Überprüfung verlassen."
Whiting ist bewusst, dass er einen verzweifelten Kampf gegen die Rennställe führt: "Die Arbeit ist sehr schwierig. Auf der einen Seite haben wir das gebündelte Wissen von wahrscheinlich tausend Ingenieuren, die insgesamt für die Teams arbeiten. Und wir müssen herausfinden, was sie möglicherweise tun werden oder nicht. Das ist manchmal ziemlich schwierig."
Doppeldiffusor war legal
Auch in der jüngsten Vergangenheit sah sich Whiting daher immer wieder zu Klarstellungen und Änderungen des Reglements gezwungen, da die Teams Schlupflöcher entdeckt hatten – Beispiele sind der angeblasene Diffusor, der F-Schacht oder der Doppeldiffusor. "Der Doppeldiffusor war eine wirklich clevere Idee, um eine Reglementänderung zu umgehen", zeigt sich Whiting im Nachhinein beeindruckt.
"Als die Regeln geändert wurden, dachte jeder, dass es unmöglich sein würde", spielt er auf den enormen Zusatzabtrieb durch den Diffusor an. "Doch drei Teams fanden unabhängig voneinander einen Weg, um das Reglement zu umgehen", verweist Whiting auf Brawn, Toyota und Williams. "Obwohl es sich um ein Schlupfloch handelte, war der Doppeldiffusor definitiv legal. Er wurde zwar von den Teams, die nicht auf diese Idee kamen, in Frage gestellt, aber meiner Meinung nach war das eine sehr clevere Sache."
Whiting gegen angeblasenen Diffusor
Beim von Abgasen angeblasenen Diffusor griff Whiting hingegen ein. "Wir wussten immer, dass die Abgase die Aerodynamik auf eine gewisse Art und Weise beeinflussen", erklärt er. "Solange dieser aerodynamische Effekt aber zweitrangig war, waren wir glücklich."
"Aber selbst, als die Teams damit begannen, den Auspuff hinunter in den Bereich vor den Hinterrädern zu verlegen, hat uns das keine allzugroßen Sorgen bereitet, denn wir wussten nicht, wohin das führen würde. Es führte dazu, dass sie den Motor für aerodynamische Zwecke nutzten, indem sie ihn ausschließlich zugunsten der Aerodynamik einstellten. Das mussten wir abstellen."