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Jeder zweite Schuss ein Treffer

Die Chronologie der Erfolgs-Serie des Peugeot 206 WRC in Österreich und Ungarn sowie ein Blick auf die laufenden Kosten eines World Rally Cars.

Pressechefs sind nicht nur für Journalisten da: Im Spätsommer 1999 läutete bei Peugeot-Austria-Sprachrohr Franz Stehno das Telefon und ein gewisser Achim Mörtl war dran. Er hatte gerade eine einzigartige Serie hinter sich:

Mit sechs Siegen in den ersten sechs Läufen zur österreichischen Rallyestaatsmeisterschaft hatte er gleich nach Saisonhalbzeit den Titel überlegen für sich entschieden. Was folgte, war die Standardfrage aller erfolgreichen Motorsportler an ihre Ansprechpartner in der Industrie: „Könnt’ ma nicht was machen?“

Eine Anregung, die beim damaligen Peugeot Austria-Generaldirektor Jean-Yves Dossal auf fruchtbaren Boden fiel. Der griff sofort zum Telefon, um seinen alten Freund Jean-Pierre Nicolas, Rallyechef von Peugeot, anzurufen. Grund: Die Bestellung eines 206 WRC für die österreichische Rallyemeisterschaft. Nach ständig steigenden Absatzzahlen in Österreich sollte auch der erste Meistertitel für Peugeot im österreichischen Motorsport an Land gezogen werden.

Rolf Schmidt und das 206 WRC

Für die Betreuung des teuersten Peugeot, der in der über hundertjährigen Geschichte der Marke je in die Alpenrepublik importiert wurde, sicherte man sich die Dienste des besten Tuners in Österreich: Rolf Schmidt. In seiner Werkstätte in der Krautackergasse in Wien-Essling wurde schon jener Renault R8 Gordini präpariert, mit dem Walter Roser 1968 den österreichischen Titel errang.

Seither wurden von Schmidt Racing dutzende Fahrzeuge der diversesten Marken präpariert, die unter anderem in Österreich, Ungarn, der Türkei, Italien und Rumänien erfolgreich waren. Nicht zu reden von jenem Trabant 601, mit dem Thomas Muster seinerzeit bei der Semperit-Rallye für Aufsehen sorgte.

Die längste Kooperation in der Geschichte von Schmidt Racing gab es dabei mit Österreichs Rallye-Globetrotter Rudi Stohl: Ob Safari-Rallye in Kenya oder die Himalaya in Indien, ob Hongkong-Peking, Elfenbeinküste oder Argentinien oder gar Neuseeland, wo Stohl auftauchte, waren auch die Mechaniker von Schmidt Racing nicht weit.

Die jahrelange Beschäftigung von Schmidt Racing mit im Motorsport erfolgreichen Autos schlug sich zu Beginn der Peugeot-Ära auch noch unter wirtschaftlichen Aspekten zu Buche: Um die enorm hohen Kosten eines WRC halbwegs erschwinglich zu machen, schlug Rolf Schmidt vor, das Auto zusätzlich zu Österreich auch in Ungarn einzusetzen. Peugeot Hungaria war Feuer und Flamme und beteiligte sich mit einer adäquaten Miete an den Kosten des 206 WRC.

Man erkennt: Erfahrung war genug vorhanden, trotzdem ist der Umstieg auf ein anderes Auto jedes Mal ein Neubeginn. Das beginnt mit der extrem ausgereizten Technik der modernen WRC’s.

In den frühen Achtzigerjahren beherrschten nur Kapazunder wie Walter Röhrl die 500 PS starken Rallye-Geschoße von damals, als die Audi sport quattro und die Peugeot 205 turbo 16 das Match unter sich ausmachten. Jede Sonderprüfung war gewissermaßen ein Ritt auf der Kanonenkugel, die jederzeit explodieren konnte.

WRC - Geschoße der Rallye-Neuzeit

Die durch einen Air-Restriktor im Ansaugtrakt rund 200 PS schwächeren Vertreter der heutigen WRC-Generation sind jedoch durch gravierende Fortschritte bei Fahrwerk und Reifen schon deutlich schneller als die damaligen Rallye-Raketen.

Dazu kommt noch die Elektronik, die im Motormanagement, in der Getriebe- und Differentialsteuerung sowie im Fahrwerk jedes Newtonmeter Drehmoment des Motors kompromisslos in Vortrieb umsetzen. Moderne WRC sind nur für einen Zweck gebaut: Die Geraden zwischen zwei Kurven so schnell als möglich unter sich wegzusaugen und die Ecken mit maximalem Vortrieb wieder zu verlassen.

