Tourenwagen-WM: Pau | 03.06.2007
Das andere Monte Carlo
Na bitte, es geht doch: Ein klassisches Stadtrennen mit Spannung und ohne Peinlichkeiten – die Tourenwagen-WM zeigte es in Pau der Formel 1 vor.
Apropos Pau
Monte Carlo ist bekannter, aber Pau hat mehr Tradition: 1901 fand das erste Rennen statt, gleichzeitig auch der erste so bezeichnete „Grand Prix“. Die heurige Veranstaltung ist der 67. „Grand Prix de Pau“. Auf dem jetzigen Kurs quer durch die Innenstadt wird seit 1933 gefahren; seit damals ist der Streckenverlauf praktisch unverändert.In der Vorkriegszeit duellierten sich hier Silberpfeil und Bugatti, nach dem Krieg war das Rennen zuerst ein Formel-1-Lauf außerhalb der WM (ja, das hat es einmal gegeben), ab 1963 dann quasi das Ersatz-Monaco der Formel 2-EM. Auch Österreich hat hier Sieger, 1969 und 1970 gewann Jochen Rindt, 1983 Jo Gartner. Ab 1985 fuhr die Formel 3000, bis zu ihrer „Umleitung“ nach Monte Carlo.
Es gibt in der Region auch eine „richtige“ Rennstrecke (in Pau-Arnos), aber einmal im Jahr wird dennoch die typisch südfranzösische Innenstadt gesperrt und zwischen Operettenbarock und Plattenbauten ein Rennen abgehalten - manche Fahrer halten diesen Kurs für schwieriger als Monte Carlo und Macau zusammen. Heuer macht zum ersten Mal eine offizielle Weltmeisterschaft hier Station.
Qualifying: Pole Position am Menu-Plan
Auf der Pole Position für Lauf 1 stand der Schweizer Alain Menu im Chevrolet Lacetti. Für die Euro-Amerikaner läuft die Saison momentan besonders gut. Lokalmatador Yvan Muller im Seat war das gesamte Training hindurch sein schärfster Rivale (eine Frage der französischen Ehre?), es reichte „nur“ für Platz 2 der Startaufstellung. Tiago Monteiro erreichte mit Platz 4 sein bestes bisheriges WTCC-Trainingsergebnis.Andy Priaulx stand als bester BMW auf Platz 7, während sein Markenkollege Augusto Farfus die Tücken der klassischen, super-engen Strecke kennenlernte. Marschall Foch sah von seinem Denkmal aus zu, wie zu seinen Füßen der 320si des Brasilianers einen doppelten Überschlag hinlegte.
Farfus entstieg dem Wrack unverletzt und war trotzdem als Dritter qualifiziert. Aufgrund einer nach dem Valencia-Rennen ausgesprochenen Strafe musste er aber zehn Startplätze „drauflegen“ – ab in die Reihe 7!
Lauf 1: Same procedure...
Seat-Privatier Robert Colciago musste nicht einmal ins Rennauto steigen, um sich für das Rennen beurlauben zu lassen – er rutschte auf einem frisch gesäuberten Fußboden aus und bekam vom Doktor Arbeitsverbot. Lauf 1 mit rollendem Start war zumindest im Vorderfeld eher eine Prozession beinahe nach Monaco-Vorbild. Überholmöglichkeiten sind auf der 2,7-Kilometer-Strecke eher noch dünner gesät als in der Riviera-Metropole.Gleich am Start wollte Muller es wissen und probierte ein Überraschungsmanöver; Alain Menu ist für solche Überraschungen aber schon zu lange im Geschäft. Dafür krachte es im Mittelfeld: Olivier Tielemans, im Training der schnellste Alfa-Pilot, durfte seinen 156er gleich wieder abstellen. Sein Kollege James Thompson schaffte immerhin Platz 10. Viel mehr war von den Alfa Romeo diesmal nicht zu sehen.
