
Formel 1: EXKLUSIV | 04.08.2013
Johnny Herbert im Gespräch mit motorline.cc
Johnny Herbert über die moderne Formel 1-Technik, Michael Schumacher und den Kampf um den Nummer 1-Status im eigenen Team…
Johnny Herbert konnte zwischen 1989 und 2000 insgesamt drei Rennsiege in der Formel 1 erringen – heute arbeitet er bei SkyTV als TV-Experte. Im Rahmen des Grand Prix von Ungarn sprach motorline.cc mit dem Briten über die Formel 1 gestern und heute…
Wenn du die heutigen Rennen mit jenen aus deiner Zeit vergleichst – wo liegt hier der größte Unterschied?
Es gibt gar nicht so viele – aber ein Unterschied ist sicher die Reifensituation. Obwohl es auch damals darum ging, auf die Reifen aufzupassen, vor allem auf Strecken wie dem Hungaroring.
Ich finde es gut, dass wir ein hundertprozentiges Qualifying haben und dann haben wir im Rennen eine andere Situation. Der clevere Pilot, das clevere Team ist in der Lage, die beste Balance zu finden. Die Balance zwischen einem schnellen Auto im Qualifying und einer guten Rennabstimmung.
Natürlich gab es damals noch kein KERS und kein DRS – die Piloten haben heute ein bisschen mehr Arbeit. Aber das ist nicht so schlimm, wenn du es ein paar Mal probiert hast, machst du das ganz automatisch.
Die Herausforderung blieb unverändert: Es geht darum, das Limit des Autos zu finden. Und es gab immer schon ein ‚bestes Auto‘ – heute ist es der Red Bull, damals war es ein Williams. Und es hat immer dieses beste Auto die Weltmeisterschaft gewonnen.
Vielleicht hat man damals nicht so viel über Taktik oder Reifenabnützung gesprochen?
Nein, sicher nicht. Aber dafür hatten wir Michael Schumacher und Ferrari, der die Sprintrennen dominiert hat. Aber die Rennen waren damals lange nicht so aufregend wie heute. Wir haben einen Mix, es gewinnt nicht andauernd der Red Bull.
Die Ingenieure wollten immer schon das ultimative Auto – und es war damals schon so, dass es nicht immer möglich war, das ultimative Auto zu haben. Und es hat auch damals ein Alain Prost auf seine Reifen und auf sein Getriebe aufgepasst – ist es fair, Alain Prost dafür zu kritisieren, dass er viermal Weltmeister wurde, weil er clever war?
Das ist heute nicht anders: Die Fahrer müssen smart sein, sie müssen auf die Änderungen des Autos reagieren. Dann liegt es an den Ingenieuren, auf die Aussagen der Piloten zu reagieren. Es geht immer noch um das beste Gesamtpaket. Es ist heute vielleicht ein bisschen schwieriger – weil sie heute beim Entwickeln nur noch kleine Schritte setzen können.
Der Wettbewerb ist enger – aber ist das ein Problem? Ich denke nicht! Ich mag es, wenn der Fahrer auf die Änderungen im Fahrzeug reagieren muss – wenn du überlegen musst: Soll das Auto am Beginn des Rennens vollgetankt gut sein oder eher am Ende, wenn es leichter ist?
Die letzten Jahre haben viele, ich auch, zuerst einmal geschaut, wo Michael Schumacher liegt. Weil es so interessant war, wie sich diese Lebendlegende im Feld der jungen Wilden schlägt. Wie ist deine Meinung zu seiner ‚zweiten Karriere‘?
Ich glaube, dass es einfach auch Pech war, dass der Mercedes zu dieser Zeit nicht wirklich gut war. Letztes Jahr war es besser. Wir haben in China gesehen, was Nico Rosberg erreichen konnte – vielleicht wäre Michael Zweiter geworden, vielleicht hätte er gewonnen, wenn das Rad nicht davongeflogen wäre? Dann hat er in Monaco eine Poleposition herausgefahren, die in meinen Augen auch eine Pole war. Er hatte immer noch Speed! Nico war eher am Beginn des Jahres vorne, doch Michael konnte dafür gegen Ende der Saison wieder öfter Nico schlagen. Michael war immer noch stark.
Im Gegensatz zu seiner ersten Karriere hatte er bei Mercedes keinen Nummer 1-Status.
Das nicht, aber so wie Michael arbeitet, versucht er immer, sich einen Vorteil herauszuarbeiten.
Wie macht man das?
Du kannst die Richtung steuern, in welche das Auto entwickelt wird. Dann sagst du: ‚Dieses und jenes ist nicht gut für mich, das ist nicht gut für uns! Denn es ist nicht gut für uns, wenn ich nicht performen kann!‘
Oder er sagt ‚Nico kann nicht verstehen, was ich meine‘ – er kann dem Ganzen eine Drehung in seine Richtung geben. Aber es ist in den letzten beiden Jahren nicht passiert. In diesem Jahr wäre er vielleicht in einer besseren Position gewesen und vielleicht hätte Michael auch ein paar Rennen gewonnen.
Als du Teamkollege von Michael warst, hattest du einen klaren Nummer 2-Status – hat man dir das damals von Anfang an gesagt?