Man sieht: technisch waren alle Voraussetzungen gegeben, um Achim Mörtl ein ordentliches Dienstauto zur Verfügung zu stellen. Auch das Rundum stimmte. Dem Erfolg blieb fast nichts anderes übrig, als sich unverzüglich einzustellen.

Kein glücklicher Auftakt

Doch erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt: Erster Einsatz bei der Gorbatschow-Rallye Ende Jänner rund um Mariazell. Der Pressechef und frischgebackene Peugeot-Rennleiter hat einen Journalisten an Bord im Ziel der ersten Sonderprüfung, und es passiert etwas, mit dem keiner gerechnet hat:

Fünf WRC kommen innerhalb von zwanzig Sekunden aus der Prüfung heraus. Was war passiert? Mörtl hatte sich bei der Reifenwahl ein bisserl vergriffen, sich als erstes Fahrzeug auf der Strecke an einer engen Stelle des Waldweges gedreht und alle anderen aufgehalten. Die erste Rallye war damit schon auf der ersten Sonderprüfung verloren.

Zweite Rallye, erster Totalschaden

Zweite Rallye (Lavanttal), erster Abflug: Totalschaden. Wie durch ein Wunder kommen Mörtl und Co-Pilot Pattermann mit dem Schrecken davon. Raphael Sperrer im Seat Cordoba liegt in der Meisterschaft voran. Doch dann treibt der Pilot den Peugeot-Leuten auch einmal die Freundentränen ins Gesicht, in dem er die Pirelli-Rallye in Kirchdorf, das Heim-Event von Sperrer, für sich entscheidet.

Doch schon im nächsten Lauf der nächste „Halb-Totale“: In einer Rechts-vier-über Kuppe rutscht Mörtl von der Ideallinie auf den Schotter und setzt den 206 WRC links mittig an einen Baum. Schmidt racing erwägt erstmals, einen permanenten Ersatzteilkurier zwischen Paris und Wien pendeln zu lassen.

Mit einem zweiten Rang hinter Sperrer kann Mörtl nicht mehr verhindern, dass der Kirchdorfer schon nach der OMV-Rallye Anfang September als neuer Meister feststeht. In Abwesenheit des neuen Meisters gewinnt Mörtl dann noch in Admont, als Saisonfinale ein vierter Platz bei der Semperit-Rallye.

Das 206 WRC in Ungarn

Ganz anders verlief die Saison 2000 in Ungarn: Janika Toth/Imre Toth sind nach nur fünf Rallyes mit vier Siegen und einem zweiten Platz schon im August erstmals ungarischer Meister auf Peugeot.

Ende November kündigt Mörtl überraschend seinen Zweijahresvertrag auf, und Jean-Yves Dossal verpflichtet Raphael Sperrer – ebenfalls auf zwei Jahre. Der Einstand passt: Gesamtsiege bei der A1-Ring-Rallye und der Bosch im Lavanttal.

Bei der Heim-Rallye in Kirchdorf greift ein gewisser Wittmann erstmals kräftig an und Sperrer bei den Reifen daneben: nur Platz zwei am Stockerl. Bei der Hartberg-Rallye dann in Führung liegend der erste Ausfall durch technisches Gebrechen – der Benzindruckregler spielt verrückt. Dafür wieder ein Gesamtsieg bei der Castrol-Rallye im Krappfeld und als Ausgleich beim WM-Lauf in Finnland ein Überschlag am 14. Platz drei Prüfungen vor Schluss.

Auch die OMV-Rallye entscheidet Sperrer für sich, um sich bei der Burgenland-Rallye gewissermaßen im Zeitlupentempo in den Graben zu rollen – nur Rang vier. Und der immer stärker werdende Wittmann tut alles, um die Meisterschaft spannend zu machen.

2001: Sperrer verliert den Titelkampf

Die Nerven zwingen Sperrer dann in Admont mit einem Fahrfehler in der letzten Sonderprüfung nur auf Rang zwei, Wittmann wittert seine große Chance bei der Waldviertel-Rallye. Und nützt sie: Sperrer vergreift sich mit den Reifen und zeigt Nerven, Wittmann genügt ein zweiter Platz hinter Manfred Stohl für seinen zwölften Titel.

In Ungarn ging es in einer anderen Tonart dahin: Mit sechs Siegen in den ersten sechs Rallyes fuhren Toth/Toth die Konkurrenz in Grund und Boden und wiederholten ihren Titelgewinn aus dem Vorjahr eindrucksvoll.