An der Spitze erlaubte sich Menu trotz ständiger "Avancen" Mullers keinen Fehler und legte einen astreinen Start-Ziel-Sieg hin. Er verewigte sich damit als der erste WM-Gewinner in Pau. Dahinter Muller und Monteiro, der mit seinem ersten Podestplatz das Vertrauen der Seat-Leitung bestätigte.
Platz 1 und 4 (Huff) für Chevy, Platz 2 und 3 für Seat, dahinter eine BMW-Phalanx mit Felix Porteiro, Andy Priaulx und dem stark aufgeigenden Augusto Farfus; Rang 8 und damit die wertvolle Pole Position für Lauf 2 ging an Jordi Gené im Seat.
Im Privatiers-Match sah es lange nach einem Newcomer-Sieg für Anthony Beltoise aus, den Sohn des ehemaligen Formel-1-Fahrers Jean-Pierre Beltoise; dann schlug das WTCC-Establishment doch zu: Stefano d'Aste holte sich heuer erstmals volle Punkte.
Lauf 2: Spannung bis zuletzt
Während im Stadtgartenamt von Pau wegen beschädigter Rasenflächen die Alarmglocken läuteten (Tourenwagen räubern wehementer über die Randsteine, als Formelautos dies je tun könnten), reihten sich Gené und Farfus für das Nachmittagsrennen in Reihe 1 auf. Beim stehenden Start hat der heckgetriebene BMW konzeptbedingt Vorteile. Und das machte sich bemerkbar.Ausgangs der ersten Kurve war Gené nur mehr Dritter, vor ihm formatfüllend die BMW von Augusto Farfus und Andy Priaulx, in seinem Nacken mit Felix Porteiro noch ein BMW. Quer durch den Tourenwagen-D-Zug wurde gefightet , das ging drei Runden lang gut.
Dann gab es Ärger am Ende der Zielgeraden, die schnellstern "Independents" löschten einander aus. Die BMW von Stefano d'Aste und Sergio Hernandez mussten geborgen werden, das Safety Car rückte aus. Deshalb wurde auch die Renndistanz von 19 auf 21 Runden verlängert.
Beim Restart ergab sich keine Änderung, Priaulx sah weiterhin Farfus zwischen sich und dem Sieg. Der Brasilianer und der Brite machten diesen Lauf unter sich aus.
Dahinter raufte Tiago Monteiro in der Nachmittagssonne mit Chevy-Fahrer Rob Huff um Platz 3. Auch der inner-spanische Kampf Gené gegen Porteiro war sehenswert, bis der BMW-Fahrer mit Aufhängungsdefekt ausschied. Und hinter Gené versuchte Menu, der Sieger des ersten Rennens, jeden ihm bekannten Trick, um an Yvan Muller vorbeizukommen.
Gegen Ende gab es drei klare Kampfgruppen, aber die Positionen hielten bis zum Schluss: Farfus setzte sich nach dem Desaster im Training und der "künstlichen Pole Position" in beeindruckender Manier durch, Weltmeister Priaulx musste sich um wenige Zehntel geschlagen geben.
Tiago Monteiro schaffte es als einziger Fahrer in beiden Rennen aufs Podium; der Portugiese hat jetzt schon mehr Pokale als in seiner gesamten Formel-1-Karriere, und er fühlt sich im Fronttriebler-Seat sichtlich wohl. Das Gemetzel bei den Privatfahrern überlebte Pierre-Yves Corthals, er holte sich im Seat seinen ersten Independents-Sieg.
Priaulx führt die WM an
Damit erzielten Menu, Farfus und Porteiro an diesem Wochenende die gleiche Punktezahl! Der WM-Leader vor diesem Wochenende, Jörg Müller aus Deutschland, hatte ein Horror-Wochenende mit einem "Doppel-Nuller", somit führt Andy Priaulx die Tabelle an; er hat zwei kleine Punkte Vorsprung vor Farfus. In zwei Wochen gehts auf einem ganz anderen aber ähnlich schwierigen Kurs weiter: Der tschechischen Berg-und-Tal-Bahn in Brno.