Ja. Ich wusste, dass er die Nummer 1 ist. Flavio Briatore sagte immer: ‚Die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ist wichtig, die Fahrer-Weltmeisterschaft ebenfalls!‘ Es ist auch okay, wenn man beginnt, den Fokus auf ein Auto zu legen – das Problem mit Michael und Flavio war nur, dass es sehr zeitig in der Saison begann. Viel früher als ich dachte – aber das gehört dazu, darum dreht sich die Formel 1. Ich wusste, dass es schwierig wird. Also musste ich einfach versuchen, das Beste daraus zu machen.
Ja, nur: Was kann man in einer solchen Situation noch wirklich tun?
Wenn dich der Teamchef nicht unterstützt, kannst du gar nichts machen. Du kannst dich nur ins Auto setzen und versuchen, so schnell wie möglich zu fahren und Ergebnisse einzufahren. Sonst kannst du nichts tun, denn du erhältst nicht jene Unterstützung, die du brauchen würdest.
Das ist heute nicht anders: Sebastian erhält die Unterstützung, die er benötigt – und deshalb ist er erfolgreich. Du musst auch egoistisch sein, du musst danach trachten, dass alles in deinem Sinn arbeitet. Aber da ist immer nur einer im Team, der diese Unterstützung erhält.
Bei McLaren scheint es wirklich so zu sein, dass beide Fahrer gleich behandelt werden, bei Mercedes könnte es auch so sein, zurzeit. Aber Ferrari ist Fernando und RBR ist Sebastian. Lotus ist wahrscheinlich Kimi, obwohl Romain einen guten Job liefert, das Team arbeitet für Kimi.
Aber das war schon immer so – das gab es auch schon in den Zeiten, bevor ich in die Formel 1 kam. Es passierte bei Leuten wie Nelson Piquet im Brabham-Team, oder als Alain Prost zu Ferrari ging, war er dort Nummer 1-Pilot und Nigel Mansell wusste es.
Im kommenden Jahr gibt es neue Regeln, neue Motoren, das neue ERS-System, die Benzinbeschränkung – Peter Schöggl, der für AVL die Simulationen einiger Teams abhält, hat die Befürchtung geäußert, die Formel 1 könnte 2014 zu kompliziert werden…
Es ist immer kompliziert, es ist niemals einfach. Das ERS ist ein kraftvolles System. Die Benzinlimitierung macht es natürlich komplizierter. Aber die Formel 1 ist immer kompliziert. Wenn du den Red Bull vor zwei Jahren anschaust – dort gab es ein Problem, weil das KERS-Paket zu kompakt war und dann hatten sie immer KERS-Probleme.
Extreme Puristen sind ja auch gegen DRS, weil es künstlich sei – dabei ist es nur ein Ersatz für den Windschatten…
Ja, denn heute hast du keinen Windschatten mehr. Mit dem DRS wird dieser quasi künstlich wieder hergestellt. Ganz toll waren das Doppel-DRS oder der F-Schacht. Das sind sehr clevere Lösungen, typisch für die Formel 1. Das Doppel-DRS von Mercedes, die Luftkanäle durch das ganze Auto – das ist doch faszinierend. Das haben sie jetzt leider nicht mehr. Jetzt haben sie diese kleine Einheit am Heckflügel, welche einen Strömungsabriss auslösen soll – und die Ingenieure tun sich immer noch schwer, es zu verstehen.
Peter Schöggl meinte, dass es 2014 vor allem für das Publikum zu kompliziert werden könnte…
Achso, für das Publikum? Naja. Die Benzinlimitierung, das hatten wir ja bereits in der ersten Turbo-Ära. Aber ich sehe es so: So lange es durch das TV oder andere Medien erklärt werden kann, ist es okay. Dann kannst du dem Publikum helfen, es zu verstehen.
Das ist dann quasi deine und auch meine Aufgabe und Herausforderung…
Ja. Und es ist wichtig für uns, dass wir das gut rüberbringen. Das ist für alle TV-Channels und für alle Medien wichtig. Ist das schlimm? Nein. Denn wir haben neue Technologie und die Formel 1 geht in eine neue Richtung – aber ich denke, das ist etwas Gutes. Die Autos werden nicht leicht zu fahren sein – was gut ist. Es wird auch für die Ingenieure hart, alles zusammen zum Arbeiten zu bringen.
Also machst du dir keine Sorgen, dass es vielleicht zu technisch werden könnte?
Nein, wir leben in einer technischen Welt. Verstehen wir alles, was es heute gibt? Früher hatten wir ein ordinäres Telefon, früher hat niemand SMS geschrieben – jetzt schreiben wir SMS, verwenden den Touchscreen. Die junge Generation hat auch ein größeres technisches Verständnis.
Aber auch die Älteren können es lernen – sie brauchen vielleicht ein bisschen Zeit, aber es wird sehr viele Rennfans geben, die es verstehen wollen, die lernen wollen. Die ins Internet gehen und es lernen wollen. Und das TV kann ebenfalls sehr hilfreich dabei sein, es zu verstehen. Also ich bin da unbesorgt.
Man muss also mit der Zeit gehen…
Genau. Man muss sich mit den Dingen auseinandersetzen.