2002 sorgt ein Patschen im Burgenland dafür, dass es beim ersten Lauf nur Rang zwei hinter Manfred Stohl wird. Dann beginnt eine große Serie: jeweils Gesamtsieg im Lavanttal, in Kirchdof und in Hartberg, wobei in Kirchdorf das Meisterstück gelingt, alle 16 SP’s für sich entscheiden zu können. Auch bei der Castrol-Rallye in Kärnten soll Manfred Stohl vernichtend geschlagen werden – am Ende steht jedoch ein Sperrer-Überschlag, ein 25. Platz gesamt und drei mickrige Meisterschaftspunkte für’s Konto.

2002: Titel für Sperrer und Peugeot

Dafür dominiert Sperrer in der Admonter Waschküche, ein Protest Stohls wird von den Sportkommissären in der Berufungsverhandlung abgelehnt. Bei der Waldviertel-Rallye reicht Sperrer ein zweiter Platz zum langersehnten ersten Titel für seinen Arbeitgeber.

Ungarn: Business as usual. Fünf Siege und ein zweiter Platz reichen zum dritten Titel für Toth/Toth.

2003: Keine Österreich-Einsätze

2003 fährt der k.u.k-206 WRC fast nur noch in Ungarn: Getriebeschaden beim ersten Lauf, Gesamtsieg beim zweiten, Ausfall beim dritten, weil Zuschauer Schotter in die Kurve schaufeln, und zweiter Platz beim vierten Lauf. Dann jagt ein Gesamtsieg den nächsten – und zum runden Jubiläum gratulierte Jannika Toth vergangenes Wochenende mit dem nächsten Triumph.

Das Highlight in der Karriere des 206 WRC setzt im März 2003 Manfred Stohl: Auf seiner Lieblingsstrecke in Neuseeland hatte er am ersten Tag gleich drei Werkteams hinter sich gelassen, sensationell sechste Zeiten gefahren und abends zur Überraschung aller Beteiligten Rang neun belegt. Tags darauf rutscht er nach einem Konzentrationsfehler in den Graben und muß mit ausgerissenem Vorderrad aufgeben.

Und so sieht die Bilanz nach drei Saisonen mit dem 206 WRC aus:

  • 28 mal Erster (mehr als jedes zweite Antreten brachte statitisch einen Gesamtsieg)
  • neunmal Zweiter
  • zwei dritte Plätze
  • zwei vierte Plätze
  • ein fünfundzwanzigster Platz
  • achtmal Ausfall (davon: zweimal durch die Technik, einmal aus gesundheitlichen Gründen des Piloten und fünf Überschläge) sowie
  • vier Meistertitel

    Peugeot 206 WRC - Interessante Daten und Fakten

    Benzinverbrauch:
    0,3 Liter pro Kilometer (auf den Verbindungsetappen), auf den Prüfungen auf der Boost-Stellung bis zu 0,8 Liter pro Kilometer) – ein Teil des Sprits dient dabei auch zur Innen-Kühlung des Motors

    Auszug aus dem Wartungshandbuch:
    Turboladertausch: alle 1.200 km
    Motor-Revision nach 1.200 km
    Getriebe-Revision nach 300 km
    Antriebswellen: nach 1.500 km
    Fünfscheiben-Kupplung: nach jeder Rallye Tausch der Lager
    Radlager: neu bei jeder zweiten Rallye

    (Bei den angeführten Werten handelt es sich nicht um Gesamt-, sondern nur um Sonderprüfungskilometer)

    Auszug aus der Ersatzteil-Preisliste:
    Ein Satz Radlager (=acht Stück, zwei pro Radträger) 3.600.- €
    Antriebswelle (ein Stück) 3.526.- €
    Motor-Revision 30.000.-
    Winkeltrieb (zwischen quer eingebautem Motor und längs liegendem Verteilergetriebe, Lebensdauer zwischen 300 und 500 km) 22.000 €

    Wastegate-Regelventile (Satz zu fünf Stück, nach jeder Rallye zu erneuern) 585.- €
    Brembo-Bremsscheibe 365.- €
    Satz Bremsklötze 403.- €
    Unterschutz 5.040.- €
    Kotflügel vorne 750.- €
    Windschutzscheibe (beheizt) 2.171.- €
    Kotflügel hinten 887.- €
    Stoßstange vorn 2.190.- €
    Stoßstange hinten 458.- €
    Turbolader 10.300.- €

    Nun wird leider auch deutlich, warum es immer schwerer wird, einen WRC-Einsatz in Österreich zu finanzieren...
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